Der europäische AI Act trat am 1. August 2024 in Kraft. Mit diesem weltweit ersten Rechtsrahmen für KI-Systeme und KI-Modelle will die Europäische Union die „Vorteile dieser Technologie nutzen und die Risiken minimieren“. Auf der Website des Europäischen Parlaments wird KI als eine Maschine definiert, die menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität imitieren kann. Tatsächlich sind erste KI-Programme in viele Bereiche der Wirtschaft bereits eingedrungen – auch in die Kreativwirtschaft. Wie Designer über diese Entwicklung denken, hat FORMFAKTOR in einer Reihe von Gesprächen versucht zu ermittelt.
David Galullo, CEO und Chief Creative Officer des kalifornischen Rapt Studio hat mit seinem Team im Rahmen der diesjährigen Mailänder Designwoche eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die das Verhältnis von Design und KI kritisch beleuchtete. Die Besucher wurden mit einer Wand voller KI-generierter Fotos begrüßt, die einen erschreckenden Eindruck von unserer Massenkonsumkultur vermittelten. „Sicherlich hat das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz dazu geführt, dass viele Objekte oder auch Räume mit KI entwickelt werden“, weiß Galullo und meint in Bezug auf die KI-Objektfotos: „An diesen Objekten ist nichts Ungehöriges, aber wenn man sich die Details genauer ansieht, dann ergeben gewisse Dinge einfach keinen Sinn im Hinblick darauf, wie man dieses Objekt oder diesen Raum nutzen würde.“ Es gehe auch darum, sich nicht vom Internet alles vorgeben zu lassen, sondern darum, „die Menschen in die Lage zu versetzen, sich die Kraft des Designs wieder anzueignen, um ihre persönlichen Geschichten zu erzählen.“ Galullo zeigt auf die Wand mit von KI entworfenen Objekten und meint: „Hoffentlich ist das nicht die Zukunft.“ Die Verunsicherung bei den Menschen sei vorhanden und nicht ganz unbegründet, „denn es besteht die Chance, dass alles ohne uns vonstattengeht.“
Der berühmte New Yorker Designer Karim Rashid sieht die Sache mit der KI schon weiter fortgeschritten, als es manchen lieb ist: „Es betrifft jeden Beruf auf allen Ebenen. Einige Berufszweige sind ja durch KI schon praktisch verschwunden: Fotografie oder Grafik zum Beispiel. Wir als Kreative werden mit der Zeit unweigerlich aussterben – außer – und das ist wichtig – wir sind sehr intelligent und kreativ im Hinblick auf unsere Kreationen in Verbindung zu unserer gebauten Welt, wie sie sich einfügen und welche Bedeutung sie für die Menschen haben. In dieser Komplexität müssen sich Designer und Architekten sehr schlau verhalten.“ Allerdings sei heute im Design sehr viel Copy-and-paste zu beobachten. Viele Designer würden wie in einem Vakuum arbeiten: „Sie glauben, sie erschaffen etwas, aber sie tragen überhaupt nichts bei. Durch die KI kann man heute sehr schnell etwas Nettes kreieren. Sie können schöne Renderings innerhalb von Sekunden anfertigen. Aber das ist nicht gut genug. Man muss die Materialien kennen, wie das Ding hergestellt wird, ob es zum Unternehmen passt. Es gibt so viele Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, um nur ein einziges fertiges Produkt in die Welt zu bringen, das die Menschen berührt. Diese Komplexität zu beherrschen, ist die große Chance für uns Designer.“
nendo-Gründer Oki Sato sieht die Situation der Designmassenproduktion ähnlich: „In Bezug auf Technologie als Werkzeug bin ich sehr positiv eingestellt. Das ist etwas, was unsere Grenzen erweitert. Künstliche Intelligenz ist aber etwas ganz anderes, etwas sehr Neues für die Menschheit. Im Anfang wird es ein Werkzeug sein, jeder wird es verwenden, auch im Design. Dinge können damit schneller und besser gemacht werden. Die nächste Phase wird sein, dass Designer KIs selbst trainieren und damit ihre eigenen KIs kreieren. Dann gibt es vielleicht Philippe Starck-KIs oder japanische Design-KIs. Es wird viele verschiedene KIs in allen Branchen geben. In der darauf folgenden Phase tauchen wir dann in das Zeitalter von Terminator ein“. (lacht)
Sato glaubt, dass 90 % der Designs von KIs besser gemacht werden können, weil es dabei um Wiederholungen gehe, um Dinge, die in der Vergangenheit bereits kreiert wurden. „Die restlichen 10 % werden experimentelle Designs sein. Designs, die die Menschen bisher noch nicht gesehen haben. Riskante, herausfordernde Gestaltungen, vergleichbar mit Kunst und diese Designs werden von Menschen gemacht sein, denke ich. Am Ende wird die Frage stehen: Können KIs Fehler machen? Menschen machen Fehler, aber Menschen haben auch Emotionen und die beeinflussen das Design. Wenn KIs auf diese Weise gestalten können, dann bin ich arbeitslos und mache einen Coffeeshop auf. (lacht)
