Die Attraktivität eines Hotels kommt in erheblichem Maße von seiner Architektur. Sei es internationaler Luxus wie im Armani-Hotel im Burj Khalifa, dem höchsten Gebäude der Welt in Dubai, das stark in lokalen Traditionen verwurzelte Royal Mansour in Marrakesch von OBMI oder das im Schweizer Holzbaustil errichtete The Dolder Grand in Zürich, welches mit historischem Charme überwältigt. Dieses ganz große Kino findet man in Deutschland weniger. Oder besser gesagt, nicht das ist es, was das Publikum anzieht, vielmehr punkten kleine feine Häuser mit ihrem jeweils unterschiedlichen Charakter. So zumindest in den Augen von Herausgeberin Angelika Taschen, die in ihrem Buch „Great Escapes Germany“ genau solche Hotels versammelt hat.
Taschen erzählt in bewährter Zusammenarbeit mit Autorin Christiane Reiter spannende Geschichten über die Hintergründe von Hotels, die es verdienen, „entdeckt“ zu werden. Viele dieser „geheimen“ Rückzugsorte punkten mit ihrer Historie, der liebevollen Restauration ihrer Eigentümer oder mit einem Altstadtambiente, das seinesgleichen sucht. So war das Aarskogs Boutique Hotel (bis 2024 Smucke Steed) in Glücksburg (Schleswig-Holstein) einst ein Mädchenpensionat, das 1898 Olga Claudius, die Urgroßnichte des deutschen Dichters Matthias Claudius, erbauen ließ. Oder das Gut Üselitz in Poseritz (Insel Rügen), wo die Besitzer ein Renaissancegebäude aus dem 16. Jahrhundert, eine Ruine, sanierten und daraus ein „trutziges Wasserschloss (machten), in dessen Erdgeschoss historische auf moderne Elemente treffen und das sieben schlicht-elegante Ferienwohnungen umfasst“, wie Reiter schreibt.
Kunst und Kraniche
Eine Kategorie, die in „Great Escapes“ stark vertreten ist, sind Gutshöfe. Zu den Highlights gehört das Kranich Museum & Hotel in Hessenburg/Saal (Mecklenburg-Vorpommern). In und um das 1840 erbaute Gutshaus können Besucher einer stetig wachsenden Sammlung zeitgenössischer Kunst begegnen, die in Beziehung zu diesem Ort steht, wo jedes Jahr im Frühling und Herbst hunderte Kraniche Zwischenstopp einlegen. Die historische Aufteilung des Gutshof Hessenburg ist unverändert. Nördlich des Herrenhauses sind die Hofschmiede (heute Kranich Café), Stellmacherei und Schnitterkate, Kuhstall sowie Schul- und Verwaltungsgebäude angeordnet.

Apartments finden sich im Herrenhaus, im ehemaligen Eishaus und in der einstigen Schmiede. Architekt/Künstler Alex Schweder und Architekt Clemens Klein haben hier rohe Backsteinwände und Parkettböden kombiniert. Im Interieur finden sich Antiquitäten, Designerstücke, frei stehende Badewannen und gusseiserne Öfen.
Wohnen im Bauhaus
Ein besonderes Schmankerl für Architekturfreunde ist das Bauhaus Dessau Atelierhaus (Sachsen-Anhalt). Wo in den 1920er-Jahren Studenten die Ideen von Größen wie Mies van der Rohe und Walter Gropius aufsaugten, kann heute übernachtet und die Atmosphäre des Bauhauses nachempfunden werden. Den Vorstellungen des Bauhaus-Gründers Gropius entspricht auch die Ausstattung der 24 m² großen Zimmer. Sie ist reduziert, man könnte auch spartanisch sagen, „Internet, Fernseher oder gar Minibar sucht man vergebens – ein Waschbecken gibt es, doch Bad und Toilette liegen auf dem Flur und werden mit anderen Gästen geteilt“, berichtet Reiter. Eindeutig etwas für eingeschworene Bauhaus-Fans.

