Home Design Karim Rashid über die Beherrschung der Komplexität als Chance

Karim Rashid über die Beherrschung der Komplexität als Chance

von Markus Schraml
Karim Rashid

Der Begriff Stardesigner wird oft vorschnell verwendet, doch im Fall von Karim Rashid scheint er mehr als gerechtfertigt. Er hat in seiner 40-jährigen Karriere stets mit visionärem Anspruch über 4000 Designs umgesetzt, darunter sowohl Luxusgüter für Firmen wie Veuve Clicquot oder Swarovski als auch eher demokratische Produkte für Umbra, Paul Mitchel oder 3M. Sein Starstatus innerhalb der Designcommunity liegt also nicht in seinem schillernden modischen Auftritt begründet, sondern in seiner oft zum Staunen anregenden Arbeit.

Rashid hat Hightech-Produkte für Samsung genauso designt wie Brandings für Hugo Boss und Citibank oder Verpackungen für Kenzo und Issey Miyake. Nicht zuletzt sind seine Möbelgestaltungen beispielsweise für Bonaldo, Tonelli oder Vondom bemerkenswert. Die Mailänder Designwoche ist auch für das Studio von Karim Rashid ein wichtiger Anlass und der Terminkalender des Chefs ist voll. Taucht er irgendwo auf, sind ihm seine Fans bereits auf den Fersen und wollen sich mit ihm fotografieren lassen, was Rashid freundlich zulässt. Ein echter Star eben.

Einer der vielen Termine ging im Haus des italienischen Holzspezialisten Riva 1920 auf dem Mailänder Messegelände über die Bühne. Dort traf FORMFAKTOR den New Yorker und sprach mit ihm über Materialien, Künstliche Intelligenz und die Poesie des Schönen.

GLOBALOVE! ist der Name des neuesten Sessels, den Karim Rashid für Bonaldo geschaffen hat. Ein umlaufendes Band beherbergt die Sitzfläche und bildet Rückenlehne sowie Armstützen. Er wurde erstmals auf dem Salone 2024 präsentiert. © Bonaldo

FORMFAKTOR: Sie sagten einmal, dass sie über 30 Jahre versucht haben, Design von einem Thema für Eliten zu einem Thema für die Allgemeinheit zu machen. Wie sieht der Status dieses Versuchs aus?

Karim Rashid: Tatsächlich ist es bereits ein öffentliches Thema. Aber das habe ich nicht allein geschafft, zehntausende Menschen haben daran mitgewirkt. Jeder spricht heute von Design. Als ich 1978 zur Universität ging, wusste niemand, was Industrial Design sein soll. Vielleicht mit wenigen Ausnahmen in Deutschland, Italien und Skandinavien, aber „normale“ Menschen wussten damit nichts anzufangen. Wenn ich jemandem sagte, ich habe Industrial Design studiert, dachte er, ich würde Fabriken bauen. Der Begriff war völlig unbekannt. Das Wort Designer stand nur mit dem Modedesigner in Verbindung. Die Wahrheit ist natürlich, dass es beim Design nur um Industrie geht. Was übrigens auch in der Architektur der Fall ist. Heutzutage werden dort viele industriell vorgefertigte Materialien verwendet. Und auch die Modewelt ist heute eine Industrie. Das heißt, die gesamte Grundlage für unsere Welt des 21. Jahrhunderts ist industriell. Zudem wird der Designbegriff heute sehr viel weiter gefasst: Möbel, Architektur, Autos, Smartphones. Das ist neu. In den letzten Jahren haben auch Firmen wie Nike, Apple oder Samsung den Menschen sozusagen beigebracht, dass man sehr coole, schöne, fortschrittliche Dinge haben kann, zu relativ erschwinglichen Preisen. Das ist, worum es bei Design wirklich geht. Design ist ein sozialer Akt für den Massenmarkt. Die industrielle Revolution passierte, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen.

FORMFAKTOR: Aber gerade im 20. Jahrhundert galt Design als etwas Elitäres …

Karim Rashid: … In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren haben vor allem italienische Firmen ein Bild von Design geschaffen, das elitär war – in dem sie sehr teure Produkte auf den Markt gebracht haben. Das war natürlich überhaupt nicht demokratisch. Aber heute hat sich das geändert. Heute kann auch ein Kia Design sein. Was ich selbst dazu beigetragen habe, war, dass ich allen Unternehmen, mit denen ich gearbeitet habe (400 – Anm. d. Redaktion) und in all meinen vielen Vorträgen (in 138 Ländern – Anm. d. Redaktion) immer gesagt habe, dass in der gesamten Welt um uns herum alles Design ist.

FORMFAKTOR: Sie sind für Ihre Arbeit mit Polymeren bekannt. Wir sind hier bei Riva 1920, wo sich alles um Holz dreht. Welchen Zugang haben Sie zu diesem Material?

