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Design als Zivilisationsarbeit – Otl Aicher 100

von Markus Schraml
Otl Aicher 100, Karsten de Riese

Am 13. Mai jährte sich der Geburtstag von Otl Aicher (1922 – 1991) zum einhundertsten Mal. Aus diesem Anlass ging die neue Onlineplattform otlaicher100.de an den Start. Verantwortlich dafür zeichnet das Internationale Design Zentrum Berlin (IDZ) – unter der Federführung von Kai Gehrmann und Florian Aicher. Zudem referierten und diskutierten gestern Abend eine Reihe von Fachleuten in der Akademie der Künste Berlin über das Thema „es gibt keinen computer, der nach freiheit ruft“. Dabei ging es um Ethik und die kulturelle Dimension der Künstlichen Intelligenz.

Otl Aicher ist einer der wichtigsten deutschen Designer des 20. Jahrhunderts. Seinem kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Gestaltung im Nachkriegsdeutschland trägt die neue Website Rechnung. Bekannt ist seine Arbeit für die Olympischen Spiele 1972 in München. Das Tätigkeitsfeld Aichers reichte über Produktgestaltung aber weit hinaus. Er war Grafiker, Typograf, Bildhauer, Philosoph, Autor, Unternehmensberater und Hochschulgründer. In letzterer Funktion gründete er 1953 gemeinsam mit seiner Frau Inge Aicher-Scholl und Max Bill die HfG Ulm.

„Otl Aichers Wirken war richtungsweisend, sein Lebenswerk außerordentlich“, erläutert IDZ-Mitglied Gehrmann, der künstlerische Leiter von „otl aicher 100“. „Als Gestalter und Intellektueller, als Humanist und Kämpfer und als kritischer Denker ist er heute aktueller denn je. Sein ‚Leben im Machen‘ – sein Optimismus, sein unbedingter Glaube, in die Welt gestaltend eingreifen zu können, haben bis heute ihre Gültigkeit bewahrt – und lohnen eine vertiefende Auseinandersetzung.“

Otl Aicher und FSB

Als Unternehmenspartner für diese Initiative fungiert neben der ERCO GmbH die FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG. Der Beschlaghersteller nahm das Jubiläum zum Anlass, den wohl einzigen noch nie in Serie gegangenen Türdrücker-Entwurf von Otl Aicher in einer limitierten Auflage zu veröffentlichen: das Modell FSB 1305. Aichers Bedeutung für FSB ist enorm, hat er doch als Pionier der visuellen Kommunikation das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens entwickelt und die „Vier Gebote des Greifens“ formuliert. Danach muss für gutes Türklinken-Design Daumenbremse, Zeigefingerkuhle, Ballenstütze und Greifvolumen berücksichtigt werden.

Der Türdrücker FSB 1305 wurde Ende der 1980er-Jahre in kleiner Stückzahl für Aichers Atelier in Rotis produziert und wird nun in einer limitierten Auflage von 100 Stück veröffentlicht. © FSB

Veranstaltungen 2022

Das IDZ Berlin hat für das Jubiläumsjahr weitere Veranstaltungen geplant. (in Kooperation mit der Akademie der Künste, dem Deutschen Werkbund Berlin und dem HfG-Archiv Ulm):

25. Juni 2022 „natürlich ist ein auto auch ein zeichen“

Retrospektive zu Otl Aicher: Kritik am Auto, München 1984

19 Uhr, Ulm HfG, Am Hochsträß 8, 89081 Ulm

26. August 2022 „wir haben brot, wir haben spiele“

Olympia als Politikum, Olympia als Utopie, Olympia als Big

Business – zum 50. Jubiläum der Olympischen Sommerspiele München 1972

19 Uhr, Plenarsaal der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin

20. Oktober 2022 „hier gibt es nichts, das schatten spendet.“

Vier Männer und zwei Motorräder in der Wüste

19 Uhr, Architektur Galerie Berlin, Karl-Marx-Allee 96, 10243 Berlin

Otl Aicher und seine Frau Inge Aicher-Scholl, Friedensaktivistin, Gründerin der Ulmer Volkshochschule und Mitgründerin der HfG. Foto © Karsten de Riese

Leben und Werk auf otlaicher100

Die neue Website bietet Einblick in das Schaffen Otl Aichers in Form von einzelnen Essays, die unterschiedlichste Teilbereiche abdecken. Vom Olympia-Waldi über seine Farbwelten bis hin zu Plakat-Stelen und seiner Arbeit als Fotograf. Es kommen auch kritische Stimmen zu Wort – wie Schriftgestalter Erik Spiekermann, für den Aichers Rotis-Schrift keine Schrift ist, sondern eine Ansammlung von teils „sehr schönen Buchstaben“. Der Grafiker Stefan Sagmeister wiederum bewundert an Otl Aicher, trotz aller Unterschiede im Designansatz, dessen Humor und Charme. Eigenschaften, die in einer HfG Ulm ansonsten kaum zu finden seien. Außerdem sieht er Ähnlichkeiten in der Arbeitsweise – nämlich in eher kleinen Teams, die viel effizienter, weil friktionsärmer agieren würden.


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