Home Architecture Die Stadt als Mine – eine andere Zukunft des Bauens

Die Stadt als Mine – eine andere Zukunft des Bauens

von Markus Schraml
Bauteile wiederverwenden

Den Energiebedarf der Bauwirtschaft reduzieren und den Ressourcenverbrauch senken – das sind die beiden zentralen Themenbereiche, die für ein ökologischeres Bauwesen bearbeitet werden müssen. Ein beispielhaftes Projekt für die Wiederverwendung von Baumaterialien ging seit 2018 in der Schweiz über die Bühne. K.118 auf dem Winterthurer Lagerplatz besteht mehrheitlich aus solchen Materialien. Die ausführenden Architekt*innen vom Baubüro in situ haben dafür eng mit der Wissenschaft zusammengearbeitet. Der Planungs- und Bauprozess wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Zirkulär Bauen“ am Institut Konstruktives Entwerfen IKE der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW begleitet, analysiert und ausgewertet. Die Ergebnisse wurden im bei Park Books erschienen Buch „Bauteile wiederverwenden“ detailreich festgehalten.

Die Federführung im Entwurf wird teilweise an das Material abgegeben. „Bauteile wiederverwenden“ ist bei Parks Books erschienen. © Park Books

„Der Kopfbau der Halle 118 sollte als Leuchtturmprojekt zu 100 % aus wiederverwendeten Bauteilen gebaut werden – eine riesige Herausforderung, der sich das Baubüro in situ in vollem Bewusstsein der Komplexität des Unterfangens stellte“, schreibt Architektin Barbara Buser, Mitgründerin und Co-Geschäftsleiterin des Baubüros in situ (Basel / Zürich). Das größte Problem, das gleichzeitig den Kern dieser Art des Bauens darstellt, war das Aufstöbern gebrauchter Bauteile. Schwierig ist das vor allem deshalb, weil es kaum Infrastrukturen und Systeme für das Auffinden von Bauteilen gibt. Die existierenden Bauteileinrichtungen (Börsen, Läden, Märkte) sind – wenn auch spärlich – vorhanden, aber das Angebot hält sich in Grenzen und für Bauvorhaben ab einer gewissen Größe ist einfach zu wenig Material verfügbar. In der Schweiz betreibt der Dachverband Bauteilnetz die Internetplattform www.bauteilclick.ch, in Wien gibt es die „Materialnomaden“, in Brüssel „Rotor“, in Amsterdam „Madaster“ oder in Berlin das CRCLR. Hilfreich ist das Angebot der Zürcher Plattform „Salza“ die zwischen Bauteilsuchenden und Bauherren oder Besitzerinnen von Gebäuden, die abgerissen werden sollen, vermittelt.

Bauteilfunde vs. Entwurf

Der grundsätzliche Unterschied zwischen konventionellem Bauen nach Plan und Bauen mit vorhandenen Bauteilen ist, dass sich der Entwurf sozusagen im Fluss befindet. Denn neue Bauteilfunde stellen den bestehenden Entwurf immer wieder infrage. So könnte der Projektprozess des K.118 als ein Wechselspiel zwischen gefundenen Bauteilen und Entwurfsentscheidungen beschrieben werden. „Es ist ein ständiges Aufstellen eines hypothetischen Bildes, das vorerst abstrakt bleibt und erst mit dem gefundenen Material konkretisiert und wenn nötig revidiert wird“, schreibt Kulturanthropologe Michel Massmünster in seiner Reportage über das Projekt K.118. Beim Bauen mit Bauteilen werden Experimentieren, Überarbeiten und Verwerfen zu zentralen Methoden. Das Auffinden von Bauteilen wurde für das Team des K.118 also zu einer Suche nach Möglichkeiten, wie ein solches Haus überhaupt gebaut werden kann. „Während die Architekten das Gebäude entwerfen, planen und bauen, entwickeln sie die Techniken, Werkzeuge und Methoden, die es hierfür braucht, ständig mit“, beschreibt Massmünster den Pilotcharakter dieses Projekts.

Der Kopfbau der Halle 118 ist ein Leuchtturmprojekt in puncto Bauen mit wiederverwendeten Bauteilen. Bauherrin ist die Stiftung Abendrot. © Martin Zeller

Das suchende Herantasten

Das Fehlen eines Netzes oder einer Kartei, in der alle verfügbaren Bauteile aufgelistet sind, macht die Arbeit mit Bauteilen schwierig. Hier finden sich Architekt*innen auf einem Feld wieder, das nahezu unbearbeitet ist und dem, was sie an der Universität gelernt haben, entgegenläuft. Diese Art des Bauens steckt zweifellos noch in den Kinderschuhen. Und Recyclingfachmann Martin Hiltbrunner glaubt nicht, dass es bald gelingen wird, ein Handelsnetz für wiederverwendete Bauteile aufzubauen, in dem Abbruchunternehmen schon vor der Demontage die Materialien anbieten und verkaufen können. Das liegt vor allem auch daran, dass es für Unternehmen schwierig ist, vor dem Ausbau abzuschätzen, ob Materialien überhaupt ohne Schaden bzw. ohne hohe Kosten demontiert werden können. Dies wiederum hat mit der derzeitigen Konstruktionsweise zu tun. Diese müsste sich so verändern, dass der Rückbau von Anfang mitgedacht wird, meint Hiltbrunner.

