Home Design Space Age und verwunschene Kreaturen – Mailänder Designwoche 2025

Space Age und verwunschene Kreaturen – Mailänder Designwoche 2025

von redaktion
„Ground Control“ von J. & L. Lobmeyr und BCXSY erinnert an das Space Age und transferiert die Expertise des Traditionsunternehmens in eine tragbare Leuchte, ausgestattet mit Voltra Lighting Connected Engines. Foto: Giuseppe De Francesco

In zunehmendem Ausmaß bietet die Mailänder Designwoche Installationen, künstlerische Ausstellungen und Initiativen, die nicht immer Produkte in den Fokus rücken, sondern auf den etwas anderen Umgang mit einem bestimmten Material abzielen oder eine spannende Geschichte erzählen. Ganz vorne rangiert hierbei Rossana Orlandis Galerie, die auch 2025 mit Ro Collectible eine Vielzahl sammlungswerter Designobjekte in dem verwinkelten Gebäudekomplex an der Via Matteo Bandello versammelte. In einem der vielen Räume war die neue Bodenleuchte von Yellowdot „Hatch“ zu bewundern. Das Duo mit Sitz in Hongkong hat sich auf die Gestaltung mit Eierschalen spezialisiert. Bodin Hon erklärt im Gespräch, dass es eine geradezu offensichtliche Materialwahl gewesen sei, angesichts der Unmengen von Eiern, die jeden Tag gegessen und verarbeitet werden.

Yellowdot sind Dilara Kan und Bodin Hon. Ihre Experimente mit Eierschalen haben zu außergewöhnlichen Ergebnissen geführt – wie der Stehlampe „Hatch“. © Foto: Ali Gulsener

Unweit des Eingangs zur Ro Gallery war die Präsentation des österreichischen Traditionsbetriebs Lobmeyr zu sehen. Herausragend – ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Designstudio BCXSY entstand: „Ground Control“. Als Hommage an den legendären Metropolitan-Kronleuchter präsentierte Lobmeyr eine auch vom Ästhetischen her bahnbrechende tragbare Leuchte. Die wundervolle Kreation fängt mit ihrem Retro-Charme die Faszination der Menschheit für die Weiten des Weltraums ein.

Boaz Cohen und Sayaka Yamamoto gründeten ihr Studio BCXSY im Jahr 2007. Das niederländisch-japanische Duo setzt auf subtile Elemente der Überraschung. Foto: Giuseppe De Francesco

Eine Installation mit biblischer Namensgebung, „Exodus“, kreierten Luca Nichetto und JoAnn Tan für den schwedischen Bodenbelagsspezialisten Bolon. Eine Vielzahl geheimnisvoller, anthropomorpher Kreaturen bevölkerte ein historisches Mailänder Haus und alle schienen zum Licht zu streben. Faszinierend, wie aus einem Material für Bodenbeläge derart attraktive Gebilde entstehen können.

Highlights der Superdesignshow

Bekannt für ihren „Albero della Vita“ (Baum des Lebens) stellte Carla Tolomeo im Rahmen der Superdesignshow in Mailand eine ganze Reihe wundersamer Blütenblätter-Bäume aus Stoff vor. Getragen werden sie von einer Struktur aus Eisen und Holz. Die Auswahl der Stoffe ist eine Hommage an die venezianische bzw. generell italienische Textilkunst, sagt Tolomeo.

Ebenfalls bei der Superdesignshow von Superstudio Più, die zum 25-jährigen Jubiläum unter dem Motto „Happiness“ stand, war eine Kooperation der elektrischen Motorradmarke Flying Flea und Mattia Biagi zu sehen. Der in LA beheimatete Künstler taufte seine einmalige Kreation auf den Namen „Motototem“. Beginnend mit dem Modell FF.C6 von Flying Flea (Royal Enfield), hatte Biagi Elemente aus natürlichen Materialien in das Design integriert (Travertin, Ton, Bronze, Stein, Leder und Glas). Komponenten wie den geschmiedeten Aluminiumrahmen, die Trägergabeln und das Magnesium-Batteriegehäuse interpretierte er damit auf ungewöhnliche Art neu.

