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Ein Haus voller Bücher – Kinzos Interieurdesign für Suhrkamp

von Markus Schraml
Kinzos Interieur für Suhrkamp

Vor rund einem halben Jahr bezogen die Mitarbeiter*innen des Suhrkamp Verlages ihr neues von Roger Bundschuh entworfenes Gebäude in der Linienstraße 34. Es ist ein markanter und zentraler Ort zwischen Torstraße und Rosa-Luxemburg-Straße unweit der Berliner Volksbühne. Geschäftsführer Jonathan Landgrebe sagte anlässlich des Einzugs: „Es kommt mir vor, als seien wir ein zweites Mal in Berlin angekommen, und zwar endgültig angekommen, auch weil wir hier noch näher am Zentrum der Stadt sind.“ Seit August füllen sich die Gänge und Stockwerke des Gebäudes nun mit Leben. Zeit, einen genaueren Blick auf das ziemlich einmalige Interieur des Verlagshauses zu werfen.

Auf den ersten Blick scheint nichts nahe liegender zu sein, als die Inneneinrichtung eines Verlagshauses mit Büchern zu gestalten. Dennoch gelang dem Team von Kinzo in seiner Radikalität ein großer Wurf. Die Devise lautete Bücher, Bücher, Bücher. Die Anforderung dafür waren Regale, Regale, Regale, und zwar maßgeschneidert. Das Konzept des Büroraumspezialisten musste dabei aus einem Mangel – dem beschränkten Platz – eine Tugend machen. Die Lösung wurde in einer Vergrößerung der Fläche, auf der die enorm vielen Bücher untergebracht werden konnten, gefunden. Die Planer von Kinzo ließen die Wände wie eine Fassade im Inneren durch die sechs Geschosse zickzack-förmig schweifen. Diese Maßnahme führte nicht nur zu mehr Regalmetern, sondern auch zu einer Optimierung der Zimmerflächen. Es wurden dadurch kleine Nischen geschaffen, die als Rückzugsräume, Kommunikationsbereiche, Telefonkabinen oder Spontan-Meetings genutzt werden können. „Unsere Vision war ein Haus, das anstatt auf Wänden und Stützen auf geschosshoch gestapelten Bänden ruht. Die Bücher sollten als emotionaler und atmosphärischer Baustein das Tragwerk bilden und zugleich das tägliche Arbeitsinstrument sein. Entsprechend mussten Regale her, viele Regale, die beinahe jede freie Fläche an den Wänden auszufüllen hatten und diese gleichsam ersetzen“, schreiben die Planer. Schließlich konnten die umfangreichen Bestände des Verlages auf insgesamt 4.893 Metern Regalen untergebracht werden. Das entspricht der Entfernung vom Alexanderplatz bis zum Großen Stern. Kinzo entwickelte für die Aufteilung der Regalcher ein eigenes Regalbodenraster mit einer individualisierten Lochreihe, die zwei verschiedene Möglichkeiten bietet, die Regalböden einzusetzen. Dazu musste der ideale Abstand zwischen den Böden ermittelt werden. Die Recherche mündet schließlich in einem normalen Maß für den Großteil der Bücher und ein anderthalb so hohes Maß für große Bücher und Ordner. Diese Vereinheitlichung führt zu einer angenehmen ästhetischen Gleichmäßigkeit, in der die Bücher die Hauptdarsteller sind.

Kinzos Interieur für Suhrkamp
Der Hauptdarsteller im Suhrkamp Verlagshaus in Berlin ist klar ersichtlich – das Buch. © Schnepp Renou, Simon Schnepp und Morgane Renou
Kinzos Interieur für Suhrkamp
Die Buntheit der Buchrücken ist eines der Hauptgestaltungsmerkmale des Interieurs von Kinzo. © Sebastian Dörken, sbdsgn.de
Kinzos Interieur für Suhrkamp
Beton, Holz, Bücher – auch die „narrative Treppe“ ist mit Bücherregalen ausgestaltet. © Schnepp Renou, Simon Schnepp und Morgane Renou
Kinzos Interieur für Suhrkamp
Moderne Bürokonzepte und ergonomische Möbel wurden im Interieur berücksichtigt. © Schnepp Renou, Simon Schnepp und Morgane Renou
Kinzos Interieur für Suhrkamp
Durch das Innenraumkonzept von Kinzo entstanden eine Reihe von heimeligen Rückzugsnischen. © Schnepp Renou, Simon Schnepp und Morgane Renou

