Home Design Wie junge Designer ticken! – Dutch Design Week 2023

Wie junge Designer ticken! – Dutch Design Week 2023

von Markus Schraml
Beautiful Work, Prag

Keine internationale Designveranstaltung ist als Gradmesser für das aktuelle Mindset von Designern besser geeignet als die Dutch Design Week (DDW) in Eindhoven (Niederlande). Unter dem Motto „Picture this“ (Stell Dir das vor) legten die Organisatoren (die Dutch Design Foundation) erstmals 10 sogenannte „Programme narratives“ fest, die den Besuchern erlauben sollten, für sie relevante Programmpunkte leichter zu finden. Dies kam auch den Ausstellern zu Gute, denn aus der enormen Vielfalt eines der größten Designevents der Welt (rund 2.500 Designer u. 350.000 Besucher) herauszustechen, kann ein Problem sein. Deshalb war es ein expliziter Wunsch vieler Teilnehmer, einfacher gefunden zu werden, worauf die Dutch Design Foundation mit entsprechenden Neuerungen reagierte.

Neu waren die sogenannten „beacons“, welche die bisherigen Designbotschafter ablösten. Herausragende Persönlichkeiten, die Wegbereiter in ihren jeweiligen Designfeldern darstellen. Diese waren Yinka Ilori, Stefan Diez sowie Neele und Sanne Kistemaker. Letztere sind „Leuchtfeuer“ für den Bereich Social Design, der bei der DDW wie gewohnt viel Raum einnahm. Bemerkenswert ist die vorgestellte Initiative PONT, die von der Dutch Design Foundation mit dem niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 23. Oktober offiziell eingeführt wurde. Es handelt sich dabei um eine mehrjährige Kooperation rund um die Anwendung von Design für gesellschaftliche Herausforderungen. Neun Millionen Euro werden investiert, um Designansätze öfter und stärker für Projekte der öffentlichen Hand heranzuziehen.

Neu waren auch InterCHANGES, eine Reihe von interaktiven Events von und für Designer, die ihre Arbeit mit einem missionarischen (!) Impetus verbinden. Das Programm startete mit drei Co-Creation-Sessions. Dieser Antrieb für Veränderungen war in einer überwiegenden Anzahl der DDW-Beiträge festzustellen. Sei es im Bereich kreativer Abfallverwertung, in alternativen Ernährungsansätzen, in Fragen der inklusiven Gestaltung oder im Feld der Digitalisierung. Darin findet sich naturgemäß die implizite Kritik am Bestehenden.

All diese Themen spiegeln die Rolle von Designern als Teil der Wirtschaft sowie in (industriellen) Produktionsprozessen wider. Und sie wollen sie im Namen einer besseren Zukunft transformieren. Nun sind Designer keine Entscheidungsträger, sondern oftmals Auftragnehmer oder abhängig von staatlichen bzw. institutionellen Subventionen. Dass sie von Unternehmern als gleichwertige Partner gesehen werden, ist wohl die Ausnahme. Aber aufgrund der geballten Kraft des grünen Mindsets einer ganzen Generation von Gestaltern, wird sich höchstwahrscheinlich ein gewisser Einfluss ausmachen lassen – mit den Jahren.

Abfall als Ressource

Einige Beispiele innovativer Designansätze, die Teillösungen für die drängendsten Fragen unserer Zeit anbieten, waren in Eindhoven vor allem im Bereich der Weiterverwendung und Verwertung von Müll zu sehen. So fertigt etwa Yi Design (China) aus Keramikabfällen unterschiedliche Produkte für die Interieur- und Architekturbranche. Nachdem aus den Tonnen von gesammelten Keramiküberresten zunächst Ziegel und Fliesen hergestellt wurden, hat Yi Design mittlerweile auch Tassen, Tische, Skulpturen, Springbrunnen und Beleuchtungsobjekte im Programm. Unter dem Projekttitel „Just One Brick“ lädt Yi Design Architekten, Künstler und Designer ein, mitzumachen. Aus einer dieser Kooperationen entstanden die Leuchten des italienischen Designers Martin Oberhauser (Studio Oberhauser).