Die australische Unternehmerin und Gründerin der erfolgreichen Einrichtungsmarke Articolo Studios, Nicci Kavals, sieht Künstliche Intelligenz sehr kritisch: „Sie macht mir wahnsinnige Angst. Ich sprach mit einem Freund, der Fotograf ist, über dieses Thema und er brachte die Befürchtung zum Ausdruck, dass KI die Fotografie ganz übernehmen könnte. Dann ging ich zu einem unserer Mitarbeiter im Tech-Team und sagte: Gib in das KI-Programm ein – Designe eine Articolo-Leuchte! Nach kurzer Zeit spuckte die KI 20 Designs aus. 18 davon waren irgendwie doof. Aber zwei davon machten mir Angst, weil sie gut waren. Ich glaube nicht, dass KI Designer jemals ersetzen kann, weil wir die Dinge anders betrachten. KI hat keine Seele. Sie kann eine Form machen, aber ich hoffe, sie wird mich niemals ersetzen.“
Der italienische Architekt Matteo Nunziati ist für die Ausstattung von luxuriösen Hotels bekannt. Auch in seinem Büro wird Künstliche Intelligenz bereits eingesetzt: „Wir verwenden KI in Computeranwendungen, um einige Dinge zu verbessern. Was wir festgestellt haben, ist, dass KI ein Werkzeug ist, das sehr hilfreich sein kann. Aber – sie ist nicht kreativ. Kreativität ist etwas ganz anderes. Produkte oder Interieurs zu schaffen, die wirklich schön sind, die zu Herzen gehen – das kann KI niemals erreichen. Aber natürlich müssen wir sehr clever sein, wie wir dieses Werkzeug einsetzen, wie wir es trainieren, denn der Mensch, der sie ja trainiert, ist zu Gutem fähig, aber auch zu sehr Schlechtem. Denken Sie nur an die Atomkraft einerseits und die Atombombe andererseits. Das heißt, wir müssen hier sehr vorsichtig vorgehen“, gibt Nunziati zu bedenken.
In Österreich gehen, wie sie oft, die Uhren anders. So meint Christian Schäfer, CEO des Keramikspezialisten LAUFEN Österreich, dass KI-Anwendungen in der Alpenrepublik noch nicht angekommen sind. Sein Blick auf dieses Thema kommt naturgemäß von einem wirtschaftlichen Standpunkt: „Ich glaube, es ist wie in allen Bereichen, immer die Frage, wo liegt der Nutzen. Wir glauben schon, dass KI nützlich sein kann – im Bereich der Technologie. Zum Beispiel ist unser neuer Ofen voll mit Sensoren, was ihn eigentlich zu einer Big Data-Maschine macht. Bei KI sind wir noch in den Kinderschuhen, aber wir werden das Ganze analysieren und über kurz oder lang wird es auch bei uns eine stärkere Bedeutung bekommen“, sagt Schäfer.
Der tschechische Glas- und Leuchtenhersteller Lasvit ist für seinen innovativen Umgang mit Materialien bekannt. Für Art Director Maxim Velčovský sind Experimente mit unterschiedlichsten Stoffen und Prozessen beruflicher Alltag. „Wir experimentieren auch mit KI und unsere Designer nutzen sie beispielsweise für Moodboards oder für erste Ideen. Der Vorteil ist, dass KI superschnell ist. Die Ergebnisse kommen in ein paar Sekunden. Früher haben wir Dinge stundenlang rendern müssen.“
Im Hinblick auf das Potenzial und die weitere Entwicklung der Künstlichen Intelligenz sieht Velčovský einen steilen Aufstieg auf uns zukommen. „Wir werden irgendwann nicht mehr sagen können, ob etwas von KI gemacht wurde oder ob es echt ist. KI wird ja immer besser und sie wird überall sein, jeder wird sie nutzen. Aber wir werden es mit der Zeit sehr satthaben und als Designer wieder bei 0 beginnen und mit der Hand selbst zeichnen. Vor 25 Jahren hatten alle Zeichner Angst vor 3D-Renderings, aber heute sind sie es, die diese Programme bedienen. Genauso ist KI nur ein Werkzeug, aber es kann manchmal auch ein sehr gefährliches Werkzeug sein.
Das KI gewissen Regeln folgen muss, ist wohl unbestritten. Ob es dafür zusätzliche Regulierungen braucht, wie den AI Act der EU ist zweifelhaft. Denn die Entwicklung von Software-Programmen – und nichts anderes ist eine KI – unterliegt bereits vielen Regeln. Gesetze wie Datenschutzrecht, Datenbankenrecht oder Urheberrecht sind darauf anwendbar. Kritiker monieren, dass die EU unter der umstrittenen Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen wieder einmal eine Verordnung in die Welt gesetzt habe, die die Innovationskraft Europas einschränkt und gegenüber USA und China einen Wettbewerbsnachteil erzeugt. Aus globaler Perspektive wird es sicher darauf ankommen, wie verantwortungsvoll die Entwickler damit umgehen. Was auch einige der interviewten Designer zum Ausdruck brachten. Digitale Technologie generell beinhaltet enormes Potenzial für Zensur und Überwachung, das in der Vergangenheit bereits genutzt wurde. Künstliche Intelligenz kann in diesem Zusammenhang die feuchten Träume der Überwacher wahr werden lassen. Hoffen wir, dass es nie soweit kommt.