Home Design Der langweilige Alltag als Designquelle – Oki Sato (nendo)

Der langweilige Alltag als Designquelle – Oki Sato (nendo)

von Markus Schraml
Oki Sato (nendo) achtet auf die kleinen Risse und Veränderungen im Alltag. Foto © Hiroshi Iwasaki

Im japanischen Designstudio nendo arbeiten die weltweit kreativsten Gestalter. Diese Behauptung kann ganz leicht mit dem wohl vielfältigsten Portfolio in der Branche belegt werden. Die Palette reicht von Spielzeug und Gegenständen der Tischkultur über Interieurs und Architekturprojekten bis hin zu Ausstellungen und natürlich Möbelobjekten. CEO und Chefdesigner Oki Sato gründete nendo im Jahr 2002 in Tokio. Bereits 2005 öffnete er ein Büro in Mailand, eine Stadt, die für seine berufliche Entwicklung enorme Bedeutung hat. Was er bei seinem ersten Besuch des Salone del Mobile (2002) sah, war ein Eyeopener für ihn. Diese Freiheit in der Gestaltung kannte der damalige Architekturstudent von seinem Heimatland nicht. Genau danach hatte er gesucht. In der Folge wurde Italien zu einem wichtigen Bezugspunkt und nendo hat im Lauf der Jahre für eine Vielzahl italienischer Möbelunternehmen gestaltet.

Aus der Reihe der Projekte, die nendo 2024 in Mailand zeigte, stach vor allem die Ausstellung „nendo: whispers of nature“ auf dem Showroom-Gelände von Paola Lenti Milano heraus. Die Soloausstellung bestand aus fünf Installationen, eine davon trug den Titel „pond dipping“ und war das Ergebnis von Experimenten mit Textilspulen und deren Eintauchen in Farbe. Daraus entstanden sechs Teppiche, die sich durch Textilmuster auszeichnen, welche durch den Eintauchwinkel und die Dicke der Spule entstehen. In „clustered clouds“ wiederum kommt die Inspiration aus den Formen der Wolken. Das Cluster-Wolken-Regalsystem besteht aus perforiertem Edelstahl. Die geometrischen Formen innerhalb der transluzenten Volumen verstärken den Eindruck der Leere.

In Mailand wurde auch das Ergebnis einer Zusammenarbeit von nendo und Paola Lenti präsentiert. Für die Kollektion „Hana-arashi“ verwendeten Oki Sato und sein Team Reststücke des Materials „Maris“ und hauchten ihm nach vielen Tests neues Leben ein. Das Endergebnis ist eine lebendige Serie von Sesseln, Tischen, Leuchten und Accessoires, in denen die Idee der japanischen Faltkunst mit der hohen Expertise der Handwerker von Paola Lenti verschmilzt. Im FORMFAKTOR-Interview spricht Oki Sato über sein Verhältnis zu Italien und den langweiligen Alltag als Inspirationsquelle.


FORMFAKTOR: Der Titel der Installation lautet „Whispers of Nature“, also „Flüstern der Natur“. Warum ist es nur ein Flüstern?

Oki Sato: Es geht um die kleinen Hinweise, die die Natur gibt. Auch darum – Natur aus einer anderen Perspektive zu betrachten, Natur auf eine andere Art zu spüren und natürlich auch die Natur zu respektieren. Aber es geht auch darum, Ideen zu finden. Diese fünf Installationen sind alle von der Natur inspiriert. Dabei sind es oft kleine Veränderungen, kleine Risse, die mein Interesse wecken.

FORMFAKTOR: Halten Sie sich dafür oft in der Natur auf?

Oki Sato: Nein, ich gehe nicht Camping oder so. Was ich meine ist, wenn ich tagtäglich durch die Straßen gehe, einen Kaffee trinke und dabei kleine Veränderungen feststelle. Das sind keine Veränderungen, die jemand vordergründig verursacht hat, sondern einfach natürliche Veränderungen. Man könnte es vielleicht als den Fluss der Zeit bezeichnen. Ich genieße das, die Routine – der langweilige Alltag ist meine Designquelle. Das nenne ich Natur. Ich gehe also nicht Tauchen oder Wandern – so ein Mensch bin ich nicht. (lacht)

FORMFAKTOR: Welche Rolle spielt Natur in Ihrer Arbeit generell?

Oki Sato: Im Jahr 2004 stellte ich auf dem SaloneSatellite aus und der Titel war „fur:nature“. Es ging um Möbel, die von der Natur inspiriert waren. Normalerweise schaue ich nie zurück, sondern bin voll auf die aktuelle Arbeit fokussiert. Aber während Covid hatte ich ein bisschen Zeit zur Reflexion und mir fiel auf, dass die Natur für die Arbeit von nendo schon immer etwas sehr Grundlegendes war. Das führte zum Wunsch, wieder Kollektionen zu machen, die sich explizit auf die Natur beziehen.

FORMFAKTOR: Seit über 20 Jahren kommen Sie nach Mailand. Was war Ihr erster Eindruck als Sie erstmals nach Italien kamen?

