Home Architecture Soziale Räume durch Kunst schaffen – Friedrich Kiesler-Preis für Theaster Gates

Soziale Räume durch Kunst schaffen – Friedrich Kiesler-Preis für Theaster Gates

von Markus Schraml
Theaster Gates

Liebhaber experimenteller Musikformen kennen ihn als Gründer des Ensembles Black Monks (ursprünglich Black Monks of Mississippi). Der künstlerische Schaffensbereich Theaster Gates’ reicht jedoch sehr viel weiter. Das Ziel all seiner Projekte und Kunst-Interventionen im urbanen Raum ist, das Leben der Menschen zu verbessern. Nun erhält Gates den 12. Österreichischen Friedrich Kiesler-Preis für Architektur und Kunst.

Theaster Gates befasst sich seit vielen Jahren mit Themen der Raumplanung und darin vor allem mit der Revitalisierung und Reaktivierung von Gebäuden. Durch ambitionierte kulturelle Projekte setzt er sich intensiv für schwarze Communitys in den USA ein. Seine bekannteste Initiative ist die „Rebuild Foundation“, eine Non-Profit-Organisation in Chicago, die leer stehende Gebäude sowie verlassene Räume im Süden der Stadt in kulturelle Orte für die Nachbarschaft verwandelt. Das Ziel wird folgendermaßen definiert: „Es geht darum, die kulturellen Grundlagen von vernachlässigten Stadtvierteln wieder aufzubauen und Bewegungen zur Community-Wiederbelebung anzuregen, die kulturbasiert sind, von Künstlern geführt werden und die aus der Nachbarschaft kommen.“

Theaster Gates hat sich auch intensiv mit der Töpferei beschäftigt sowie mit Religionswissenschaften. © Flickr: Unleashing Entrepreneurial Innovation with Stanford University: Theaster Gates, CC BY-SA 2.0, swiss-image.ch

Die Beziehung Architektur und Kunst

Der Österreichische Friedrich Kiesler-Preis für Architektur und Kunst ist mit der Summe von 55.000 Euro einer der höchstdotierten internationalen Preise in diesem Bereich. Der Würdigungspreis erinnert an die zukunftsweisende Arbeit des in Czernowitz geborenen und 1926 in die USA ausgewanderten Künstlers, Designers, Bühnenbildners und Architekten Friedrich Kiesler (1890–1965). Ausgezeichnet werden hervorragende Leistungen im Bereich der Architektur und Künste, die den experimentell-innovativen Auffassungen Friedrich Kieslers und seiner Theorie der correlated arts entsprechen, heißt es in den Statuten.

Theaster Gates scheint für diesen Preis prädestiniert zu sein, denn er überschreitet die Grenzen der Disziplinen Architektur und Kunst in einzigartiger, sozial engagierter Weise. Und dabei hat er im Kern immer ein Ziel vor Augen, die Unterstützung der benachteiligten schwarzen Communitys in den Vereinigten Staaten. „Theaster Gates versteht es wie kaum ein anderer, in seinem Schaffen soziales Engagement mit architektonisch-künstlerischen Lösungen zu verbinden“, kommentiert Elke Delugan-Meissl, Präsidentin der Friedrich Kiesler Stiftung, die Preisvergabe. „Die dabei geschaffenen Orte sind nicht nur neue Zentren für die Gemeinschaft, sondern bestechen durch ihre außergewöhnlich poetische und räumlich-ästhetische Qualität. Gates’ neuartige Raumpraxis, verbunden mit einer gesellschaftlichen Agenda, hebt sowohl den Friedrich Kiesler-Preis als auch die Architektur als künstlerische Disziplin auf eine neue Ebene.”

Jurybegründung

Die Jury des Friedrich Kiesler-Preises begründet ihre Entscheidung wie folgt: „Seine künstlerische Praxis umspannt verschiedene Genres der Kunst und verbindet sie mit sozialem Engagement. Gates‘ außergewöhnliche Leistungen lassen sich mühelos mit Friedrich Kieslers künstlerischen Konzepten und seiner experimentellen Haltung in Verbindung bringen, in Richtung der Vereinigung aller Künste mit der gebauten Umwelt und einer sozialen Vorstellung von Raum.“ Die Jury setzte sich aus Elizabeth Diller (Diller Scofidio + Renfro, New York), der Juryvorsitzenden Bettina Götz (ARTEC Architekten, Wien), Dominique Gonzalez-Foerster (Paris), Anab Jain (Superflux, London sowie Universität für angewandte Kunst Wien) und Wolfgang Tschapeller (Wolfgang Tschapeller ZT GmbH sowie Akademie der bildenden Künste Wien) zusammen.

