Home Art Das Schöne, das im Schrecklichen liegt – HR Giger

Das Schöne, das im Schrecklichen liegt – HR Giger

von Markus Schraml
N.Y. City II (Lovecraft über N.Y.C.), 1980, Acryl und Tusche auf Papier, 100 x 140 cm (39 3∕8 x 55 1∕8 Zoll). © Carmen Giger (HR Giger Estate)

Das Werk von HR Giger (1940 – 2014) nimmt in der Kunstwelt eine Sonderstellung ein. Seine düsteren, alptraumhaften Visionen von Mensch-Maschinen-Kreaturen ziehen – durch die künstlerische Könnerschaft des Schweizers – die Betrachter in ihren Bann. Dass seine Biomechaniken weltweite Bekanntheit erlangten, ist allerdings einem Film zu verdanken, der das Subgenre des Sci-Fi-Monsterhorrors neu definierte. Für Ridley Scotts „Alien“ (1979) fertige Giger das Titel gebende, außerirdische Ungeheuer an. Zudem besorgte er das eindrückliche Alien-Setting inklusive Raumschiff, Cockpit und Brutkammer. Zu diesem Zeitpunkt – Ende der 70er-Jahre – hatte HR Giger bereits ein umfangreiches Œuvre geschaffen, in dem er seine Ängste manifestierte. Der in Chur Geborene war aber nicht nur Maler, sondern gestaltete auch Plattencover (etwa für Emerson, Lake & Palmer), Inneneinrichtungen, Skulpturen und eben Filmsettings. Sein Abschluss in Innenausbau und Industriedesign an der Kunstgewerbeschule in Zürich war ihm dabei ohne Zweifel hilfreich.

Plattencover für Emerson, Lake and Palmers „Brain Salad Surgery“ (1973). © Carmen Giger (HR Giger Estate)

Im TASCHEN-Verlag ist eine ausführliche Monografie zu HR Giger erschienen, die das beeindruckende Werk mit vielen Fotos und der Expertise von Autor Andreas J. Hirsch veranschaulicht. Sicherlich bildet das künstlerische Werk von Giger das Zentrum seines Schaffens, aber neben und hinter seinen biomechanischen Geschöpfen sind oft auch ungewöhnliche, verunsichernde Umgebungen zu sehen. „Mit dem, was als sein biomechanischer Stil begann, hat er nicht weniger als ein eigenes Genre geschaffen, dessen visionäre Kraft gerade darin liegt, dass es bis zu einem gewissen Grad mittlerweile von der technologischen Realität in Medizin und Gentechnik eingelöst worden ist“, schreibt Hirsch und der Autor diese Zeilen fügt hinzu – auf erschreckende Weise. Manch irregeleiteten Transhumanisten mögen Gigers Mensch-Maschine-Hybridwesen als frühe Offenbarung gelten. Sie vergessen jedoch, dass aus seinen Bildern in erster Linie der Horror und die Warnung sprechen.

The Spell I, 1973–1974, Acryl und Tusche auf Papier und Holz, 240 x 280 cm (94 x 110 Zoll). © Carmen Giger (HR Giger Estate)

Die Faszination des Düsteren

Zwar sind Gigers Darstellungen voller Ängste und Abgründe, aber für ihn selbst war in diesem Schrecklichen immer auch das Schöne implizit. Eine Art Anziehung, die er bereits als Kind im Rätischen Museum in Chur, wo eine ägyptische Frauenmumie ausgestellt war, verspürte. HR Gigers Gemälde sind rätselhafte Erzählungen, ein Zugang, der ihm später als Setdesigner zupass kommen sollte. „Der Künstler und der Designer standen bei Giger stets in einem regen Austausch“, schreibt Andreas J. Hirsch. „Viele seiner Bildfindungen sind letztlich von einem Designdenken instruiert, das auch den Maler nie verließ. Viele der von ihm kreierten Wesen finden sich in Zeichnungen und auf Gemälden, wurden von ihm aber auch als Plastiken realisiert.“ Was diesen Drang ins Dreidimensionale betrifft, war seine Arbeit für den Film Alien nur die logische Folge eines längst im Werk angelegten Prozesses, meint Hirsch.

