Die Dutch Design Week (DDW) in Eindhoven (Niederlande) ist der weltweit größte Event, wenn es um die Rolle des Designs als Problemlösungsmethode geht. Im vergangenen Jahr besuchten über 350.000 Menschen die DDW. Das Programm der Ausgabe 2024, die vom 19. bis 27. Oktober stattfindet, ist wiederum ein Pool von neuen Ideen und innovativen Ansätzen. In erster Linie stammen diese vom Designnachwuchs und zeichnen somit auch ein Bild der Geisteshaltung und ideologischen Ausrichtung junger Gestalter von heute. Diese ist – grob gesagt – recht einheitlich, denn die Zielrichtung der bearbeiteten Themen scheint in der Transformation des Wirtschaftens (Re-Use, Recycling, Circular Economy) sowie insgesamt dem Arbeiten an einer besseren Zukunft seit einigen Jahren festgefahren.
Aus der Vielzahl der Projekte von über 2.600 Designern stechen jene heraus, die für das Programm der diesjährigen Dutch Design Awards ausgewählt wurden. Wie bereits im Juli bekannt gegeben wurde, werden 2024 keine Preise vergeben, sondern frühere Preisträger wählen ihrer Meinung nach vielversprechende Jungdesigner aus, deren Arbeiten in einer Ausstellung gezeigt werden. Interessant ist der Zugang von Ginevra Petrozzi, die sich kritisch mit dem Überwachungskapitalismus und der technologischen Kontrolle auseinandersetzt. Die Italienerin greift auf Volkstraditionen ihres Heimatlandes zurück, die heimlich über Generationen von Frauen weitergegeben wurden. Sie verbindet das Magische (Petrozzi spricht von Hexerei) mit dem alltäglichen Leben, insbesondere unserer Interaktion mit Geräten.
Im Bereich der Wiederverwendung von Müll bewegt sich das Studio ThusThat. Der Fokus von Kevin Rouff und Paco Boeckelmann liegt auf Materialien, vorwiegend auf der Verwendung ungewöhnlicher Stoffe aus der Industrie und dem Bergbau. Für das Projekt One Side Sawn nutzen sie einzelne Platten aus Aluminiumresten. Es sind unregelmäßig strukturierte Seiten, die von den massiven Metallblöcken abgeschnitten werden, die in den frühen Phasen der Aluminiumproduktion gegossen werden.
Neue Schuhe
Kein Geheimtipp mehr ist das Artists in Residence-Projekt des Schuhmuseums SCHOENENKWARTIER. Die Ergebnisse der regelmäßig eingeladenen Gestalter sind in einer Ausstellung zu sehen: vier Projekte von fünf Designern. Sie alle wurden von den Möglichkeiten des Shoe Lab und der Sammlung des Schuh- und Ledermuseums inspiriert. Mit dabei ist Maxim Verheuls „Walking on Wood“, eine Interpretation dessen, was Holzschuhe heute sein könnten.
Farbenfrohe Leuchtfeuer
Im Programm der DDW sind wenige international bekannte Namen zu finden. Einer davon ist Raw Color. Das Eindhovener Designstudio von Daniera ter Haar und Christoph Brach präsentiert seine Kooperation mit Ikea, ein weiteres Projekt, in dem sie Funktion und Bedeutung von Farben erforschen. Der Anspruch der limitierten Tesammans-Kollektion scheint simpel, ist aber in Wahrheit sehr schwierig – nämlich mit farbenfrohen Objekten Freude ins Leben der Menschen zu bringen. Es geht um die transformative Kraft von Farben. Die gestrickte Tesammans-Decke veranschaulicht diese Idee mit grafischen Linien und Volltonfarben, die aus der Ferne scheinbar zu einem einzigen Farbton verschmelzen, aus der Nähe betrachtet jedoch treten einzelne Farben hervor.
Zu den drei neuen beacon’s (Leuchtfeuer) der DDW – ausgewählte Designer, die Vorbildwirkung entfalten – gehört auch André Doxey, eine wichtige Figur in der Entwicklung von Sportschuhen. Er arbeitete an die 20 Jahre für Nike, war acht Jahre lang Creative Director bei Adidas, wo er eine Schlüsselrolle im Projekt Adidas x Stella McCartney spielte und ist heute Head of Design bei der LEGO Group. Im Rahmen der DDW präsentieren die beacon’s aktuelle Arbeiten und/oder halten Vorträge. So wird Bas van de Poel über Computer-Aided Design sprechen und Julia Watson eine Keynote im Van Abbemuseum (19. Okt.) halten.
Architektur im Wandel?
Das argentinische Architekturbüro May Bee (Magdalena Salinas, Sitz in Den Haag) beschäftigt sich mit der Schönheit des Verfalls. In „A House of Salt“ wird die Beziehung der Architektur zu Zeit, Verfall und Sterblichkeit untersucht. Wobei die Vergänglichkeit gebauter Struktur im Salz-Haus eher zu einem Vorgang der Metamorphose wird. Sehr viel konkreter gehen die Dutch Bamboo Foundation und das studio akēka an eine Veränderung der Bauindustrie heran. Mit dem „Trilix Bamboo Pavilion“ wird die Verwendung von Bambus für urbane Bauten propagiert. Der Pavillon wurde ursprünglich in Uganda errichtet und sollte die Vielseitigkeit und Stärke des lokal angebauten Bambus als Baumaterial demonstrieren. Die Konstruktion unterstreicht nicht nur das Potenzial von Bambus, sondern zeigt auch, wie traditionelle Bautechniken an moderne Standards angepasst werden können. Wie so viele neuen Initiativen in der Architekturtheorie und -praxis, soll auch dieses Projekt zu einem umweltfreundlicheren Bauwesen beitragen.
Auch Spaß muss sein
Egal, ob man den aktuellen Narrativen voll und ganz zustimmt oder die Eliten-gesteuerte Welt kritisch sieht (und die Problemlage ganz anders definiert), alle wollen auch mal Spaß haben. Dankenswerterweise hält die DDW ebenso erhellende Beiträge bereit, die die Besucher zumindest schmunzeln lassen. Casting Standards von MacAuley Brown Works zum Beispiel ist eine spezielle Besteckkollektion, die kaputte Utensilien mithilfe einer Reparatur-Collage-Technik mit neuen, aber „artfremden“ Griffen versieht. So wird ein Messer mit einem Zangengriff kombiniert, oder ein Löffel mit dem Griff einer Schere. Das bedeutet, wenn man zum Löffel greift, hat man das etwas irritierende Gefühl, eine Schere in der Hand zu haben. Dies ist eine Upcycling-Methode gegen den Strich – sozusagen.
Oder die interaktive Installation „Things“ von Reinier van der Wal, wo sich Fahrradpumpen zu bewegen beginnen, wenn man sich ihnen nähert. Die Idee dahinter war, zu zeigen, dass alltägliche Objekte eine Seele haben und unsere Wegwerfkultur dadurch zu hinterfragen. Van der Wal geht es um den intrinsischen Wert, der unseren Dingen innewohnt und die Geschichten, die sie erzählen. Es ist das Verhältnis Mensch-Objekt, das hier näher beleuchtet wird, also das Leben des Menschen und seines Umgangs mit allem, was ihn umgibt – eine Fragestellung, die im Grunde auf alle Beiträge der Dutch Design Week zutrifft.