Oki Sato: Damals studierte ich in Japan Architektur. Dort war alles so strikt. Dass Architekten Einrichtungsobjekte gestalten, war dort keine Option. Als ich 2002 das erste Mal den Salone in Mailand besuchte, war ich erschlagen von der Vielfältigkeit, von der Gestaltungsfreiheit, die dort zu sehen war. Dieser Eindruck führte übrigens zum Namen nendo, was Knetmasse bedeutet. Ich dachte an sich veränderte Formen, Farben, an das Mischen aller möglichen Designsparten: Möbel, Objekte, Grafik. All diese Sachen sollten vermischt sein. So wollte ich designen. Wenn ich Mailand nicht besucht hätte, hätte ich mein Studio wohl nicht gegründet.

FORMFAKTOR: Ein echter Augenöffner …

Oki Sato: … Absolut. Danach begann ich Möbel zu gestalten, Architektur zu entwerfen, Grafiken zu machen usw. Meiner Auffassung nach ergab es einfach Sinn, im Grunde alles zu gestalten, weil es bei Design um Ideen geht und nicht um Abgrenzungen. Damals sagten die Leute in Japan, dass nendo an fünf Dingen gleichzeitig arbeite. Sie meinten damit, dass wir in jede Kategorie nur 20 % hineinstecken würden, aber ich meine, wir machten 500 %, denn wir arbeiteten an jedem Projekt zu 100 %. Verglichen dazu fühlte ich mich in Italien sehr heimisch und habe deshalb zu Anfang mehr hier in Italien gearbeitet und erst später in Japan.

FORMFAKTOR: Nun präsentieren Sie hier in Mailand auch eine neue Kollektion, für die Sie mit Paola Lenti zusammengearbeitet haben. Sie heißt „Hana-arashi“. Was steckt dahinter?

Oki Sato: Es geht um das Experimentieren mit Materialien. Hier sind nicht nur die Ideen wichtig, sondern auch die Prozesse; wie werden Dinge hergestellt. Paola Lenti zeigte uns einige Verschnitte, übriggebliebene Stoffe von ihren Outdoor-Möbeln. Sie machten mit diesem Polypropylen einige Tests, erhitzten und schmolzen es, was zu einem neuen plastikartigen Material führte. Es sah nicht sehr schön aus, aber es war interessant aufgrund seiner soliden Struktur. Zurück in unserem Studio machten wir weitere Tests mit dem Ziel, ein halbfestes Material zu bekommen. Wir verwendeten Mikrowellenherde, wir kochten das Material, gaben es in eine Fritteuse, was die Fritteuse am Ende zerstörte. Mit der Zeit fanden wir die perfekte Temperatur, den perfekten Druck heraus. Das Material kann geklebt werden, wir können es transparent machen, eine Struktur erzeugen, was es fest macht, aber gleichzeitig die weiche Textur behält.

FORMFAKTOR: Die Kollektion ist sehr farbenfroh. Nicht gerade typisch für nendo …

Oki Sato: … (lacht) Ich glaube, wir haben 20 Jahre Farben aufgespart und sie jetzt alle in diese Kollektion gegeben. Viele werden überrascht sein, aber es ist eine Kooperation und ich möchte natürlich das Erbe von Paola Lenti respektieren, wo es sehr viele Farben gibt, auch in den Verschnitten. Wir wollten diese Farben auf eine natürliche Weise kombinieren. Ich denke, am Ende ist es eine Kollektion geworden, die sehr nendo, aber auch sehr Paola Lenti ist.

FORMFAKTOR: Wie würden Sie Paola Lenti beschreiben?

Oki Sato: Ich würde sagen, das Unternehmen ist sehr einzigartig. Das Briefing war ebenfalls einzigartig, weil normalerweise sagt der Client, er möchte zum Beispiel einen Esszimmerstuhl oder einen Tisch, aber bei Paola Lenti zeigte man uns nur ein einfaches Material. Ich dachte, OK – das wird eine Herausforderung, genau meine Welt. Es war sehr aufregend. Bei Paola Lenti werden eine Menge Materialexperimente durchgeführt, dabei geht es nicht nur um Hightech-Materialien, sondern auch darum, wie man neue Finishes, neue Patinas, neue Farben kreieren kann. Sehr inspirierend. Das macht Paola Lenti einzigartig.

FORMFAKTOR: Zum Abschluss: Welche Rolle spielt Humor im Design? Spielt er überhaupt eine Rolle im kreativen Prozess?

Oki Sato: Absolut. Besonders für japanische Designer. Weil wir Japaner sind ja sehr ernst und sehr höflich (lacht) und sehr streng in Bezug auf Regeln. Nachdem das Design immer minimalistischer wird, wird es mitunter auch kalt oder sogar unheimlich. Ich glaube, Design braucht Emotionen und ich denke, Humor ist eine dieser Emotionen und er ist trotz allem auch in der japanischen Kultur vorhanden. Es ergibt keinen Sinn immer klar, sauber und strikt zu sein. Emotionen sind sehr wichtig, besonders in Japan, um eine Verbindung zu den Menschen herzustellen.



Weitere TOP-Artikel