Der Prix Ars Electronica ist im Jahr 2021 wichtiger denn je. Eine der Branchen, die am härtesten von den Pandemie-Maßnahmen und Lockdowns betroffen war, ist die Kunst. In der Medienkunst wird oft in Teams gearbeitet, was aufgrund der seit Frühjahr 2020 andauernden Situation zu einem produktiven Rückgang geführt hat. Das Linzer Ars-Electronica-Team um Gerfried Stocker ist sich der prekären Lage vieler Künstler*innen sehr wohl bewusst. „Unter diesem Eindruck haben wir im Frühjahr 2021 beschlossen, die Preisgelder des Prix Ars Electronica aufzustocken. Es gibt diesmal nicht nur je 10.000 Euro für die Goldenen Nicas, sondern auch noch 6.000 Euro für die Awards of Distinction“, berichtet Stocker.
Zusätzlich wurden parallel zum Prix Ars Electronica erstmalig zwei weitere Wettbewerbe ausgeschrieben: der „Isao TomitaSpecial Prize“ und gemeinsam mit dem Österreichischen Außenministerium der „Ars Electronica Award for Digital Humanity“. „Insgesamt können wir in diesem für viele Künstler*innen so schwierigen Jahr Preisgelder in der Höhe von 69.000 Euro ausbezahlen“, resümiert Stocker. „Darüber hinaus werden wir alles daransetzen, so viele Künstler*innen wie möglich zu beauftragen, ihre spannenden Projekte im September beim Festival in Linz vorzustellen.“
Hauptpreise des Prix Ars Electronica 2021
Die Goldenen Nicas gehen in der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“ an Alexander Schubert aus Deutschland, in der Kategorie „Computer Animation“ an Guangli Liu aus China und in der Kategorie „Artificial Intelligence & Life Art“ an das internationale Künstler*innenkollektiv „Forensic Architecture“. In der Kategorie „u19 – create your world“ dürfen sich die Wiener Schüler Felix Senk, Emil Steixner und Max-Jakob Beer über die Goldene Nica freuen. Den ersten „Isao Tomita Special Prize“ erhalten Khyam Allami aus Großbritannien und das Kollektiv „Counterpoint“ und der „Ars Electronica Award for Digital Humanity“ geht an Climate Action Tech und ihr Branch Magazine.
Digital Musics & Sound Art / Convergance von Alexander Schubert
Mit „Convergence“ macht Alexander Schubert (Deutschland) auf zwei Dinge aufmerksam: Zum einen, dass das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, eine sehr konstruierte Sache ist, und zweitens, dass, obwohl uns diese überzeugende Interpretation geradezu unveränderlich scheint, sie das nicht ist. „Convergence“ ist eine Performance, bei der menschliche Musiker*innen und ihre KI-generierten Avatare ein Stück gemeinsam spielen. Dabei steht das bühnenreife Nebeneinander konstruierter Wirklichkeiten im Mittelpunkt. Dafür wird Schubert mit einer Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2021 ausgezeichnet.
Isao Tomita Special Prize – Apotome von Khyam Allami und Counterpoint
„Apotome“ ist ein Musikprojekt, das die kulturellen Asymmetrien, Vorurteile und Ungleichheit zeitgenössischer Musikwerkzeuge sowie deren verflochtenes Netz musikalischer, pädagogischer, kultureller, sozialer und politischer Verästelungen beleuchtet. Das Projekt wurde von Khyam Allami (Großbritannien) und dem Kreativstudio „Counterpoint“ ins Leben gerufen und legt den Fokus auf zwei browserbasierte, nicht-kommerzielle Anwendungen: Apotome, ein generatives Musiksystem, das sich auf transkulturelle Stimmungen und ihre Untergruppen (Skalen/Modi) konzentriert, und die Anwendung Leimma, die die Erforschung und Erstellung eben dieser Stimmungen möglich macht.
