Home Design „Kleine Ideen wachsen lassen“ – Oki Sato (nendo)

„Kleine Ideen wachsen lassen“ – Oki Sato (nendo)

von Markus Schraml
Oki Sato, nendo

Das japanische Designstudio nendo ist das wohl außergewöhnlichste Unternehmen der Gestaltungsbranche mit weltweiter Strahlkraft. Die Kreationen, die unter der Leitung von CEO und Chefdesigner Oki Sato seit 2002 entstehen, sind poetisch, zurückhaltend und überraschen. Oft ist es eine ungewöhnliche Linie oder ein Detail, das aus einer tiefgehenden Beschäftigung mit dem Thema hervorgeht. Das multidisziplinäre Team von nendo erschafft neuartige Konsumgüter, erneuert Markenidentitäten und hat für die bekanntesten Möbelmarken der Welt wie Fritz Hansen, Minotti, Capellini, De Padova, Stellar Works, La Manufacture oder Moroso entworfen. Seit Kurzem erfrischen die Ideen des Studios auch die Kollektionen des traditionellen österreichischen Möbelherstellers Wittmann. Das Unternehmen ist für die ikonischen Entwürfe Josef Hoffmanns bekannt, die nur von Wittmann re-editiert werden dürfen.

Im Gespräch mit Oki Sato erzählt der in Toronto geborene Designer von kleinen Ideen, die man wachsen lassen müsse, von Lichttechnologie, die die Objekte völlig verschwinden lassen könnte und vom Aussterben alter Handwerkstechniken.


FORMFAKTOR: Sie haben erstmals für Wittmann designt – wie kam es dazu?

Oki Sato: Luca Nichetto (Anm.: Art Director von Wittmann) hat mich gefragt. Wir kennen uns, weil wir 2010 oder 11 ein gemeinsames Projekt gemacht haben. Das war übrigens das erste Mal, dass wir mit einem anderen Studio zusammenarbeiteten. Das heißt, es besteht eine Vertrauensbasis, was wichtig war, weil ich die Prototypen aufgrund der Situation der letzten Jahre nicht selbst überprüfen konnte. Aber Luca war vor Ort und ich vertraue ihm. Wir sind Freunde und Partner und ich hatte ein gutes Gefühl in Bezug auf das Projekt für Wittmann. Ich bin sehr froh, nun Teil der Wittmann-Familie zu sein.

FORMFAKTOR: Was denken sie über Wittmann als Möbelhersteller?

Oki Sato: Ich habe mich umfassend mit dem Unternehmen beschäftigt und mir die Geschichte, den österreichischen Hintergrund angeschaut. Das war wirklich interessant, weil es so anders war, als ich es von Firmen kenne, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe. Sei es in Skandinavien, Italien, Frankreich oder England. Bei Wittmann geht es sehr um das Handwerk, um Geometrien, die Farben, die Muster. Diese Art von DNA haben wir in Japan nicht. Es ist spannend zu sehen, wie japanisches Design und österreichische Gestaltungstradition zusammenfinden. Derzeit arbeiten wir an mehreren Projekten, aber die ersten Stücke sind eine Leuchte und ein kleiner Tisch. Und ich glaube, sie funktionieren sehr gut innerhalb der Wittmann-Kollektion.

FORMFAKTOR: Die neue Leuchte heißt „Detour“ (also Umweg) und das Design spiegelt den Namen deutlich wider. Was war Ihre Inspiration?

Oki Sato: Ich wollte etwas kreieren, dass dreidimensional ist, aber zweidimensional wirkt. Es ging also um saubere Linien, geometrische Formen, die ein Muster bilden, wie man es häufig in der Geschichte des österreichischen Handwerks antrifft. Alles in allem ist es ein sehr grafisches Stück geworden.

Namensgebendes Element der „Detour“-Serie ist der seitliche Schwung des schmalen, pulverbeschichteten Stahlrohrs, das bei den Leuchten einen Umweg (engl. detour) um den Lampenschirm nimmt. © Wittmann

FORMFAKTOR: Leuchten sind ja eine sehr spezielle Kategorie im Interieur. Es gibt das Objekt an sich und es wird Licht ausgestrahlt. Wie sehen Sie den Stellenwert von Licht und Leuchten innerhalb des Raums?

Oki Sato: Generell denke ich, dass wir in sehr spannenden Zeiten leben, denn der Leuchten-Bereich hat sich stark gewandelt. Heute haben wir nachhaltige LEDs, andere Möglichkeiten der Diffusion etc. Diese neue Technologie gibt uns enorme Freiheiten in der Gestaltung und in der Kontrolle des Lichts. Das Objekt kann sogar völlig verschwinden, wenn die Lichtquellen vollkommen in den Raum integriert sind und wir das Licht genau dort haben, wo wir es wollen. Das ist die eine Seite, aber eigentlich denke ich, dass Leuchten in Zukunft mehr emotional und persönlicher werden. Weniger funktional, mehr emotional, würde ich sagen. Man könnte es mit dem Verhältnis von Buchhandlungen und unseren Smartphones vergleichen. Wir texten und fotografieren wie wild mit unseren Handys – also ich weiß nicht. Ich mag immer noch die Haptik des physischen Objekts – das ist emotional.

Auch in Bezug auf Wittmann spielt dieser technologische Aspekt keine große Rolle. Hier geht es vielmehr um Emotion, um Einfachheit. Ich sehe „Detour“ als ein Objekt an sich und weniger als einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Technologie. Es gibt ja auch einen „Detour“-Beistelltisch, der dies unterstreicht.

