Home Design Tradition bedeutet Identität – Oliver Holy (ClassiCon) über Möbel und Unternehmertum

Tradition bedeutet Identität – Oliver Holy (ClassiCon) über Möbel und Unternehmertum

von Markus Schraml
Eileen Gray, ClassiCon

Möbelhersteller, die sowohl Klassiker als auch zeitgenössische Stücke in ihren Kollektionen haben, gibt es einige: Firmen wie Knoll, Cassina oder Nemo tragen die Tradition weiter und mischen sie mit anspruchsvollen modernen Designs. Eine Ausnahmeerscheinung in diesem Feld ist ClassiCon. Das deutsche Unternehmen ging im Jahr 1990 aus den Vereinigten Werkstätten in München hervor, wobei das Startkapital aus Lizenzrechten von Eileen Gray, Eckart Muthesius und Otto Blümel bestand. Im Lauf der Zeit schaffte es der Hersteller mit Entwürfen zeitgenössischer Gestalter wie Sebastian Herkner, Konstantin Grcic oder Neri & Hu eine einzigartige Möbelkollektion aufzubauen, was in erster Linie dem Gespür des heutigen Alleininhabers Oliver Holy zu verdanken ist.

Das Besondere am Programm von ClassiCon sind die vielen unterschiedlichen Kleinmöbel wie Beistelltische, Hocker, Garderobenständer, Spiegel oder Paravents, die sich allesamt durch einen starken, sehr eigenen Charakter auszeichnen. Was sie eint, ist ihr Objektwesen, das sofort an Kunstwerke denken lässt. Diese besondere Zusammenstellung der Kollektion ist auch und vor allem Oliver Holys Interesse an Kunst, Architektur und Design geschuldet. Er hat ein Portfolio geschaffen, das in der Möbelwelt seinesgleichen sucht. Im FORMFAKTOR-Interview spricht er über unternehmerische Unabhängigkeit, brasilianisches Design und die Liebe zur Tradition.


FORMFAKTOR: Wie kommt die, nennen wir es, Designlinie von ClassiCon zustande? Was macht diese besondere Mischung von Einzelstücken aus? Wie entscheiden Sie, was Sie aufnehmen?

Oliver Holy: Das ist alles Bauchgefühl. Ich sehe etwas, es gefällt mir und wir machen es. Zum Beispiel der Bell Table: Als ich ihn unseren Vertretern vorgestellt habe, damals 2011, war er in Messing und die sagten: Das geht gar nicht, keine Chance, Messing wird sich niemals verkaufen. Das sind so Momente, wo man natürlich darüber nachdenkt, ob diese 15 Personen, die dagegen sprechen, nicht vielleicht doch recht haben. Aber ich sagte, ich bin davon überzeugt und wir machen das jetzt. Das Wort Unternehmer kommt von unter-nehmen und es muss nicht immer Everybody’s Darling sein, man muss auch mal ein Risiko eingehen.

FORMFAKTOR: Gerade der Bell Table hat sich unternehmerisch sehr bezahlt gemacht?

Oliver Holy: Ja, auf jeden Fall. Oder ein weiteres Beispiel: 2012 habe ich den Corker-Hocker von Herzog & de Meuron erstmals in London im Serpentine Pavilion gesehen. Er hat mir sehr gut gefallen. Also habe ich immer wieder nachgefragt, ob wir ihn nicht produzieren könnten. Ich kannte Ascan Mergenthaler noch aus der Zeit als er für Konstantin Grcic gearbeitet hat. Irgendwann habe ich ihn angerufen und er hat gesagt, jetzt ist es soweit, wir wollen ihn produzieren. Und nach ein paar kleinen Änderungen, zum Beispiel haben wir den ganz dunklen Kork genommen, ging er in Produktion.

FORMFAKTOR: Eine ganz neue Kollektion mit dem Namen „Volkshaus“ kommt auch von Herzog & de Meuron. Sie scheinen ein Fan zu sein.

Oliver Holy: Für mich ist Herzog & de Meuron das Architekturbüro schlechthin im Hinblick darauf, wie sie an Fassaden, an Formen arbeiten und sich niemals wiederholen. Das fasziniert mich. Ein weiteres Beispiel für freie unternehmerische Entscheidungen ist der Brick Paravent von Eileen Gray, der in der Produktion recht teuer ist. Aber ich sagte, ich will dieses Produkt unbedingt haben, egal was es kostet, weil es ein elementar wichtiger Teil im Leben von Eileen Gray war.

FORMFAKTOR: Was in der Kollektion von ClassiCon auffällt, ist, dass Sie immer wieder Designs aus Brasilien im Programm haben.

Oliver Holy: Ich liebe brasilianisches Design. Wir hatten damals Sergio Rodrigues in der Kollektion. Rodrigues war neben Lúcio Costa und Oscar Niemeyer eine der drei Persönlichkeiten, die für die Stadt Brasilia verantwortlich waren. Er war ein toller Mann und sein Protegé war Jader Almeida (ClassiCon verkauft einen Lounge Chair und einen Rocking Chair des Designers – Anm.). Aufgrund meiner Liebe für brasilianisches Design haben wir auch Guilherme Torres im Programm. Diese Sachen kennt in der Welt eigentlich niemand, aber ich mag sie sehr.

2024 zeigt ClassiCon die gesamte Beistell- und Couchtischserie von Guilherme Torres in der neuen Farbausführung schwarz lackiert. © ClassiCon

FORMFAKTOR: Als 1990 das Unternehmen gegründet wurde, war das Konzept die Mischung aus Lizenz-Stücken und neuen Designs? Hat sich diese Strategie rückblickend als richtig erwiesen?