New Austrian Design in der Erotika Boutique

Den wohl ungewöhnlichsten Ausstellungsort hatte die österreichische Galerie Zippenfenig in Mailand ausfindig gemacht. Im Keller der Erotika Boutique war mit „Vienna Vibes“ neues Design aus Österreich zu sehen. Bemerkenswert – wie gut sich die Exponate mit den Regalen voller Sex-Utensilien vertrugen. Das hervorragende Ausstellungsdesign von Thomas Waidhofer war dafür hauptverantwortlich. Eine weitere Neuheit mit österreichischer Beteiligung präsentierte Servomuto in seinem Studio. Die Kooperation mit dem Modedesigner Arthur Arbesser mündete in der Tischleuchte „Huf“. Der vielfältig bedruckbare Lampenschirm kommt besonders dann gut zur Geltung, wenn er mit den attraktiven Mustern aus der Feder Arbessers ausgestattet ist.

Von Österreich nach Ungarn: Die Hungarian Fashion & Design Agency präsentierte im 5VIE-Designbezirk (im A01) die Schau „Budapest Select – A VVoven View“. Die Arbeiten von 24 ungarischen Kreativen überspannten die Felder traditionelles Handwerk, technologischer Fortschritt und nachhaltiges Design. Das auffälligste Merkmal des Ausstellungsdesigns waren weiße schwebende Papierblätter, die Reinheit und unendliche kreative Möglichkeiten symbolisieren sollten. Insgesamt ein schöner Einblick in die ungarische Designszene.

Präsentation der ungarischen Designszene in Mailand. © Hungarian Fashion & Design Agency

Showroom-Höhepunkte

Im Bereich der vielen Showrooms von Mailand möchte die FORMFAKTOR-Redaktion lediglich drei hervorheben. So zeigte Budri die CHARME-Kollektion von Eric Carlson (CARBONDALE), eine Serie, die von der Haute Couture inspiriert ist, eine Welt, in der sich der Spezialist für Marmor und Onyx wie Zuhause fühlt. Viele Kooperationen mit Modehäusern haben das Unternehmen zur Erkenntnis geführt, dass sich Marmor nicht nur für die Architektur eignet, sondern auch als Schmuckstück. Die filigrane Schönheit von Ringen, Armbändern, Anhängern, Halsketten und Kameen animierte Carlson dazu, jedes designte Einrichtungsobjekt wie ein Schmuckstück zu behandeln.

Unter den fünfzehn Stücken der CHARME-Kollektion sticht ein Couchtisch hervor, der von einem Armband aus Zuchtperlen inspiriert ist und aus Bianco Namibia und Pink Onyx gefertigt wurde. © Budri

Das Erstaunlichste an Italian Radical Design ist, dass es mittlerweile historische Stücke sind, die sich noch immer nicht dem Designkanon angeschlossen haben, sondern vielmehr einen ganz eigenen Kanon bilden. Der Flagshipstore von Seletti stand unter dem Motto „Hotel Voyeur“. Die größte Aufmerksamkeit verdiente die SUPERFURNITURE-Inszenierung (Design: Hello Again). Es ist eine Hommage an das Design der 60er- und 70er-Jahre. Um diese Tradition weiterzutragen sind Kooperationen mit jungen Designstudios notwendig, die über ein passendes Mindset verfügen – wie etwa Toiletpaper oder Annebeth Philips.

SUPERFURNITURE von Hello Again – die grafische Qualität und Ironie der Inszenierung faszinieren. © Seletti, Foto: Antinori

Gut besucht war das Showroom-Apartment von Bocci. Das kanadische Studio unter der kreativen Leitung von Omer Arbel hatte aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums den Galeristen David Alhadeff (The Future Perfect) eingeladen, die Räumlichkeiten speziell auszustatten. Unter dem Titel „The Numbers Between The Numbers“ waren archivierte Konzepte, Fragmente und natürlich fertige Designs zu sehen, die Einblick in die Prozess-bestimmte Designarbeit Arbels gewährten, vor allem aber eine enorm stimmungsvolle Atmosphäre verströmten.

20 Jahre Bocci wurde mit einer besonderen Showroom-Apartment-Installation gefeiert. © Bocci

Spaß und stimmungsvolle Interieurs

Eine der größeren Ausstellungen in Mailand organisierte Moscapartners. Ihre Variations machten im Palazzo Litta Station. Mit dabei Fico, ein Designstudio gegründet von Rayana Hossain, das sich auf Möbeldesign spezialisiert hat und dabei die Verbindungen von Handwerk, Erbe und Modernität untersucht. Auffällig an der Präsentation in Mailand war „Woven Air“, eine poetische Serie, die strukturierte geometrische Holzpaneele nahtlos mit der zarten Transparenz handgewebter Jamdani-Textilien verknüpft. Diese ätherische Fusion erinnert an eine der kompliziertesten Webtraditionen der Welt. Das filigrane Erscheinungsbild lässt daran denken, dass jegliches Erbe innerhalb unserer modernen Welt sehr zerbrechlich sein kann.