Dem „Detour“-Beistelltisch dient der markante Bogen als Stütze für die Tischplatte. Der Sockel aus schwarzem Marmor gibt Tisch wie Leuchten eine stabile Basis und ergänzt die Schlichtheit um zurückhaltende Eleganz. © Wittmann

FORMFAKTOR: nendo arbeitet an sehr unterschiedlichen Projekten: Consumer Products, Möbel, Installationen, Branding, Architektur etc. und immer sind die Ergebnisse typisch nendo. Dahinter liegt eine sehr tiefgehende Beschäftigung mit dem jeweiligen Thema. Was ist in diesem Designprozess besonders wichtig?

Oki Sato: Es geht nicht darum, nach Ideen zu fischen. Ein Netz liegt im Wasser und wenn man es herauszieht, ist eine Idee darin. So ist es nicht. Es ist mehr wie atmen. Wenn man nach Ideen sucht, findet man nichts, aber wenn man gelassen darauf wartet, dass sie dich durchströmen, dann eröffnen sich manchmal kleine spannende Ideen. Es geht nicht um große Ideen, sondern um kleine. Und dann muss man versuchen, sie wachsen zu lassen, muss sie weiterentwickeln. Natürlich forschen und testen wir viel. Das ist ein sehr intensiver Prozess. Aber ich mag den Gedanken, Ideen wachsen zu lassen.

FORMFAKTOR: Bei Wittmann dreht sich vieles um das Handwerk. Wie sehen Sie die Situation des Handwerks in Japan im Vergleich zu Europa? Ich habe den Eindruck, dass es in Japan mehr geschätzt wird. Und ich weiß, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigt haben, Anfang 2022 gab es die Ausstellung NENDO SEES KYOTO, wo Sie mit Handwerksbetrieben in Kyoto zusammengearbeitet haben.

Oki Sato: Ich glaube, die Situation in Europa und Japan ist ähnlich. Handwerkstechniken sterben langsam aus. Es ist wichtig, dass Designer sich mit diesen Techniken beschäftigen und sie der Welt zeigen. Ich denke, dass die traditionellen Handwerker auf der Suche nach neuen Wegen sind, was sie herstellen können. Gerade in dieser Hinsicht war die Kooperation mit den Handwerkern in Kyoto äußerst spannend: Der Mix aus alten Techniken und neuen Technologien war sehr inspirierend. Man betrachtet die Dinge von einer anderen Perspektive. Es ist auch so, dass die Leute, mit denen ich kooperiere, dann beginnen, über neue Wege der Produktion nachzudenken. Sie werden kreativer und haben mehr Energie. Diese Art von Projekten sind meiner Meinung nach sehr wichtig, nicht nur in Japan, sondern auf der ganzen Welt. Die Rolle des Designers ist es, neue Wege aufzuzeigen, wie man alte Handwerkstechniken anwenden kann.

NENDO SEES KYOTO: hyouri beruhen auf den traditionellen Kyoto-Papierlaternen. Durch eine Veränderung im Herstellungsprozess lassen sie sich umstülpen. © Hiroshi Iwasaki

FORMFAKTOR: Im Zuge der letzten Mailänder Messe haben Sie das Projekt „Break to Make“ präsentiert, eine Kooperation mit dem Künstler Daniel Arsham. Das Konzept sah vor, dass Sie Objekte kreieren, die dann von Arsham teilweise zertrümmert werden und dadurch neue Funktionen und Bedeutungen erhalten. Wie kam dieses Projekt zustande?

Oki Sato: Der Kontakt zu Daniel Arsham kam über die Friedman Benda Galerie in New York zustande. Wir arbeiten ja beide mit der Galerie zusammen. Marc Benda, der die Galerie leitet, hatte die Idee, dass unsere beiden Studios kooperieren könnten. Das war bereits 2018. Aber dann passierte Corona, und als das vorbei war, beschlossen wir, es jetzt umzusetzen.

Video zur Kunstaktion von Oki Sato und dem New Yorker Künstler Daniel Arsham: Break to make. © nendo

FORMFAKTOR: Von der Kunst zurück zum Design. Heutzutage wird bei der Gestaltung von Dingen sehr viel über Nachhaltigkeit diskutiert. Ich möchte einen anderen Weg gehen und sie fragen: Was macht ein Objekt schön?

Oki Sato: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, es ist die Unvollkommenheit …

FORMFAKTOR: … die Unvollkommenheit?

Oki Sato: Ja, zum Beispiel ein Stuhl: Wenn man nach Perfektion sucht im Hinblick auf Ergonomie, Technologie, Nachhaltigkeit, Sicherheit, Kosten, dann wird daraus eher ein Bürostuhl werden. Er hat alles, was man braucht, aber er ist nicht wirklich schön. Wenn etwas unvollkommen ist, muss man auf es achten. Leder ist zum Beispiel nicht perfekt: Es bekommt Flecken, man muss es reinigen, eben darauf achten. Und dadurch wird es zu einem Teil von Dir. Das ist für mich Schönheit. Mit einem Objekt zusammenzuleben in einem Raum. Oder – eine perfekte Person ist doch super langweilig, nicht? Kleine Probleme und Macken schaffen Persönlichkeit und Freundlichkeit, würde ich sagen.

FORMFAKTOR: Was bedeutet für Sie ganz persönlich Schönheit?

Oki Sato: Der Fluss der Zeit. Wir sind alle ein Teil der Zeit und wir fließen mit ihr dahin. Wir leben nicht ewig. Und das schafft Schönheit.

Danke für das Gespräch!

KICHIZAEMON X ist eine Ausstellungsreihe des japanischen Töpfermeisters Raku Kichizaemon XV, Jikinyū. Bei KICHIZAEMON X: nendo x Raku Kichizaemon Jikinyu handelt es sich um eine direkte Annäherung nendos an die einmalige Herstellungstechnik von Teeschalen. Mit „chuwan” ließen die Designer die Schalen schweben. © nendo

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