Home Design Handwerk in Süditalien – Gae Avitabile designt abseits der Metropolen

Handwerk in Süditalien – Gae Avitabile designt abseits der Metropolen

von Markus Schraml
Gae Avitabile

Als Designer in hippen Metropolen zu wohnen und zu arbeiten mag für den Nachwuchs erstrebenswert sein, erfahrene Gestalter schöpfen ihre Kreativität aber nicht selten an weniger belebten Orten. Der italienische Architekt und Designer Gae Avitabile beweist mit seinen originellen Produkten, die zwischen Experiment und Poesie angesiedelt sind, dass die Verbindung von regionalen Möglichkeiten, traditionellen Materialien und innovativer Herangehensweise zu spannenden Ergebnissen führen kann.

Gae Avitabile studierte Architektur an der Universität Neapel Federico II. Nachdem er mehrere Jahre für David Chipperfield Architects und danach für Jasques Ripault (Senior Architect) sowie Christophe Pillet (Interior Architect) in Frankreich gearbeitet hatte, kehrte er in seine italienische Heimatstadt Caserta in der Region Kampanien zurück. Hier, weit weg von allen Designmetropolen geht Avitabile seinen ganz eigenen, unabhängigen Weg. Gerne experimentiert er mit Materialien, wobei der Architekt immer die lokale handwerkliche Expertise und die Ressourcen im Blick hat. Anfangs arbeitete er mit Holz und Eisen und verfolgte dabei einen empirischen Ansatz, der in schließlich auch zu Stein, Marmor, Quarzit und sogar zu recyceltem Kunststoff führte. Der Wunsch, Gegenstände des täglichen Gebrauchs aus experimentellen Second-Life-Materialien zu kreieren, wurde zu einem Dreh- und Angelpunkt seiner Designphilosophie.

„Meine Zeit in Paris hat mir ermöglicht zu verstehen, dass, sobald man sich etwas vorstellen kann, es auch schaffen kann. Man ändert ständig den Maßstab und kann dadurch ein Projekt jedes Mal anders interpretieren, auch wenn es sehr ähnlich ist. Nach meiner Rückkehr nach Italien habe ich versucht, diese Methodik auf einen völlig anderen Kontext anzuwenden. Es war ein durchaus anspruchsvoller Prozess, durch den ich meinen Designansatz finden konnte“, erklärt Avitabile.

Innovative Partner

Gae Avitabiles ökologische Überlegungen führten zum Anoa-Stuhl. Die Idee war, aus einem Einwegprodukt, konkret die Mozzarella-Behälter aus Polystyrol, in ein neues langlebiges Objekt zu verwandeln. Das Ergebnis ist ein Stuhl, der aus einem neuen Material besteht, das von der Firma AirPol entwickelt wurde und das aus recyceltem Polystyrol mittels ETE-Technologie gewonnen wird. Ein weiteres Projekt ist Quaderna 2.0. Es entstand aus einer Partnerschaft des Designers mit SOLIDO, einem lokalen Start-up, das aus einer Mischung aus Zement und recycelter Kunststofffolie, die von Kisten der regionalen Obst- und Gemüsemärkte stammt, ein neues Material entwickelte. Dieses äußerst robuste Material wird dann auf ein Metallgewebe gesprüht. Der Name ist eine Hommage an Quaderna, dem Konzeptprojekt von Superstudio für Zanotta.

Quaderna 2.0 besteht aus Zement und Kunststofffolie. Es ist eine Hommage an eine Arbeit von Superstudio. © Tana Design Studio

Traditionelles Handwerk – progressive Designideen

Avitabiles Ideen kommen zum einen vom Material, zum anderen sind es zeitgenössische Bezüge oder überliefertes handwerkliches Wissen aus seiner Region, die ihn inspirieren. Ein Beispiel dafür ist das Bücherregal „Totem“, ein formales Experiment aus der Zusammenführung von Holz des Tulpenbaums und Schilfrohrelementen. Die Kombination und Ausführung der Materialien verleihen diesem Stück eine außerordentliche Präsenz im Raum. Oder der Spiegel „Angel“, wo Avitabile die raffinierte Seide von AnnamariaAlois verwendet, einer der historischen Seidenfabriken von San Leucio in der Provinz Caserta. Der sehr dekorative Stoff wird einem minimalistischen Rahmen gegenübergestellt.

„Ich sehe es nicht als selbstverständlich an, Produkte mit einem Sinn für Handwerkskunst zu schaffen und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die noch nie Design gemacht haben. Mal passt sich das Design dem Material an, mal den Fähigkeiten und Grenzen des Handwerkers. Ist das nicht experimentieren? Das ist ein Aspekt, der im zeitgenössischen Design verloren gegangen ist“, meint Avitabile.

Was alle Kreationen Gae Avitabiles eint, ist eine Designmethode, die in der Lage ist, einen Dialog zwischen dem Großen und dem Kleinen herzustellen. Dies kommt von seiner Aufmerksamkeit für den lokalen Kontext und seiner Dynamik. Der Fokus auf die Region wird von einem sehr internationalen Mindset begleitet, was zu progressiven, aber auch poetischen Ergebnissen führt. „Eine Firmeninhaberin hat mir einmal gesagt, dass meine Produkte eine starke poetische Komponente haben. Das war mir durchaus schon aufgefallen, ich habe mich aber nie explizit darauf konzentriert. Auf jeden Fall haben sie am Ende gesagt, dass sie nichts von mir produzieren würden“, erzählt der Designer mit einem Lachen.

Gae Avitabile in Caserta
Nach Jahren im Ausland kehrte Gae Avitabile nach Caserta zurück. Sein vor allem im Interieurbereich tätiges Studio Tana Design gründete er 2012. Seit Januar 2021 ist er Mitglied des wissenschaftlichen Komitees des Royal Palace of Caserta. © Tana Design Studio

Gae Avitabile hat an den letzten Ausgaben von Edit Napoli teilgenommen, wo er die Ergebnisse seiner Forschungen zu neuen Materialien ausstellte. Gleichzeitig entwickelte er seine eigene Möbelkollektion, die bei Artemest und PalermoUno erhältlich ist und in der Galleria Mia in Rom gezeigt wird. Schließlich wird auf der diesjährigen Mailänder Designwoche im Juni eine Zusammenarbeit des Designers mit Forma&Cemento, einer Marke, die seine experimentelle und stilistische Forschung voll und ganz widerspiegelt, offiziell besiegelt.


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