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Designwege – Prozesse zwischen Bestimmung und Freiheit

von Markus Schraml
Im Märchenbuch „King GAFA and the Magical 0-1 Crop“ thematisiert Johanna Pichlbauer Überwachungskapitalismus und Datensouveränität. Präsentation in der Ausstellung „Coding“. © Luca Celine

Die Vienna Design Week ist ein Festival, bei dem Direktor Gabriel Roland mit seinem Team daran arbeitet, das Verständnis von Design weiter zu fassen. Nicht nur Möbel und Industrieprodukte werden gestaltet, sondern im Grunde alles. Die Designprofession umfasst Felder wie Social Design, spekulatives Design, Design Consulting, Designforschung oder UX und UI Design. Immer wieder werden im Rahmen des Festivals, das in seiner 18. Ausgabe diesen offenen Weg weiter geht, grundsätzliche Fragen nach dem Designprozess gestellt: Was führt zu einer bestimmten Entscheidung? Warum wird dieser Weg und nicht ein anderer gewählt? Oder – woher kommen kreativen Ideen überhaupt und welche Rolle spielen digitale Tools, die im Grunde die gesamte Welt verändert haben und bestimmen?

Unerklärliche Entscheidungen

Kerstin Pfleger und Peter Paulhart von studio re:d gehen der Frage nach Entscheidungen im Designprozess auf ganz spezifische Weise nach. In ihrem Projekt „Board Games“, das gemeinsam mit Florian Appelt entstand, spielen sie mit der Komposition von Möbelelementen. Was führt zu einem bestimmten Ergebnis, wenn alle technischen Notwendigkeiten berücksichtigt wurden und es rein um die Ästhetik eines Stücks geht? „Wir wollten von diesem technischen Zugang (Wie sieht die Produktionsmethode aus? Welches Material wird verwendet?) weggehen, um uns zu fragen, was bleibt dann übrig, wenn es nur mehr um die Form, nur mehr um die Ästhetik geht“, erläutert Pfleger.

Der Startpunkt waren klassische Gestaltungsregeln aus der Bildenden Kunst wie der Goldene Schnitt oder die Fibonacci-Folge. Die Designer versuchten diese Regeln aus dem Zweidimensionalen ins Dreidimensionale zu übersetzen. Es war wohl ein Spiel mit Proportionen und mit dem Abwägen, wo die vorgegebenen Regeln auch gebrochen werden müssen. „Wenn es dann nur um formale Entscheidungen geht, muss man der Intuition folgen, denke ich. Man muss die Dinge genau betrachten, in Ruhe lassen, wieder anschauen und viele Modelle bauen“, sagt Paulhart und Pfleger ergänzt: „Letztlich kann man es nicht erklären. Wir sind dann irgendwann vor einem Modell gestanden und haben gesagt – das ist es. Aber warum? Keine Ahnung.“

Design ohne Ziel

Die vorläufige Conclusio des Experiments von studio re:d ist, dass intuitive Designentscheidung schwer in Worte zu fassen sind und dass sie somit großteils unerklärlich bleiben müssen. Ein radikales Experiment der ganz anderen Art haben Designerin Barbara Gollackner und Architektin Eldine Heep diesen Sommer in Angriff genommen. Inspiriert vom französischen Surrealismus arbeiteten sie an einer Kreation abwechselnd und jeweils alleine; Gollackner in Salzburg, Heep in Wien. Spannend wird das Ganze durch die Regeln, die die beiden im Vorfeld des Projekts festgelegt hatten: Keine Zielvorgaben, Hintergründe und Gedanken der jeweils anderen bleiben unbekannt. Während der Vienna Design Week präsentierten sie die doch recht konkreten Ergebnisse unter dem Titel „Exquisite Corpse“. „Wir wollten etwas kreieren, indem wir Dinge hin- und herschicken und jede baut weiter, schickt es wieder zurück und so weiter. Ohne Regeln, ohne Konzept. Die einzige Regel war – wir reden nicht darüber“, erläutert Gollackner das Nicht-Konzept.

