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Architektur ist politisch – Archiprix International

von Markus Schraml
Archiprix International 2019

Um eine Ahnung von der Zukunft zu erhaschen, muss man sich die Ideen der Jungen ansehen. Genau das ermöglicht der Archiprix International / Hunter Douglas Award. Dieser im Zweijahresrhythmus veranstaltete Nachwuchsarchitekturpreis wird von der Archiprix-Stiftung ausgeschrieben, die mit niederländischen Hochschulen der Fachgebiete Architektur, Stadtforschung und/oder Landschaftsarchitektur kooperiert. Ausgezeichnet werden Abschlussarbeiten von Studierenden aus diesen Bereichen, die nicht älter als zwei Jahre sein dürfen. Die Projekte werden von der jeweiligen Universität eingereicht. Teilnahmeberechtigt sind weltweit alle Schulen mit Universitätslevel. Der Archiprix ist der größte Wettbewerb für Abschlussarbeiten und bietet Einblick in den aktuellen Status der gestalterischen Ausbildung sowie in zeitgenössische Architekturtrends.

Die sieben Gewinner des Archiprix repräsentieren eine Generation von talentierten, aufstrebenden Architekten*innen, die sich den Aufgaben der Zeit stellen wollen. So hat Mohamad Nahleh für die Stadt Beirut eine neue Form des politischen Aktivismus entwickelt durch die Aneignung städtischer Resträume. Die einzelnen Vorschläge sind im realen Kontext verankert und stellen rechtliche, soziale und politische Annahmen infrage. Einer kritischen Einstellung entspringt auch das Projekt von Maarten de Haas „Following up the Foregoing“. Er setzt einen goldenen Monolithen auf einen wichtigen Datenknotenpunkt im Zentrum von Rotterdam. Dieses Datenzentrum, in dem hauptsächlich Daten-Junk gespeichert ist, wird von einem reellen Menschen, einem Hausmeister betreut, der sich um den Datenmüll kümmern muss und dessen kleines Haus neben dem riesigen Rechenzentrum zu verschwinden droht. Hier begegnen sich zwei Welten: die virtuelle und die physische. Eine treffende Beschreibung der Conditio Humana im Jetzt. Mit dem Thema Wohnen in heutigen Städten beschäftigt sich das Projekt „Tryouts in Living in the City“ von Liran Messer und Stav Dror. Der Begriff des Zuhauses wird hinterfragt und als ein Fluss von Events, Aktivitäten, Plätzen und Objekten interpretiert. Das Zuhause ist wertvoll wie ein Sammlerstück und gleichzeitig sind seine Teile ersetzbar. In diesem Zuhause werden die strukturellen Elemente wie Fenster, Tür, Treppen, Wand oder Dach einem Prozess der Objektivierung unterworfen. Das Heim wird von seiner Fixierung als räumlicher Einheit zu einem Ort mit kontinuierlichen Lebensveränderungen und zahlreichen Varianten des Wohnens. Das Projekt von Guelba Paiva ist in Caatinga, im Nordosten Brasiliens angesiedelt. Einer ökologisch wichtigen Region mit einem der reichsten Trockenwälder der Welt. Paiva reflektiert die Konzepte von Identität, Territorium sowie Widerstand und untersucht die Möglichkeiten einer naturbasierten Infrastruktur, die sowohl landschaftliche als auch sozioökonomische Anforderungen erfüllen kann. Ziel ist es, mit einer langfristigen Regenerations-Strategie abgeholzte Gebiete wiederherzustellen und dabei die lokale Kultur und Identität zu bewahren.

Nach dem Anthropozän

Diese Erzählung ist ein wundervolles Sci-Fi-Projekt“, urteilte die Jury über Gary Polks „Synthtetic Cultures, Scenes from the Post-Anthoropocene“. Das Projekt des US-Amerikaners ist in einer Zeit nach dem Anthropozän angesiedelt. Also in einer Welt ohne den weltverändernden Einfluss des Menschen. Hier ist die Architektur autonom und dient sich selbst. Gleichzeitig verbindet sie sich mit den Menschen und der Umwelt, um gegenseitig nützliche Hybridbereiche zu schaffen. Polk hinterfragt die Rolle des Menschen in einer Welt, die nicht von ihm bestimmt wird. Eine sehnsuchtsvolle Utopie. Utopisch scheint auch eine Einigung zwischen der Ukraine und Russland im Krim-Konflikt. Anhand dieser Außereinandersetzung untersucht Lesa Topolnyk die Rolle der Architektur bei der Bewältigung von Konfliktsituationen. Konkret fungiert in diesem Vorschlag das Hauptquartier der Vereinten Nationen als Ort für permanente Verhandlungen und dient dabei sowohl als Trennwand als auch als Tor. Da Einheit als stabiles Endergebnis nicht möglich ist und „das Politische“ zwangsläufig Konfliktpotenzial beinhaltet, führt der Ausweg über die Debatte. Wobei alle Ergebnisse solcher Debatten immer nur eine vorübergehende „Lösung“ darstellen. Alle wichtigen Entscheidungen werden dabei in informellen Räumen getroffen.

Mit Erinnerung und Erinnerungskultur beschäftigten sich Sara Pellegrini und Domenico Spagnolo in ihrer Abschlussarbeit am Polytechnikum Mailand. Im Zentrum von Warschau gibt es noch Gebäude und Fragmente des ehemaligen jüdischen Ghettos, das von den Nazis während der Besetzung Polens errichtet worden war. Das Projekt will dieses Erbe erhalten. Drei Gebäude sollen dafür rehabilitiert und kritisch integriert werden. Es geht um die Schaffung eines Ortes der Erinnerung, um das Lernen aus der Geschichte vor dem Hintergrund schon längst überwunden geglaubter, jetzt wieder aufkommender Nationalismen. „Was damals geschah, kann heute oder morgen wieder passieren“, kommentiert die Jury.

Sara Pellegrini, Domenico Spagnolo, Waliców, Fortress of Memory. Museum of the Present Between Warsaw’s Ghetto Ruins:

Maarten de Haas, Following up the Foregoing:

Lesia Topolnyk, Un-United Nations Headquarters. Neutral Ground for Discussing the Morality of Opposing Political Systems:

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