Theaster Gates war und ist in internationalen Ausstellungen präsent: Unter anderem auf der documenta 13 in Kassel, in der National Gallery of Art, Washington DC und dem Walker Art Center, Minneapolis (USA), im Palais de Tokyo, Paris, im Kunstmuseum Basel, in der Fondazione Prada, Mailand, dem Kunsthaus Bregenz (AT) oder im Haus der Kunst in München. Für letztere Einrichtung hat Theaster Gates die raumgreifende Installation „Black Chapel“ entwickelt, die zwischen Oktober 2019 und August 2020 zu sehen war. Im Begleittext dazu hieß es, „Theaster Gates fasziniert mit spannungsgeladenen Raumkonstellationen, mit denen er das Beziehungsgeflecht zwischen der stereotypen Repräsentation schwarzer Kultur und den dahinter liegenden Machtstrukturen sichtbar macht. Unter Einbezug einer vielgestaltigen Praxis, die Skulptur, Installation, Film, Performance, Improvisation, musikalische Komposition und Aktionen im urbanen Raum einschließt, verwandelt Theaster Gates Räume in Orte der künstlerischen Intervention und damit in potenzielle Plattformen für politischen, kulturellen und sozialen Wandel.“

Dorchester Industries

Ein weiteres typisches Gates-Projekt ist Dorchester Industries. Dabei handelt es sich um eine Produktionsplattform, die Möbel, Objekte und Räume aus außergewöhnlichen, aber oft übersehenen Materialien, die in der Stadt Chicago aufzufinden sind, herstellt. Dieses Projekt hat eine doppelte Mission: Schöne Dinge auf gute Weise zu kreieren und die Mitarbeiter*innen für Berufe im Handwerk und in der Kreativwirtschaft auszubilden. Die im Rahmen des kollaborativen Kreativprozesses produzierten Objekte werden unter der Marke Dorchester Industries verkauft, wobei der Erlös die Initiative unterstützt und somit die Gemeinderevitalisierung fördert.

„Räume und Plattformen, die die Leistung schwarzer Künstler und Designer hervorheben, wurden lange Zeit übersehen. Projekte, die den Menschen ebenso beachten wie die Implikationen einer gebauten Form, verdienen Anerkennung. Ich bin sehr dankbar, Teil dieses beispielhaften Prozesses zu sein, und dankbar, dass das Auswahlkomitee meine Arbeit als einen Teil in der Reihe von herausragenden Persönlichkeiten anerkennt, die diesen Preis in der Vergangenheit erhalten haben. Mein Dank gilt all jenen, die meine Arbeit sowohl in den Museen als auch auf der Straße unterstützt haben,“ sagt Theaster Gates in einer ersten Reaktion auf den Erhalt des Preises.

Theaster Gates hat zahlreiche internationale Preise gewonnen, darunter den Artes Mundi 6-Preis, die Auszeichnung Légion d’Honneur, den Kurt-Schwitters-Preis, den Nasher Prize for Sculpture, den Urban Land Institute, J.C. Nichols Prize for Visionaries in Urban Development sowie den 2020 Crystal Award. Er ist Professor für bildende Kunst an der University of Chicago, wo er auch als Chefberater für kulturelle Innovation und als Berater des Dekans an der Harris School of Public Policy tätig ist.

Friedrich Kiesler an seinem Schreibtisch, New York, 1947, Foto © Ben Schnall

Friedrich Kiesler-Preis

Seit seiner Begründung im Jahr 1997 wurde der Friedrich Kiesler-Preis an folgende Persönlichkeiten verliehen: Frank O. Gehry (1998), Judith Barry (2000), Cedric Price (2002), Asymptote Architecture / Hani Rashid + Lise Anne Couture (2004), Olafur Eliasson (2006), Toyo Ito (2008), Heimo Zobernig (2010), Andrea Zittel (2012), Bruce Nauman (2014), Andrés Jaque (2016) und Yona Friedman (2018). Die Vergabe und Dotierung des Preises erfolgt abwechselnd alle zwei Jahre aus Mitteln der Republik Österreich sowie der Stadt Wien in Organisation mit der Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, die ihren Sitz in Wien hat. Bedingt durch die Coronakrise wurde die Ermittlung des Preises im Jahr 2020 auf 2021 verschoben. Die offizielle Preisverleihung ist im Spätherbst 2021 durch Veronica Kaup-Hasler, Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, geplant.


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