Dass dieser künstlerische Ansatz letztlich in zwei brauchbare Möbelstücke, ein Couchtisch und eine Lampe, mündete, ist wohl dem unaufhaltsamen Drang der Designerinnen geschuldet, funktionale Objekte zu gestalten. Dabei war das Endergebnis viel weniger wichtig, als der Prozess des gemeinsamen Tuns – trotz geografischer Distanz. „Was sich aus den Umständen des Prozesses ergeben hat, war, dass wir hauptsächlich mit Reststücken aus unseren Ateliers gearbeitet haben. Barbara nahm eine Holzplatte aus einer früheren Tischserie als Anfangspunkt und ich schickte ihr einen Granitbogen“, erzählt Heep und Gollackner betont: „Der Vorgang war voller Überraschungen und hat sehr viel Spaß gemacht.“

Der Code der Welt

Das streng methodische, sehr zielgerichtete Gestalten wird mit diesem Projekt auf den Kopf gestellt, indem das Zufällige, das Unerwartete, nicht vom eigenen Ego Kontrollierbare zugelassen wird. Das eröffnet eine frische Perspektive auf das Thema Design. Einen erweiterten Blick auf das Feld der Gestaltung liefert auch die Ausstellung „Coding“ der Ateliergemeinschaft Design in Gesellschaft (DING). Dabei dringen die Designschaffenden tief in die Grundlagen nicht nur unserer modernen, technologischen Welt, sondern allen Lebens ein.

„Wenn man das Wort Coding hört, denken die meisten an Programmiersprachen, aber wir wollten das viel weiter fassen und sehen, was noch alles gecodet sein kann. Seien es Naturcodes, DNA-Codes oder Baucodes“, erklärt Christoph Wimmer-Ruelland von DING, der sich in seinem Projekt „Nightmare of Internet Rules (gemeinsam mit Alicia Borssén) mit der Frage beschäftigt, inwieweit heute alles um uns herum sexualisiert wird. Dazu wurden Motive aus den 10 häufigsten Träumen bearbeitet und als Hologramme dargestellt: Traum oder Alptraum liegt im Auge des jeweiligen Betrachters.

Mit Natur und Naturcodes beschäftigt sich Julia Schwarz in der Ausstellung. Ihr Thema ist seit Jahren die Flechte als Bioindikator. Diese komplexen Organismen tragen einen „Code“ in sich, der bei genauer Betrachtung unverwechselbare ästhetische Strukturen offenbart. „In der Antarktis und auf dem Dachstein gibt es die gleichen Flechten. Dadurch dass die Flechte so alt ist, zeigen sich Parallelen in diesem Code.“ Durch die Mikrofotografien von Nina Gruber wird dieser Code sichtbar.

Die Ausstellung „Coding“ wirft auch Fragen nach Datensouveränität und der Allmacht der Tech-Giganten auf. Themen denen sich Johanna Pichlbauer von DING schon länger widmet. Sie schreibt über den Designerberuf im Zeitalter der Codes: „Unsere Renderings kommen dem Endprodukt so nahe, dass es manchmal nicht einmal notwendig ist, das Produkt selbst herzustellen. Mit diesen neuen Werkzeugen schaffen wir auch eine neue Ästhetik, die ironischerweise jenen Formen und Bewegungen näherzukommen scheint, die wir aus der Natur kennen. Könnte das daran liegen, dass sowohl die von uns verwendeten Werkzeuge als auch das Organische auf denselben mathematischen und physikalischen Konzepten basieren?“

Designentscheidungen werden von den zur Verfügung stehenden Werkzeugen mitbestimmt. Dabei lohnt es immer wieder mal den Blick zu weiten und sich von aufgezwungenen, scheinbar obligatorischen Bedingungen zu lösen. Die Offenheit radikal künstlerischer Ansätze kann dafür hilfreich sein.



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