Computer Animation / When the Sea Sends Forth a Forest / Guangli Liu
Mit „When the Sea Sends Forth a Forest“ widmet sich Guangli Liu der vergessenen Geschichte der chinesischen Gemeinde Kambodschas, die von den Roten Khmer verfolgt, vertrieben und getötet und dabei von China im Stich gelassen wurde. Angesichts des Mangels an historischem Bildmaterial aus dem damals nach außen hin völlig abgeschotteten Land nutzt Guangli Liu einerseits die Propagandavideos des Regimes, andererseits die Schreckensbilder, die nach dessen Sturz in alle Welt verbreitet wurden. Virtuos verwebt Guangli Liu die alten Aufnahmen mit 3D-Darstellungen einer Game-Engine und schafft so eine einmalige visuelle Geschichte. Für „When the Sea Sends Forth a Forest“ erhält Guangli Liu eine Goldene Nica des Prix Ars Electronica 2021.
Artificial Intelligence & Life Art / Cloud Studies von Forensic Architecture
Das Kollektiv von „Forensic Architecture“ arbeitet mit dem „Department of Mechanical Engineering am Imperial College London“ (ICL), das weltweit führend in der Strömungssimulation ist, zusammen, um gemeinsam neue Methoden zu erarbeiten, mit denen Gewalt aus der Luft unabhängig dokumentiert und analysiert werden kann. Dass dieser Ansatz Wirkung entfaltet, wurde bereits unter Beweis gestellt. So zitierte die UN in einem offiziellen Bericht die von „Forensic Architecture“ durchgeführte Untersuchung der Herbizid-Kriegsführung in Gaza. In ihren „Cloud Studies“ haben die Forscher*innen und Künstler*innen von „Forensic Architecture“ acht Untersuchungen zusammengefasst, die unterschiedliche Arten von toxischen Wolken analysieren und die diesbezügliche Verantwortung von Staaten und Unternehmen thematisieren. Durch die Kombination von digitaler Modellierung, maschinellem Lernen, Strömungsdynamik und mathematischer Simulation haben sie eine Plattform für neue Forschungspraktiken im Bereich der Menschenrechte geschaffen. Dafür erhalten „Forensic Architecture“ eine Goldene Nica des Prix Ars Electronica 2021.
u19– create your world / Young Professionals 14 – 19
Die Goldene Nica in der Kategorie „u19–create your world“ geht 2021 an Felix Senk, Emil Steixner und Max-Jakob Beer. Die drei Schüler der „Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt“ beschäftigten sich mit nachhaltiger Musikproduktion und entwickelten dafür „re-wire“. Aus einem Arduino und Elektroschrott bauten sie einen MIDI-Controller, der wie ein Instrument funktioniert. 16 verschiedene Loops können damit abgespielt werden. Alle Klänge wurden zuvor mit einem Field-Recorder aufgenommen und rühren von den im MIDI verbauten Komponenten bzw. ihrer Bearbeitung her – etwa von einer Kreissäge, die zum Schneiden des Gehäuses benutzt wurde. Im Inneren des MIDI-Controllers befinden sich ein „Arduino DUE“ und ein PC, auf dem „Ableton Live“ läuft.
Ars Electronica Award for Digital Humanity / Branch Magazine
Das Internet ist die größte mit fossilen Brennstoffen betriebene Maschine der Welt. Ändert sich daran nichts, wird der IT-Sektor bis 2040 für 14 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich sein. Den Macher*innen des „Branch-Magazine“ schwebt dagegen eine andere Vision für die Zukunft des WWW vor: Das Internet soll der kollektiven Befreiung dienen und ökologischer Nachhaltigkeit verpflichtet sein. Das Magazin ist ein Ort der persönlichen Reflexion, der kritischen Auseinandersetzung mit Technologie und des Experimentierens. Es ist der Versuch, frisches Denken darüber zu fördern, wie wir das Web technisch, ästhetisch und politisch grüner machen können.
3.158 Projekte aus 86 Ländern wurden zum Prix Ars Electronica 2021 eingereicht.