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Das schöne Leben. Architektur auf dem Land

von Markus Schraml

Im Hinblick auf ihre Architektur werden ländliche Regionen entweder ignoriert oder gering geschätzt. Vieles, was auf dem Land gebaut wird, mag sich tatsächlich im Bereich der Beliebigkeit bewegen, aber es gibt Ausnahmen. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (DAM) widmet sich diesen Besonderheiten mit einer Ausstellung und stellt die Behauptung auf, dass eine Fülle von aktuellen Bauten hervorragende architektonische Qualitäten besitzen würde.

In einer Welt, die von Landflucht und zunehmender Urbanisierung geprägt ist, sollte man sich die Meinung des Architekten Sergei Tchoban in Erinnerung rufen, der im Rahmen einer Konferenz schlicht gemeint hatte, er sei dagegen. Das führt umgehend zur Frage, ob dieser Entwicklung wirklich nichts entgegenzusetzen ist. Gute Architektur wirkt, denn sie bringt kulturelle Qualitäten, die über gute Luft und Ruhe hinausreichen. Mit zunehmender Digitalisierung und damit auch Ortsunabhängigkeit gewinnen ländliche Räume wieder an Attraktivität. Die Lebensqualität war dort ohnehin immer höher. Allerdings braucht das Land eine zeitgemäße bauliche Infrastruktur. Während der Pandemie reifte in vielen Menschen die Ahnung, dass das Landleben eventuell doch das bessere ist. Außerdem hat sich unser Leben durch das Internet so stark verändert, dass man selbst in der fernen Provinz nicht mehr aus der Welt ist, so lange die Netzverbindung steht. „Ich trage die Welt in meiner Hosentasche“, gibt Roland Gruber (nonconform) zu bedenken. Und damit nivellieren sich die Unterschiede zwischen Stadt und Land immer mehr.

Zentren attraktiver machen

Im Katalog zur Ausstellung schreibt Nadja Häupl, dass es an der Zeit sei, Typologien für das Wohnen mitten im Ort anstatt in Siedlungen am Rand zu forcieren. „Die Kulturlandschaft und ortsnahe Entwicklungsflächen sind zu wertvoll, um diese weiterhin mit Einfamilienhäusern zu zersiedeln. Das gilt für gut gemachte Architektenhäuser gleichermaßen wie für beliebige Katalogware“, meint sie. Ein großes Problem, das damit in Verbindung steht und welches hauptsächlich das Land und ausschließlich Grünbereiche betrifft, ist die Bodenversiegelung. Florian Kirfel und Anika Gründer schreiben in ihrem Essay, dass in Deutschland seit 1992 eine Fläche von über 5.000 Quadratkilometern versiegelt wurde. Dieser Trend müsse gestoppt werden. Ideal wären eine „flächensparsame Ansiedlung, ein bauliches Gefüge, in dem ein dichtes soziales und ökonomisches Leben mit möglichst effektivem Alltagsaufwand möglich wird“, schreiben die Architekten. Mit ihrem Büro bauen Gründer und Kirfel deshalb keine Einfamilienhäuser mehr auf der „grünen Wiese“. Sie nehmen keine Aufträge an, bei denen Boden neu versiegelt werden muss. „Bauen im Bestand ist so für uns eine ethische Frage geworden“, betonen sie.

Ein Schlafsaal, ein Gästezimmer, mehrere WCs und Duschen, eine Küche, die auch gleichzeitig Aufenthalts- und Veranstaltungsraum ist sowie ein Lager für das Gartencafé befinden sich im Sch(l)afstall (Thüringen). Er entstand in Holzrahmenbauweise und aus regionalen Baustoffen. Architektur: Studio Gründer Kirfel, Bedheim, 2018. Foto © Tomas Lewandowski

