Der Begriff Space Age beschreibt die zunehmende Beschäftigung mit dem Weltraum Mitte des 20. Jahrhunderts und den Drang diesen auf physische Weise zu erkunden. Offizieller Start war der erste Sputnik-Satellit, der am 4. Oktober 1957 ins All geschossen wurde. Auch Literaten, Filmemacher und TV-Produzenten faszinierte das Weltraumzeitalter. Für die entsprechenden Settings in Film und Fernsehen benötigten die Kreativen futuristisch anmutende Ausstattungen. Auf diesem zeitgeschichtlichen Nährboden entwarfen Architekten und Designer ab Mitte der 1950er-Jahre Möbel, die den Zeitgeist einfingen und mit bestimmten. Beginnend beim Tulip Chair (1955, Eero Saarinen) über den Ball Chair (1963, Eero Aarnio) und den Djinn Chair (1965, Olivier Mourgue) bis hin zum Panton Chair (1967, Verner Panton) oder dem Tomato Chair (1971, ebenfalls Aarnio), vereint diese Designs, dass sie allesamt Lebensfreude ausstrahlen.
An die Zeit des Space Age Furniture knüpft der US-amerikanische Designer Ryan Twardzik an. Mit seinem Studio unform, ein Name, der erahnen lässt, dass es hier nicht um Konventionelles geht, sondern um das Eintauchen ins Reich des Experimentellen, hat er bereits Möbel wie den viel gelobten Pop-up Lounge Chair oder die wundervolle Drip-Kollektion entworfen. Beim jüngsten SaloneSatellite in Mailand zeigte der in Pennsylvania beheimatete Gestalter zwei neue Designs: die Orbit-Sitzkollektion und die Axis-Lampenserie. Leuchten sind ein völlig neues Feld für Twardzik, das er aber auf Anhieb mit faszinierendem Esprit bespielt.
Im FORMFAKTOR-Interview spricht Ryan Twardzik über sein Faible für das Space Age, über die Situation für junge Designer in den USA und den Spaß an der Interaktion mit Dingen.
FORMFAKTOR: Sie präsentieren hier in Mailand zwei neue Kollektionen, wobei ihre Faszination für das Weltraumzeitalter Mitte des 20. Jahrhunderts ein treibender Motor gewesen sein dürfte. Liege ich da falsch?
Ryan Twardzik: Nein. Die Idee für diesen Sessel war der Ausdruck Space Age Furniture. Damals gab es all diese lustigen runden Formen, die irgendwie futuristisch aussahen. Als dieser Trend vorbei war, verschwanden auch die Möbel. Sie waren ein Zeitphänomen, in ihrer Zeit gefangen. Mit meinen Kollektionen versuche ich zu ergründen, was es ausmacht, dass diese Formen, ein Gefühl des Futuristischen bewirken. Und wie ich dieses Gefühl wieder hervorrufen kann, aber mit etwas total Neuem. Heute bin ich nicht mehr von den Materialien abhängig, die damals benutzt wurden, also vor allem Plastik oder geformtes Plexiglas, stattdessen verwende ich hochwertige Materialien, wie per Hand polierten Edelstahl oder handgewebte Polsterstoffe. Das heißt, wir kreieren einige dieser Formen mit einer völlig neuen Materialität, sodass sich der Betrachter wieder an diese Space Age-Zeit erinnert fühlt.

FORMFAKTOR: Ihre einzelnen Kollektionen sehen sehr unterschiedlich aus und dennoch scheint sie etwas zu verbinden, was ich als das Überraschungsmoment bezeichnen würde. Wie ist Ihre Herangehensweise?
Ryan Twardzik: Es steckt sicher nicht eine durchgehende Idee, ein Designfaden dahinter, aber ich denke, was ihnen gemein ist, ist das Gefühl, das sie vermitteln, dass man die Objekte berühren möchte. Das Gefühl der Interaktion. Es sind unterschiedliche Kollektionen, aber sie alle wollen berührt, erforscht und erlebt werden. Das, glaube ich, vermitteln meine Designs ganz stark. Obwohl der Pop up-Chair und der Orbit-Chair visuell sehr unterschiedlich sind, bieten beide diesen Spaß an der Interaktion.
FORMFAKTOR: Wie sieht Ihr Designansatz ganz generell aus?
Ryan Twardzik: Ich denke über Form, Interaktion, Materialität nach, aber auch darüber, wie die Dinge gemacht sind. All diese Faktoren kommen zusammen. Zum Beispiel: Wenn ich mir eine Form vorstelle, arbeitete ich diese aus und überlege, welches Material sich dafür eignet. Oder ich lerne einen Prozess kennen und denke darüber nach, was man damit anstellen könnte. Also eigentlich kann eine Idee von überall her kommen. Was mir aber wichtig ist, ist, dass meine Designs fein ausgearbeitet sind und Spaß machen, einfach Dinge sind, die man gerne um sich hat und nutzt. Denn wenn jemand so ein Stück für sein Zuhause kauft, lebt er damit für eine lange Zeit und sollte jedes Mal, wenn er es sieht, erfreut sein.