Die Yi Design Group verwertet Keramikabfälle und macht daraus nicht nur Ziegel. © Yi Design Group

Dump Design, ein Kollektiv aus sechs Designern unter der Leitung von The Bin, hat in diesem Jahr ein Forschungsprojekt initiiert, um das Problem des sich ständig anhäufenden Mülls im niederländschen Upcyclecentrum Almere anzugehen. Ziel ist es, systematisch ein ganzes Designportfolio rein aus Abfall zu erschaffen. Während ihrer Arbeit in Almere entdeckten die Designer immer wieder auch wertvolle Gegenstände wie elektrische Stühle oder ganze Fußböden im Wert von mehreren Tausend Euro. In dem Projekt konzentriert sich jeder Designer auf einen bestimmten Aspekt des Abfallstroms: auf Textilien, Möbel, Metalle oder Elektronik. Neben der konkreten Verwandlung von Müll in wertvolle Produkte geht es vor allem darum, die Sicht der Bevölkerung auf den Abfall zu verändern und ihn nicht als nutzlos, sondern als wertvolle Ressource zu betrachten.

Recycling neu gedacht von The Bin, Stadsreiniging Almere und Dump Design. Es geht um die Entwicklung neuer Materialien aus recyceltem Abfall. Praktisches Beispiel: attraktive Taschen von Designerin Femke Mostert. © Replica Photography

Einen künstlerischen Weg, um der Kritik an unserer Wegwerfgesellschaft Ausdruck zu verleihen, verfolgte The Visionary Lab mit dem Kunstprojekt „Icons Re/Outfitted“. Dabei wurden ikonische Vitra-Stühle mit gleichfalls ikonischem Denim von Levi’s® umgestaltet, um Aufmerksamkeit auf das Thema des enormen Textilmülls zu lenken. Talentierte Designer waren aufgerufen, gebrauchten Meisterwerken von Eames, Panton und Nelson neue Looks mithilfe ausrangiertem Denims zu verpassen. Das Ergebnis ist eine faszinierende Serie kunstvoll upgecycelter Stühle.

Icons Re/Outfitted-Projekt – Eames-Stuhl im Olivenbaum: The Eames Shell Chair DSW umgestaltet von Norman Monsanto, Kelly Konings für The Visionary Lab. © The Visionary Lab

Deindustrialisierung des Grafikdesigns

Einem unterrepräsentierten Aspekt des kreativen Prozesses widmet sich das Projekt „Analog Aesthetics“ von Novo Typo. Das Amsterdamer Grafikdesignstudio hat für ein DIY-zine nicht nur das Layout gestaltet, sondern auch eigenes, lokal hergestelltes Papier und pflanzenbasierte Tinten verwendet. Es geht hier um nichts weniger als die Deindustrialisierung des eigenen Berufs. Dafür stellt sich Novo Typo gegen das komplexe System von Produktion, Lieferketten und restriktiven Industriestandards. Die neue DIY-zine-Publikation Analog Aesthetics wurde während der DDW 2023 bei Piet Hein Eek veröffentlicht.

Das Amsterdamer Grafikdesignstudio Novo Typo möchte den gesamten Herstellungsprozess inklusive Papier und Tinte in der eigenen Hand haben. Im Projekt „Analog Aesthetics“ wurde dies umgesetzt. © Novo Typo

Hommage an das Handwerk

Ein Thema, das in der Flut von weltveränderungswilligen Projekten und Initiativen während der DDW etwas unterging, war der Verlust des traditionellen Handwerks, ein negativer Trend, der immer weiter voranschreitet. Löbliche Ausnahme war eine Ausstellung der Akademie für Kunst, Architektur und Design Prag. Unter dem Titel „Beautiful Work“ kreierten die Studenten eine Produktkollektion, in dem sie sich mit traditionellen Handwerkstechniken auseinandersetzten. In ihren neun Realisierungen bearbeiteten sie die Felder Mode, Essen und Struktur.

Die Studenten der Akademie für Kunst, Architektur und Design Prag beschäftigten sich mit traditionellen Handwerkstechniken. © Umprum

Das Kollektiv Verkstan von Tom Schoonhoven, Ben van Kemenade, Ruben Warnshuis und Vasco Verissimo präsentierte die Open Studio-Ausstellung „The New Old, Objects for use“, als einen tief empfundenen Tribut an die Kunst des Handwerks und das darin liegende reiche Erbe. Mit dieser Ausstellung möchte die Gruppe in Vergessenheit geratene Erfahrungen ins Rampenlicht rücken, mit dem Ziel des besseren Verständnisses und letztlich einer tieferen Bindung zu den Dingen, die uns umgeben. Im Open Studio / Werkstatt der vier Designer / Kunsthandwerker war eine abwechslungsreiche Mischung funktionaler Stücke zu sehen, darunter Messer, Schuhe, Möbel und sogar ein Ofen, der das Kochen über offener Flamme thematisierte.