Oliver Holy: Absolut. Dieser Weg war der richtige. Wir machen keine Produkte mit Wegwerf-Charakter, sondern welche die von der Qualität her ohne Probleme an die nächste Generation weitergegeben werden können. Das heißt, wir versuchen Dinge zu machen, die auch in 40 Jahren Relevanz besitzen. Wenn ich Eltern höre, die in meinem Alter (mit 50) Kinder haben, die jetzt ausziehen und sich dann einen Bell Table stibitzen und ein paar Sachen mit in ihre Studentenwohnung nehmen, dann ist das der Beweis dafür. Und die Eltern kaufen sich den Bell Table dann nochmal.

FORMFAKTOR: Wie ich ihren bisherigen Antworten entnehme, ist Ihnen die unabhängige unternehmerische Entscheidung ganz wichtig.

Oliver Holy: Auf jeden Fall. Ich sehe Dinge und mein Unterbewusstsein sagt mir, das passt und dann nehmen wir es in die Kollektion auf. Ich frage vielleicht jemanden nach seiner Meinung, aber am Ende des Tages treffe ich meine eigenen Entscheidungen. Das kann auch schiefgehen. Es ist nicht so, dass wir nur erfolgreiche Produkte herausgebracht haben. Es gab mal eine Sache, von der ich voll überzeugt war, aber dann haben wir bloß ein einziges Stück davon auf der Messe verkauft. Das war’s. Wir sind auch schon zu Messen ohne Neuheiten gefahren. Das ist der Luxus und die Freiheit, die ich mir leiste. Wenn die Firma größer wäre, könnte ich das nicht.

Matéria von Christian Haas (2021 / 2024) in neuer Ausführung mit hochglanzpoliertem schwarzem Marmor – auf dem Wendingen Rug von Eileen Gray (1920 – 1935). © Hersteller ClassiCon autorisiert von The World Licence Holder Aram Designs Ltd., Foto: Elias Hassos

FORMFAKTOR: Welche Dinge außerhalb der Designwelt beeinflussen Sie in Ihren Entscheidungen?

Oliver Holy: Zum Beispiel die Modewelt. In dieser Branche muss immer alles schnell und schneller gehen, das führt zu einer anderen Betrachtungsweise. Diese Leute haben ganz andere Gedanken, sehen ganz andere Dinge. Jemand, der aus der Modeindustrie kommt, für den ist es kein Problem, in die hochwertige Möbelproduktion zu gehen. Die wundern sich eher, wie viel Zeit man hier hat. Oder die Kunst: Dort wird seit zwei, drei Jahren sehr viel mit Stoffen gearbeitet und wieder mehr Plastiken gemacht. Auch in der Architektur gibt es Trends: Wenn ich eine Stadt besuche, flaniere ich gerne durch die Straßen. Tatsächlich mache ich alles bis zu einer Stunde selbst mit dem Rollstuhl. Da kann es vorkommen, dass ich zum Beispiel eine Fassade oder eine Form sehe, bei der mir Gedanken kommen, dass das etwas für uns sein könnte.

FORMFAKTOR: Welchen Stellenwert haben qualitativ hochwertige Möbel generell im Hinblick auf die Kultur der Menschen?

Oliver Holy: Niemand weiß heute, welches Möbel ein Klassiker sein wird, aber ich glaube, dass jeder Klassiker ein Beweis dafür ist, dass Kultur weitergetragen werden kann. Es gibt modisches Design und modernes Design und letzteres hält lange an. Unsere Kultur heutzutage ist einerseits vom Massenkonsum und einer Wegwerfgesellschaft geprägt, andererseits sind viele Konsumenten sehr viel nachdenklicher geworden. Dabei spielt Qualität eine große Rolle, denn hochwertige Produkte halten lange.

Eileen Gray unterhielt auch ein Atelier, in dem Teppiche nach ihren Entwürfen hergestellt wurden. Zahlreiche sind bereits Teil der ClassiCon-Kollektion. Drei weitere Modelle, basierend auf Gouachen der Künstlerin, sind nun ebenfalls erhältlich – De Stijl, Cassis und La Lune. (1920 – 1935). © Hersteller ClassiCon autorisiert von The World Licence Holder Aram Designs Ltd., Foto: Elias Hassos

FORMFAKTOR: Welche Bedeutung hat für sie das Wort Tradition?

Oliver Holy: Tradition ist für mich elementar wichtig. Tradition bedeutet Identität. Sie definiert Menschen und Völker, Zeiten und Generationen. Es gibt ein Rezept von meiner Oma für den „versunkenen Apfelkuchen“ – das ist schwäbisch – dieses Rezept machen wir heute noch. Und das will ich auch der nächsten Generation weitergeben. Oder – meine Mutter ist Münchnerin und wir sind teilweise am Tegernsee aufgewachsen. Dort gibt es die Waldfeste, die von Trachtenvereinen, von Skivereinen etc. veranstaltet werden. Das sind kleinere bayrische Feste mit Schießständen und Kuchenständen. Jeder trägt dort Tracht. Einer meiner besten Freunde zieht seine Lederhose im Mai an (er besitzt drei) und zieht sie frühestens im Oktober wieder aus. Ich liebe Tradition.

FORMFAKTOR: Worauf wollen und werden Sie in Zukunft besonders Wert legen?

Oliver Holy: Eigentlich möchte ich so weiter machen wie bisher und mein eigener Chef bleiben. Das ist mir das Wichtigste, weil es mir Freiheit gibt. Ich liebe, was ich mache und deshalb wüsste ich nicht, was ich ändern sollte.

Danke für das Gespräch!



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