FORMFAKTOR: Müssen Objekte immer Spaß machen?
Ryan Twardzik: Für mich sind zum Beispiel Stühle oder Sessel sehr spaßig, weil man mit ihnen sehr sehr eng interagiert – mit dem ganzen Körper. Es gibt fast kein anderes Produkt, wo das der Fall ist – vielleicht Kleidung. Ich glaube schon, dass Vergnügen zu bieten, vor allem bei Möbeln und in Einrichtungen, eine enorm wichtige Sache ist.
FORMFAKTOR: Sie leben und arbeiten in Pennsylvania, in der Stadt Frackville, die nicht allzu weit von New York entfernt liegt. Für Ihre Designs arbeiten sie mit Handwerkern und anderen Herstellern zusammen. In Europa verschwinden Handwerksbetriebe nach und nach, wie ist die Situation bei Ihnen?
Ryan Twardzik: Glücklicherweise gibt es in Pennsylvania noch sehr viele dieser Betriebe. Ich arbeite hauptsächlich mit lokalen Herstellern zusammen. Mein Polsterer zum Beispiel ist eine Stunde von meinem Haus entfernt. Die Stücke für diese Ausstellung hier in Mailand haben wir sehr schnell entwickelt und ich habe dafür mit meinem Freund George Goodwill in London zusammengearbeitet. Das öffnet natürlich die Option zur Herstellung von Möbeln für den britischen und europäischen Markt. Allerdings ist meine Herangehensweise an Projekte weniger die eines Makers. Als Designer liegen meine Stärken in der Formgebung. Ich will herausfinden, welche Formen gemacht werden sollen. Dafür designe ich in unterschiedlichsten Medien und mit verschiedensten Prozessen. Da kenne ich keine Grenzen.
FORMFAKTOR: Die zweite Neuheit, die Sie hier präsentieren, ist die Leuchten-Kollektion Axis. Leuchten sind ein neues Feld für Sie …
Ryan Twardzik: … ja, ich versuche mich auch in diesem Bereich. Die Axis-Kollektion steht in Beziehung zur Orbit-Kollektion. Sie wird aus mit Hand poliertem Edelstahl gefertigt und besteht aus den form3 Hängeleuchten, die in 500 mm, 750 mm und 1000 mm erhältlich sind. Sie können waagrecht oder senkrecht gehängt oder kombiniert werden. Es ist ein modulares System. Des Weiteren gehören die form2 Stehlampe zur Kollektion und form4, eine Wandleuchte.
FORMFAKTOR: Was waren die Herausforderungen beim Design dieser Leuchten-Kollektion?
Ryan Twardzik: Leuchten sind ein sehr spezielles Thema und ich muss meinem Freund George danken, der mich bei diesem Projekt wirklich intensiv unterstützt hat. Ich fand diese großen ovalen Röhren aus Edelstahl, die auf einer Seite flach waren. Danach machte ich mich daran, herauszufinden, wie man daraus eine übergreifende Kollektion erstellen kann. Die Proportionen sind immer gleich, nur die Länge ändert sich. Das war der Schlüssel. Details sind einerseits unterschiedlich, andererseits übergreifend: Zum Beispiel hat die form2 Axis-Stehleuchte einen massiven, bearbeiteten Sockel, der die Schönheit präzise gefertigten Metalls vermittelt. Bei den form4 Axis-Wandleuchten wird der abgestufte Sockel der Stehleuchte an die Wand verlegt, wo er sowohl als Ornament als auch als Brecher für das nach innen gerichtete Licht fungiert. Was sehr nach Space Age aussieht – mit einem Touch Art déco.

FORMFAKTOR: Zum Abschluss möchte sie über die Situation für junge Designer in den USA befragen. Sicherlich ist es nirgends einfach, aber in Europa zum Beispiel hat es der Designnachwuchs wirklich nicht leicht.
Ryan Twardzik: Nein, natürlich ist es nie leicht. Du musst dich wirklich darauf einlassen. Was ich hier in Mailand schon von vielen Seiten gehört habe, ist, man muss konsequent sein. Du musst immer wieder zurückkommen, neue Arbeiten zeigen, wieder kommen, wieder neue Arbeiten zeigen, Leute treffen, Kontakte pflegen. Das hilft. Ich war ja schon zweimal hier mit Kollektionen vertreten und ich sehe, wie sich die Dinge verändern. Aber es ist hart. Es ist Learning on the Job. Man kann auch von Menschen lernen, die man trifft. Eine sehr große Hilfe für mich ist, mit anderen unabhängigen amerikanischen Designern zu sprechen, die auch hier in Mailand ausstellen. Und sie sind meistens sehr zuvorkommend und nehmen sich Zeit.
Danke für das Gespräch!