Das Kollektiv Verkstan öffnete die Tore zu seiner Werkstatt und lud dazu ein, Dinge und unsere Bindung dazu neu zu entdecken. © Verkstan

Urbaner Raum und Natur

Das DRIVE Design Research & Innovation Festival feierte im Rahmen der DDW sein 10-jähriges Jubiläum. Vor der großen Party am Freitag wurde unter der Woche über Kreislaufwirtschaft, Digital Society, Systeme und soziale Innovationen sowie über zukünftige Wohnumgebungen diskutiert, in denen die Natur eine gleichwertige Stellung einnimmt. Passend dazu verlieh die niederländische Vogelschutzinitiative Vogelbescherming Nederland zum dritten Mal den „Nature-inclusive Building & Design Award“. Damit soll die Aufmerksamkeit auf die Erhöhung der Biodiversität im urbanen Raum gelegt werden. Der Preis ging an den Gezeitenpark Keilehaven in Rotterdam. Das aus 38 Einreichungen ausgewählte Siegerprojekt stammt aus der Feder der Landschaftsarchitekten De Urbanisten. Sie verwandelten ein altes Hafengelände voller Industrie in ein Naturschutzgebiet. Die neun Terrassen geben Ebbe und Flut Raum und bilden gleichzeitig einen Bereich, in dem Menschen leben und arbeiten können.

Der Keilehaven Tidal Park verbindet einen Stadtpark mit einem natürlichen Flussmündungssystem. Es entsteht eine Balance zwischen kulturellen Parkelementen und natürlichen Prozessen. Diese Leistung wurde nun mit dem „Nature-inclusive Building & Design Award“ belohnt. © De Urbanisten

Ein zeitlich sehr viel näheres Problemfeld als die Einheit von Natur und Mensch ist für viele die Frage, wie sie sich Wohnen überhaupt noch leisten sollen. Dazu fand ein Workshop im Zuge der Embassy of Inclusive Society statt. Ein Beispiel für einen anderen Umgang mit Wohnraum liefert der Community Land Trust in den Niederlanden, der Land am Markt erwirbt und in geteilte Eignerschaft überführt. Das soll verhindern, dass steigende Grundstückspreise zu immer höheren Wohnungskosten führen.

Normen / Identität / Überwachung

Andere gesellschaftliche Herausforderungen wie die wachsende Ungleichheit, die Verengung des Meinungskorridors, der Umgang mit sogenannter Künstlicher Intelligenz oder die Gefahr des Verlusts jeglicher Privatheit durch die Digitalisierung werden ebenso (wenn auch weniger als grüne Themen) im Designdiskurs abgehandelt. So fand ebenfalls in der „Botschaft der inklusiven Gesellschaft“ ein Talk zur Überwachung statt. Unter dem Titel „(De)coding Bodies“ zeigte etwa die Arbeit von Gabriel Fontana wie Sport als „biopolitische Arena“ und als eine Form von Überwachung fungiert, die gesellschaftliche Normen und Identitäten schon in einem frühen Alter prägt. Kaan Hiçyılmaz wiederum brachte Licht in moderne Überwachungstechnologien wie CCTVs und Wearables, die durch ihre Allgegenwart jede unserer Bewegungen und Verhaltensweisen protokollieren. Davon ausgehend war der Anspruch der Veranstaltung, wie wir unsere körperliche Autonomie zurückzugewinnen und uns von normativen, kontrollierenden Strukturen befreien können.

Gabriel Fontana kreierte seine „Multiform“ (2019) für die Stadt Rotterdam. Es war ein Bildungsprogramm für Schulen, um inklusiven Sportunterricht zu fördern. Foto © Iris Rijkamp

Die Dutch Design Week 2023 war ein Festival, das vor allem dem Designnachwuchs eine Bühne bot. Wie die nächste Generation von Designschaffenden tickt, war an zahlreichen Projekten abzulesen: engagiert, problembewusst und grün. Vor allem bei letzterem Anspruch sollte die viel zitierte holistische Herangehensweise von Designern von dem einen oder der anderen etwas ausgeweitet und manche der als feststehende Wahrheiten angenommenen Erkenntnisse überdacht werden. Ganz nach dem Motto: Alles hinterfragen!


Mehr zum Thema


Weitere TOP-Artikel

-
00:00
00:00
Update Required Flash plugin
-
00:00
00:00