Karim Rashid: Ich arbeite für viele Unternehmen, die auf Holz spezialisiert sind, zusammen und mit Riva seit fast 20 Jahren. Nur – dafür bin ich einfach nicht bekannt. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, steckt man gerne in Schubladen. Ich habe in meiner 40-jährigen Karriere mit praktisch jedem Material gearbeitet. Aber ich werde in die Plastik-Schublade gesteckt. Ich bin der Plastik-Mann.

Von wegen Plastik: Mit Kaasa hat Rashid für die Mailänder Designwoche eine ganze Wohnung aus Marmor entworfen. Inklusive Bad und Wohnzimmer. Umgesetzt von AATC. © AATC

FORMFAKTOR: Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Materialien um?

Karim Rashid: Ich denke, dass, egal mit welchem Material man arbeitet, es wichtig ist, die ihm innewohnenden Eigenschaften herauszuarbeiten und das richtige Material für einen bestimmten Zweck oder Kontext zu verwenden. Zum Beispiel habe ich über Jahre hinweg sehr viel mit Glas gearbeitet. Glas habe ich immer geliebt, weil ich die Vorstellung von Transparenz liebe. Wenn ich mit Holz arbeite, geht es darum, eine Aussage zu machen, die dem Holz gerecht wird. Allerdings bin ich kein Holzspezialist. Ich wurde nicht als Tischler oder Kunsthandwerker ausgebildet. Deshalb ist es auch so, dass viele meiner Vorschläge, die ich Riva gemacht habe, abgelehnt wurden. Weil sie zu kompliziert, unmöglich herzustellen oder zu teuer waren. Holz ist generell sehr teuer. Es ist ein Luxusmarkt.

Mit dem neuen EGO-Stuhl für Riva 1920 lässt Karim Rashid das Material Holz sprechen. Das Möbel wird aus einem einzigen Block Zedernholz herausgearbeitet. © Riva 1920

FORMFAKTOR: Von Plastik haben Sie sehr viel mehr Ahnung?

Karim Rashid: Zugegeben – ich habe sehr sehr viel mit Kunststoffen gearbeitet, aber das kommt daher, weil ich einfach sehr viel Industrial Designs gemacht habe: Das reicht von Elektrowerkzeugen über Schneeschaufeln und Telefonen bis hin zu Lautsprechern und TV-Geräten. Man hat in dieser Welt keine Wahl, weil diese Produkte entwickelt werden müssen. Sie dürfen nicht teuer sein und sie müssen gut funktionieren.

Rashid ist „Democratic design“ ein großes Anliegen. Gleichzeitig hat er sehr viele Projekte im Luxussegment umgesetzt. Wie beispielsweise das Raionul de Pește, ein 2023 wieder eröffnetes Fischrestaurant in Bukarest. Foto © Sebastian Stan

FORMFAKTOR: In der öffentlichen Diskussion dreht sich heute alles um den Begriff Nachhaltigkeit – auch und vor allem im Design. Sie sagen aber: Im Design geht es um Schönheit und Poesie …

Karim Rashid: … Ich sehe Schönheit in der Harmonie des Inneren und Äußeren. Schön ist für mich etwas, das gut funktioniert. Dinge, die wir in unserem Leben wertschätzen, bieten uns gute Erfahrungen. Wenn etwas zu einem Hindernis wird, ist es nicht mehr schön. Das heißt, Schönheit kann man sehr unterschiedlich definieren. In der Idee der Poetik geht es erstens darum, sich mit Menschen zu verbinden und zweitens darum, im Jetzt zu leben. Wenn ich in der Gegenwart etwas designe, gestalte ich unvermeidlicher Weise die Zukunft. Design bringt die Menschheit voran, aber wenn man Dinge nur kopiert oder Styling macht, eignet man sich lediglich die Geschichte an und trägt nichts Neues bei. Wenn ich also etwas Poetisches mache, tue ich etwas, das tatsächlich Relevanz für meine Zeit besitzt. Wenn etwas relevant ist, bedeutet dies, dass es smart, experimentell, schön und nachhaltig ist.

Ich wuchs in Kanada auf und dort hatten wir bereits vier verschiedene Abfalleimer in unserer Küche. Wie lange ist das her? – 50 Jahre? Wir waren bereits damals für diese Probleme sensibilisiert. Wir waren die Skandinavier Amerikas. Später dann in meiner Ausbildung hatte ich deutsche und niederländische Professoren – Hardcore-Funktionalisten. Wir lernten den Kreislauf kennen, wie Produkte zerlegt und verschiedenen Recyclingströme zugeführt werden müssen. Das war also schon immer ein Teil von mir, aber viele Menschen sehen mich nicht so. Sie sehen Farben und Plastik und glauben, ich wäre gegenüber der Umwelt nicht sensibel.

Karim Rashid liebt Glas. Die neuste Kooperation mit Tonelli nennt sich „Lilypad“. Es ist die ungewöhnlichste und gleichsam schönste Bank, die jemals designt wurde. © Tonelli

FORMFAKTOR: Digitale Tools werden seit vielen Jahren auch im Design eingesetzt. Nun wird überall von Künstlicher Intelligenz gesprochen. Welche Rolle spielt KI im Designprozess?