Bürgerbeteiligung

Zur Förderung der Baukultur auf dem Land und dessen Akzeptanz, wenn sich daraus Neues, Besseres ergeben soll, hat Roland Gruber „nonconform“ gegründet. Ein Unternehmen, das sich auf „partizipative Zukunftsraumentwicklung“ spezialisiert hat. „Unser wesentlicher Beitrag der letzten 20 Jahre ist der Versuch, die Einbeziehung der Öffentlichkeit neu zu gestalten und punktgenau auf die jeweilige Herausforderung zuzuschneiden. Das bedeutet, die richtige Beteiligungsmethode aus dem Werkzeugkoffer auszupacken und anzuwenden“, betont Gruber. Beteiligung solle zu einem gemeinschaftlichen Akt werden. Ein zentrales Schlagwort dabei ist Schwellenfreiheit. „Im besten Falle ist es eine Synergie aller Beteiligten.“

Gute Architektur, gutes Leben

Die Frankfurter Ausstellung (27. März – 27. November 2022, DAM) legt den Fokus naturgemäß auf besondere Bauwerke, die sich dadurch auszeichnen, dass sie im Kleinen wie im Großen die ländliche Lebensqualität verbessern. Mit dieser Stoßrichtung hat das DAM 70 Architekturbeispiele schwerpunktmäßig aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich ausgewählt. Darunter finden sich Mehrfamilienhäuser, Werkstätten, Bürobauten, Museen, Büchereien, Pflegeeinrichtungen, Scheunenumbauten, Hofreiten, Hotels, Weingüter, Konzerthallen, Kapellen, Sportstätten und öffentliche Bauten wie Gemeindezentren, Schulen und Rathäuser.

„Bei allen Projekten wurden regionale Identitäten herausgearbeitet, Bürgerbeteiligung erprobt und lokales Wissen weiterentwickelt. Gezeigt werden technologische Entwicklungen und die Verbindung von Traditionellem und Zeitgenössischem. Der Umnutzung und der Sanierung von Gebäuden wird dabei großer Raum gegeben“, heißt es im Ausstellungstext. Dabei kommen die beteiligten Personen von der Architektin bis zum Bauherrn zu Wort. Außerdem haben die Kuratoren die Regionen Schwarzwald und Thüringen sowie Krumbach in Österreich und Valendas in der Schweiz besucht, weil sie in herausragender Weise ihre Gesamtentwicklung vorangetrieben haben.

Schön hier“ zum Nachlesen

Der bei Hatje Cantz zur Ausstellung erscheinende Katalog ist 336 Seiten stark und enthält Essays und Beiträge unter anderem von Marta Doehler-Behzadi, Roland Gruber, Nadja Häupl und Reiner Nagel (Erscheinungstermin: 27. April 2022). Sämtliche in der Ausstellung gezeigten Projekte werden in Bild und Text vorgestellt. Ausstellung und Buch bieten kein umfassendes Bild der Architektur auf dem Land, vielmehr werden Spots auf mustergültige Entwürfe und Entwicklungen gesetzt. Es sind Vorbilder für weitere mutige Schritte im ländlichen Raum mit Bauwerken und Stadtkernkonzepten, die sich vor der urbanen Übermacht nicht zu verstecken brauchen.

Schön hier. Architektur auf dem Land. Hrsg.: Annette Becker, Stefanie Lampe, Lessano Negussie, Peter Cachola Schmal, Gestaltung: Torsten Köchlin und Joana Katte. Integralbindung (Flexcover), 22 x 28 cm, 336 S., 550 Abb., Deutsch, April 2022, ISBN 978-3-7757-5150-6. Verlag: Hatje Cantz. © Hatje Cantz

Interessant an der Auswahl der Kuratoren ist die überproportionale Berücksichtigung von Bauwerken aus der Schweiz und Österreich (speziell Vorarlberg). Wobei die Projekte immer dann besonders aus der Masse herausragen, wenn die kreative Vorstellungswelt der Architekten über die bloße Verwendung von Holz (das ja so gut zum Land passt) hinausreicht. Und davon gibt es in dieser Zusammenstellung erfreulich viele Beispiele.

Das Deutsche Architekturmuseum ist mit dieser Ausstellung zu Gast im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu Anspach. Sie wird in einer wiedererrichteten Scheune aus der Gemeinde Sand aus dem Jahr 1742 gezeigt. Im Anschluss wird die Ausstellung an zahlreiche Orte weiterwandern.


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