Das schiefste Hotel der Welt
Eine Kuriosität ist das „Schiefe Haus“ in Ulm. Die Baden-Württembergische Variante des Schiefen Turms von Pisa neigt sich ebenfalls sehr sehr stark. „Seit Mitte des 15. Jahrhunderts steht es schon in dieser vermeintlich wackligen Position im historischen Fischerviertel von Ulm. Damals begann der Boden nachzugeben, der an der Südseite des Grundstücks weicher war als an der Nordseite, und das ursprünglich hölzerne Haus neigte sich mehr und mehr zur Seite“, erläutert Christiane Reiter. Übrigens findet man dieses Haus auch im Guinessbuch der Rekorde als das schiefste Hotel der Welt.

Rückzug in die Berge
Die wahren Rückzugsorte finden sich naturgemäß in den Bergen. Deshalb bietet Bayern die meisten Hotels, die dem Titel „Great Escapes“ gerecht werden. Allen voran das „Ansitz Hohenegg“ in Grünenbach. „Das Anwesen von 1730 liegt im schönen Allgäu auf einer sonnendurchfluteten Lichtung, abseits urbaner Hektik“, schreiben die Besitzer auf ihrer Homepage. Aufatmen lässt es sich hier im Einklang mit der Natur. Diesem Ansatz entsprechen auch die verwendeten Materialien wie Loden, Leder, Holz und Stein im Schindelhaus und den drei Stuben Wipfelglück, Waldblick und Heuboden.

Das Schindelhaus, als Herzstück des Ansitz Hohenegg, verfügt über eine 300-jährige Geschichte. Niedrige Decken, alte Holzstrickwände sind urig, treffen allerdings auf moderne Architektur im Wohnzimmer mit freigelegtem Dachstuhl und einer verglasten Loggia. „Die Besitzer, die in Augsburg eine Brauerei betreiben, haben auch als Innenausstatter Talent bewiesen: Gekonnt kombinierten sie bemalte Bauernschränke und ausrangierte Wirtshaustische mit modernen Kücheninseln und italienischen Designersofas“, zeigt sich Reiter begeistert.
Wo Friedrich der Große übernachtete
Kaum ein Ort könnte historisch interessanter sein als der Burgkeller Meißen. Einst war hier die Residenz der Meißner Burggrafen. Aber auch die berühmte Porzellanmanufaktur nutzte das Gebäude bevor es Ende der 19. Jahrhunderts zum königlich-sächsischen Burgkeller wurde. Das ebenfalls zum Komplex gehörende Kerstinghaus war ursprünglich eine Priesterwohnung (damals „Hachenbergsche Haus“), wo 1762 Friedrich der Große höchstpersönlich die Vorverhandlungen zur Beendigung des Siebenjährigen Krieges führte.
„Es war eine schöne Herausforderung, der Gebäudeanlage wieder Leben einzuhauchen, und dabei die bau- und kulturhistorischen Werte zu erhalten. Archäologische Grabungen, das Erhalten der Rundbogengewölbe und immer wiederkehrende Überraschungen während der Bauphase verlangten viel Leidenschaft und Geduld“, gewähren die Eigentümer (Familie Barth) Einblick in die Hindernisse bei der Renovierung.

Angelika Taschen gelingt es gemeinsam mit Autorin Christiane Reiter, die Vielfalt der Beherbergungskultur in den deutschen Ländern auf verführerische Weise darzustellen. Dabei liegt das Text-Bild-Verhältnis ganz auf Seiten der vielen hervorragenden Fotos. Die prägnanten Texte zollen den kurzen Aufmerksamkeitsspannen heutiger Leser Tribut. Aufgrund des Charakters von „Great Escapes Germany“ finden sich hier keine Hotels in großen Städten wie Berlin, Köln oder München. Stattdessen lässt der Fokus auf den ländlichen und kleinstädtischen Raum tief in die deutsche Geschichte blicken. Kulturlandschaftliche Schönheit und bauhistorische Kleinode tragen dazu bei, einen neuen Blick auf vernachlässigte Regionen Deutschlands zu legen.