„Woven Air“ von Fico sind filigran wirkende Holzpaneele aus gestapelten geometrischen Formen. Foto: Lea Anouchinsky

Im Design-Trubel an der Mailänder Universität Statale (organisiert von INTERNI), war eines der beim Publikum beliebtesten Objekte TAM TAM (Temple, Action, Movement), eine Installation von Alvisi Kirimoto in Zusammenarbeit mit COREPLA. Die 6 x 6 x 5 Meter umfassende Struktur beinhaltete sechs bewegliche Säulen, die veranschaulichten, wie sich die Natur von Beziehungen verändern kann.

TAM TAM im Innenhof der Statale-Universität erlaubte den Besuchern das Spiel mit sich verändernden Beziehungen.

Die 1970 Von Ilario Mingardo als Schmiedewerkstatt gegründete Marke Mingardo bot in Mailand eine Vorschau auf neue Möbel- und Metallobjekte. Unter der Leitung von Art Director Paul Abbiati waren Arbeiten von Joffrey Dappe, Andy Hillman, Andrea Tognon, Riccardo Villa Fabbiati und Gregory Beson dabei. Letzterer hat den Stuhl/Sessel „Pina“ designt, der von der hochstehenden Expertise des Teams von Mingardo lebt und eine spezielle Aura entwickelt.

Herausragende Metallbearbeitung – „Pina“-Sessel von Gregory Beson für Mingardo. © Mingardo

Design darf auch Spaß machen. Dazu angetan war etwa der klappbare Tisch „Never Stop Moving“ von MadC (Claudia Walde) für Eins zu Eins. Die Street Art-Künstlerin, bekannt für ihre großformatigen Wandgemälde, übertrug ihre Bildsprache in die 3. Dimension und hofft damit, eine unerwartete Möglichkeit der Begegnung mit Kunst geschaffen zu haben. Der in einer limitierten Auflage von nur 50 Stück gefertigte Tisch stellt eine seltene Verbindung von Street Art und Sammlermöbel dar.

MadC für Eins zu Eins – ein künstlerischer Tisch aus maßgefertigten, widerstandsfähigen Laminat-Platten. © Eins zu Eins

Düfte und Lichtschleier

Anlässlich seines MDW-Debüts präsentierte der Pariser Modeschöpfer und Parfümeur Marc-Antoine Barrois auf der Mailänder Designwoche sein neuestes Parfüm ALDEBARAN in einer großformatigen Installation des französischen Künstlers und Designers Antoine Bouillot. Die Arbeit verband olfaktorische Kunst sowie experimentelles Design und ließ die Besucher in Barrois und Bouillots Interpretation von Optimismus und Hoffnung inmitten herausfordernder Zeiten eintauchen.

Parfüm und Design – MISSION ALDEBARAN von Marc-Antoine Barrois & Antoine Bouillot. © Keffer

Last but not least – ein kurzer Blick auf die diesjährige Präsentation von Google. Der Höhepunkt in „Making the Invisible Visible“ (Garage 21) war die jüngste Arbeit des Lichtkünstlers Lachlan Turczan „Lucida (I-IV)“. Die kegelförmigen Strukturen bestanden nur aus Licht und die Besucher konnten damit interagieren. Es waren leuchtende Schleier aus Laserlicht, die betreten und durchstoßen werden durften. Erst wenn sich jemand durch dieses Licht bewegte, aktivierte die physische Präsenz das Werk. Licht bog sich, verzog sich und reagierte mit fließender Dynamik. Ohne Zweifel eines der wundersamsten und erfreulichsten Erlebnisse der Mailänder Designwoche 2025.

Indem „Lucida“ von Lachlan Turczan dem Licht die Eigenschaften physischer Materie verleiht, deutet es auf eine Zukunft hin, in der die Form nicht mehr auf physischer Masse, sondern auf Energie und Wahrnehmung beruht.

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