Zwischen Design und Kunst

Während Giger für seine Designprojekte Skizzen auf Papier anfertigte, war seine künstlerische Vorgehensweise viel freier. So arbeitete er etwa für die Airbrush-Bilder wie in einer Art Trancezustand vor sich hin – ohne Plan. Aus diesem Gegensatz seiner Arbeitsmethoden entsprangen auch die „Harkonnen“-Möbel, die ursprünglich für das gescheiterte Dune-Projekt des Regisseurs Alejandro Jodorowsky entstanden waren. Die Möbel wurden mit der Zeit zu einem eigenständigen Teil im Œuvre Gigers. „Die Möbelstücke, ein Tisch mit Sesseln, von denen einer als sogenannter Capo-Stuhl mit drei übereinander gesteckten Totenschädeln ausgeführt wurde, ergaben schließlich ergänzt um einen Spiegel, einen Schrank und Bodenplatten einen kompletten Raum. Mit diesen Möbeln stattete Giger auch das Esszimmer in seinem Haus in Zürich-Oerlikon aus“, erzählt Hirsch.

Harkonnen Environment, 1981–1982, Polyester, Metall, Gummi, Harkonnen-Capo-Stuhl, 65 × 180 × 100 cm (25 5∕8 × 70 7∕8 × 39 3∕8 Zoll). © Carmen Giger (HR Giger Estate)

HR Giger beschreibt diese Episode in seinem Leben mit folgenden Worten: „Conny de Fries und ich gründeten ein Möbelstudio. Dort entstand das erste, komplizierteste und dennoch beste Stück – der Capo-Stuhl mit drei übereinander gestapelten Totenköpfen … Am Ende kostete mich die gesamte Möbellinie 250.000 Schweizer Franken, aber wir haben tatsächlich nichts verkauft. Die ausschließlich handgefertigten Stücke waren für normale Leute zu teuer und für Kunstsammler nicht kunstvoll genug.“

Weitere Gestaltungen Gigers waren die Bars in Tokio (1988) und Chur (1992) sowie der „Zodiakbrunnen“ (1997), ein Set von zwölf metallenen Figuren, die den gesamten Tierkreis repräsentierten. Ein Meilenstein war das von ihm selbst gestaltete, 1998 eröffnete HR Giger Museum im Château Saint-Germain in Gruyères. Im Jahr 2003 öffnete eine weitere HR Giger Bar im Gebäudekomplex des Schlosses.

HR Giger. Hardcover in einer Box, 29 x 39.5 cm, 6.20 kg, 506 S., Mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch), Verlag: TASCHEN

Dystopische Kraft

HR Giger kann als Erneuerer der fantastischen Kunst gelten, wobei die künstlerische Arbeit für ihn eine „lebenswichtige Tätigkeit war, um nicht verrückt zu werden“. Am bekanntesten sind seine Frauenfiguren, die mit technisch aussehenden Gerätschaften umgeben sind oder sogar mit ihnen agieren (müssen). Die Bildstärke entsteht einerseits durch die Ausführung an sich, aber auch durch den erzählerischen Charakter. Giger hatte fantastische Literatur schon in jungen Jahren verschlungen. Offensichtlich war er dabei weniger von den utopischen Vorstellungen der Zukunft eines Jules Verne (Von der Erde zum Mond, 1865) beeinflusst, sondern vielmehr von H.P. Lovecraft oder Edgar Allan Poe. Seine Bilder sind dystopisch und ein visuelles Pendant zur Technik-kritischen Sci-Fi-Literatur. Sie haben auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung nichts von ihrer Kraft verloren und lassen bei den Betrachtern nach wie vor ein Gefühl zwischen Faszination und Abscheu aufkommen.



Weitere TOP-Artikel