Karim Rashid: Da stehen wir erst am Anfang, aber es wird phänomenal werden. Ist es bereits. Und es betrifft jeden Beruf auf allen Ebenen. Einige Berufszweige sind ja durch KI schon praktisch verschwunden: Fotografie oder Grafik zum Beispiel. Wir als Kreative werden mit der Zeit unweigerlich aussterben – außer – und das ist wichtig – wir sind sehr intelligent und kreativ im Hinblick auf unsere Kreationen in Verbindung zu unserer gebauten Welt, wie sie sich einfügen und welche Bedeutung sie für die Menschen haben. In dieser Komplexität müssen sich Designer und Architekten sehr schlau verhalten.

Allerdings gibt es heute viel copy and paste. Wenn man hier durch den Salone geht, sieht man Kopie um Kopie um Kopie. Designer arbeiten wie in einem Vakuum. Sie glauben, sie erschaffen etwas, aber sie tragen überhaupt nichts bei. Durch die KI kann man heute sehr schnell etwas Nettes kreieren. Sie können schöne Renderings innerhalb von Sekunden anfertigen. Aber das ist nicht gut genug. Man muss die Materialien kennen, wie das Ding hergestellt wird, ob es zum Unternehmen passt. Es gibt so viele Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, um nur ein einziges fertiges Produkt in die Welt zu bringen, das die Menschen berührt. Diese Komplexität zu beherrschen, ist die große Chance für uns Designer.

HOMMI ist eine aufstrebende Marke für hochwertiges Spielzeug. Karim Rashid hat dafür drei Figuren entworfen, die von Science-Fiction inspiriert sind. Im Bild: ATLAS Max. Sammler zuschlagen! © HOMMI

FORMFAKTOR: Sie haben ein Hobby (oder ist es mehr), das Sie im Lauf Ihres Lebens intensiv betrieben haben – und das ist DJ-ing. Wie sehen Sie das Verhältnis von der Arbeit als Designer zu der eines DJs, der Platten auflegt?

Karim Rahid: Schon als Kind habe ich Musik leidenschaftlich geliebt. Ich habe versucht, Gitarre, Saxofon und Klavier zu lernen, bin aber überall gescheitert. Wegen meiner Liebe zur Musik habe ich schließlich DJ begonnen, um in die Musik stärker eingebunden zu sein. Ich habe damit im Jahr 1977 angefangen. Das war eine spannende Zeit, weil elektronische Musik im Kommen war. In Kombination mit Disco ist es die Art von Musik, die wir auch heute hören. Also Dance Music und Elektronik. Ich liebte die deutschen Bands wie Kraftwerk oder Klaus Schulzes Ambient Sounds, die ich in meine DJ-Sets integrierte. DJ-ing war ein kreativer Akt – weil man ja unterschiedliche Stücke gemixt hat. Das hat Spaß gemacht und war auch abenteuerlich. Später war ich immer stärker an meinem Beruf als Designer gebunden, sodass ich heute nur noch gelegentlich für besondere Anlässe als DJ arbeite.

Früher intensiver, heute nur mehr sporadisch auf Anfrage – Karim Rashid als DJ. Foto © Arash Moallemi

Heute allerdings hat es die Technologie so leicht gemacht, dass DJ-ing eigentlich keine echte Kunstform mehr ist. Man drückt einfach einen Knopf, um Tracks zu synchronisieren und die Beats sind perfekt. Man braucht kein Gehör mehr dafür, braucht keine Platte mit den Fingern verlangsamen. Die andere Seite der Kreativität eines DJs ist, wie man die Musik zusammenstellt. Doch viele legen darauf gar keinen Wert mehr, sondern halten nur den Dancebeat für vier Stunden aufrecht. Da ist keine Komplexität mehr. DJ-ing ist heute eine überschätzte Tätigkeit. Letztes Jahr sah ich eine DJ-Rangliste mit den 10 höchst dotierten DJs, wo der TOP-DJ 180 Millionen Dollar verdiente. Ich meine – er spielt bloß die Musik anderer Leute und diese Leute verdienen daran nichts.

FORMFAKTOR: Also liegt mehr Kreativität im Design als im DJ-ing …

Karim Rashid: … Oh – sehr viel mehr. Das kann man heutzutage gar nicht mehr vergleichen. Aber die Musik selbst ist für mich immaterielles Design. Kann ich etwas designen, dass dieselbe Resonanz und Verbindung zu den Menschen erreicht wie ein guter Song? Ich weiß es nicht. Kann man einen Stuhl gestalten, der wie ein Song von Elton John ist, der Millionen davon verkauft hat? Ich weiß es nicht. So etwas Ätherisches wie Musik wird für immer weiterleben, die physische Welt nicht. Mozart hören wir noch nach 230 Jahren. Musik ist sehr emotional. Etwas zu designen, dass solche Emotionen hervorruft, ist sehr sehr schwer.

Danke für das Gespräch!



Weitere TOP-Artikel

-
00:00
00:00
Update Required Flash plugin
-
00:00
00:00