Fenster aus dem Sulzer Werk1 für das Projekt K.118. © Martin Zeller

Die neue Selbstverständlichkeit des Wiederverwendens

Das Buch „Bauteile Wiederverwenden“ schildert aber nicht nur das Projekt K.118, in den umfangreichen Essays verschiedener Autoren wird eine lange Reihe von weiteren Beispielen für das Wiederverwenden von Bauteilen angeführt. Darunter so bekannte Namen wie Jean Prouvé, Alison und Peter Smithson oder Alexander Brodsky. Bauteile wiederzuverwenden ist neben der Bestandssanierung wohl der wichtigste Weg hin zu einem zirkulären Bauwesen. Guido Brandi schreibt dazu, dass das Konzept der Zirkularität derzeit hauptsächlich als strikter Gegenpol zum linearen Bauprozess verstanden werde. „Wenn wir die Betriebsenergie nicht berücksichtigen (die in den letzten Jahren aktiv angegangen und reduziert wurde und letztlich von der Art der Primärenergie abhängt), so wäre das ultimative Ziel wahrer zirkulärer Architektur ein Prozess, bei dem niemals Abfall produziert und somit auch keine Graue Energie verschwendet wird. Es ist leicht nachvollziehbar, dass der Weg dorthin noch lang und schwierig ist. Vor allem aber, dass es zwischen Linearität und Zirkularität eine Vielzahl realisierbarer Zwischenschritte und möglicher Gestaltungsansätze gibt“, meint Architekt Brandi.

Ökologische Normen

Apropos Graue Energie: Architektin Eva Stricker, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Konstruktives Entwerfen der ZHAW in Winterthur, schreibt im Hinblick auf den atmosphärischen Reichtum gewachsener Bauten: „Bauteile speichern nicht nur Graue Energie, auch Erinnerungen sind ihnen eingelagert – an handwerkliches Wissen und Fertigkeiten, an gesellschaftliche Werte und Gepflogenheiten, an die Geschichte und Bestimmung der Orte, für die sie einst gemacht wurden.“ Andreas Sonderegger, Gründungsmitglied und Partner von pool Architekten (Zürich), sieht das Potenzial der Wiederwendung von Bauteilen aus dem derzeitigen Bestand begrenzt – vor allem, weil er nicht für die Demontage gebaut worden sei. Umso wichtiger sei es, bei allen Neubauten die Wiederverwendbarkeit von Bauteilen einzuplanen. Außerdem seien Berufsverbände und Politik gefordert, in der Normensetzung aktiv zu werden. „Auch gilt es, von überzogenen Komfort- und Sicherheitsansprüchen getriebene Normen auf ihre ökologische Sinnhaftigkeit und Verträglichkeit zu überprüfen“, betont Sonderegger.

Funktionen trennen, mit Überlappungen arbeiten. Das Projekt K.118 entsteht. © Martin Zeller

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Das zirkulare Bauen denkt das Wechselspiel von Knappheit und Überschuss neu. „Denn vorhanden ist das, was nach der Zeit der industriellen Stadt im Überfluss zurückbleibt. Die Ressourcen einer solchen industriellen Bau- und Denkweise sind hingegen knapp geworden“, schreiben die Autoren in „Bauteile wiederverwenden“.

Mit wiederverwendeten Materialien zu bauen, scheint sehr viel komplizierter zu sein, als in konventioneller Art einfach Baumaterialien mit den gewünschten Eigenschaften und Maßen zu bestellen. Ist es aber gerade deswegen nicht auch sehr viel interessanter, einen Weg zu gehen, bei dem nicht von Anfang an (mehr oder weniger) alles feststeht? Alles nach Plan läuft? Noch fehlen vielfach Systeme, die es leichter machen, auf gebrauchte Bauteile zuzugreifen, mehr noch fehlt der Wille bei Bauherren und Architektinnen auf diese (noch) mühsame Weise zu bauen. Letztendlich führt aber kein Weg daran vorbei. Sind keine natürlichen Ressourcen mehr vorhanden, muss die Bauwirtschaft mit dem auskommen, was schon vorhanden ist.

Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen. Hrsg. v. Institut Konstruktives Entwerfen, ZHAW Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen. Eva Stricker, Guido Brandi, Andreas Sonderegger, Baubüro in situ AG, Zirkular GmbH, Marc Angst, Barbara Buser, Michel Massmünster, 21,5 x 28,5 cm, gebunden, 344 S., 401 mehrfarbige und 54 einfarbige Abb., Pläne und Grafiken, 1. Auflage, 2021. ISBN 978-3-03860-259-0. Verlag: Park Books.

Bauteile wiederverwenden

Hinweis

Mitherausgeberin Barbara Buser wird anlässlich des Erscheinens von „Bauteile wiederverwenden“ am Samstag, 20. November, im Rahmen des Architekturbuch-Festivals in der Zürcher Buchhandlung Never Stop Reading um 14 Uhr mit der Geschäftsführerin der Syphon AG, Karin Sidler, über zirkuläres Bauen diskutieren. (Never Stop Reading, Spiegelgasse 18 / Untere Zäune, 8001 Zürich) Die Veranstaltung findet vor Ort statt und wird live via YouTube übertragen.


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