Eine große Herausforderung war es auch, alle Lektoratszimmer unterzubringen. Durch die im Vergleich zum alten Verlagsgebäude geringere Fläche wurden diese Zimmer klein und dabei höchst effizient geplant. So verfügen die im Durchschnitt nur 9 m² großen Räume über annähernd bodentiefe Fenster, durch die viel Tageslicht strömen kann und die die Beengtheit vergessen lassen sofern die/der Lektorierende in voller Konzentriertheit nicht sowieso an einem völlig anderen Ort weilt. Die Tür jedes Lektoratszimmers schließt in geöffnetem Zustand bündig mit den Regalen ab. Dadurch entsteht ein nahtloser Übergang zum benachbarten großen Büro, wodurch das kleine Lektoratszimmer sozusagen erweitert wird. Die Tiefe der Regale beträgt im Open Space 30 cm und in den Lektoratszimmern 21,5 cm. Damit aber auch die Lektoren*innen Ordner ablegen können, wurden Holzkisten aus Seekieferplatten entwickelt, die Ordner aufnehmen und passgenau in die hohen Fächer hineingeschoben werden können. Seekiefer wird übrigens auch am Empfangstresen, den kleinen Meetingräumen sowie Teeküchen eingesetzt – überall dort wo Kommunikation passiert. Die Umsetzung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den Innenausbauern von Raumeffekt.

Das Farbkonzept wird von der Buntheit der überwältigend vielen Buchrücken bestimmt. Dementsprechend wurde die Möblierung in Primärfarben gehalten, die dem Grau des Sichtbetons, den Brüstungen sowie Laibungen, dem grauweiß melierten Teppichboden der Büros und dem eleganten Weiß der Regale ein paar farbige Tupfer verleiht. Beleuchtet werden die Bücher mittels Lichtschienen, die in die Lochdecke integriert oder ins Regal eingefasst sind. Sie versorgen auch die Räume mit indirektem Licht.

Teeküchen und Konferenzräume sind an der spitzen Seite des Gebäudes in jedem Geschoss abwechselnd untergebracht. Hier zeigt sich auch eine der Stärken der Architektur von Bundschuh – große Panoramafenster bieten fantastische Ausblicke auf das Treiben der In-Stadt Berlin. Eine interne, sogenannte „narrative Treppe“ verbindet die Konferenzräume und Teeküchen vom ersten bis ins sechste Geschoss. Der Name entstand aufgrund des langen Bücherregals, das die Treppe begleitet.

Ein wichtiger Aspekt der Interieurgestaltung von Kinzo war der Kostenfaktor: „Obwohl mit hochwertigen Materialien und Produkten gearbeitet wurde und viele Einbauten erst individuell angefertigt werden mussten, blieben unsere Lösungen kostengünstig und im Rahmen des vorgegebenen Budgets“, teilen die Planer mit.

Nach Jahren der Streitigkeiten unter den Gesellschaftern des Verlages und neun Jahren Provisorium in der Pappelallee, scheint mittlerweile Ruhe eingekehrt zu sein. Die neue Heimat in Berlin mit endlich eigenem Haus sollte einiges dazu beitragen, den Fokus auf das Geschichtenerzählen und das Bücherverlegen gerichtet zu halten oder – wie es Suhrkamp immer betont – auf das Autorenverlegen.

Kinzo Architekten GmbH

Kinzo wurde 2005 in Berlin gegründet. Die Hauptprotagonisten sind Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton sowie ein über 50-köpfiges Team aus Architekten*innen, Innenarchitekten*innen und Designer*innen. Das Team arbeitet weltweit für international tätige Unternehmen an der Schnittstelle von Innenarchitektur und Design in dem breiten Spektrum von Lebens- und Arbeitswelten. Zu den laufenden Projekten zählen unter anderem der Umbau des eigenen Büros am Checkpoint Charlie, MOL Headquarters in Budapest (Architektur: Foster + Partners), Kinderspital in Zürich (Architektur: Herzog & de Meuron) und KWS Covestro Campus in Leverkusen (Architektur: HENN).

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