Im Rahmen der Budapest Design Week fand die fünfte Ausgabe von 360 Design Budapest (16. – 20. Oktober) statt, dem zentralen Event, welcher der zeitgenössischen Gestaltung gewidmet ist. Als Location diente die ehemalige Wartehalle des historischen Nyugati-Bahnhofs. Dort versammelten die Organisatoren der Hungarian Fashion and Design Agency (HFDA) an die 300 Kreationen aus den Bereichen Möbel, Wohnaccessoires sowie Objekten der Collectible Designszene.
„Design versucht, Funktion und Form gleichzeitig zu berücksichtigen; daher entstehen Produktdesignobjekte, die sowohl die Sprache der Innovation als auch der Ästhetik sprechen. Diese Objekte, ob hervorragende Kunstwerke oder Industrieprodukte, bestimmen unsere alltägliche Umgebung und dadurch unsere Lebensqualität“, sagte Zsófia Jakab, Ministerialbeauftragte für die Entwicklung der Kreativwirtschaft und die Sektorkoordination sowie CEO der HFDA, bei der Eröffnung der Ausstellung.
Natur und Psyche
An der Show waren über 100 ungarische und internationale (großteils aus Osteuropa) Designer/Designstudios/Unternehmen beteiligt. Viele der Gestalter bearbeiteten das Feld des Textildesigns, andere beschäftigten sich mit Objektdesign im weitesten Sinne. Auffällig war das intensive Eintauchen in das Thema Materialien. So entwickelte Viaplant ein auf Pflanzen basierendes Material für den Einsatz in Architektur und Design. Die Paneele sind visuell einzigartig und behalten aufgrund des Herstellungsprozesses ihre natürlichen Farben und ihren Charakter. Nóra Szirmai wiederum schätzt natürliche Vorgänge und Netzwerke: „Ich interessiere mich ungemein für Beziehungen, Systeme und Netzwerke, darunter menschliche Beziehungen, die komplexe Struktur der Psyche, die Vernetzung neuronaler Bahnen sowie emotionale Zusammenhänge. Daher bin ich fasziniert von Formen, bei denen diese Dinge in sichtbarer Form vorhanden sind, wie etwa die Adern von Insektenflügeln, Gefäßnetzwerke oder Pflanzenelemente“, sagt Szirmai. In ihrer Serie „Beauty of Destruction“ verwendet sie Teile einer Insektenflügelform und kreiert daraus Stahlskulpturen.
Organische Formen – Ungewöhnliche Materialanwendungen
Die polnische Marke Pani Jurek präsentierte in Budapest ihre neueste Kollektion von Keramikvasen. Die Kollektion BARVA nimmt Bezug auf die Rezeption von Farben als eine Kombination aus objektiven physikalischen Eigenschaften und subjektiver Gefühle des Betrachters. Magda Jurek schuf abstrakte geometrische Formen, die perfekt mit dem organischen Charakter der Pflanzen harmonieren. Das Material der Wahl für Dóra Eiler ist Ton. Im Laufe ihrer Ausbildung verfolgte sie zunehmend das Ziel, neue Möglichkeiten für Keramiken zu entdecken. Der MOD No.2-Tisch ist eine Zusammenstellung von Elementen, die aus Holz und Keramik bestehen. Sein ästhetischer Charakter erinnert an die Memphis Group der 1980er-Jahre und bietet sich als Sammlerstück an.
Gestreifte Furniere / Ungarische Designgeschichte
Das Unternehmen Multipraktik fertigt seit 2021 Sperrholzplatten, Furnierplatten und Möbel aus heimischen und exotischen Hölzern. Die Gründer Viktor Széll und Borbála Blahó hatten dafür bereits Erfahrung durch die Herstellung von Tischtennisschlägern für Wettkämpfe gesammelt, die sie nach Deutschland, Japan und Korea exportierten. Vor einigen Jahren begannen die beiden damit, ihre Furniere auch in anderen Bereichen zur Anwendung zu bringen. Eine gut ausgebaute Infrastruktur und der Zugang zu außergewöhnlichen Holzfurnieren bildeten dabei die Grundlage. Ihr neuestes Produkt heißt BARAZDA, Paneele, die aus einem Kern und zwei Schichten von Furnieren in unterschiedlichen Farben bestehen. In die obere Schicht sind dünne Rillen eingearbeitet, die das darunterliegende Furnier freilegen. Dadurch entsteht eine mehrfarbige, gestreifte Oberfläche.
Márton Hunyadi zeigte bei 360 Design die Stehlampe „Bolygó“ (dt.: Planet und/oder Wanderer), eine Neuinterpretation der Arbeit von Sándor „Borz“ Kováts, einem weniger bekannten Designer aus der Frühzeit des ungarischen Industriedesigns. Das Projekt stellt eine Zusammenarbeit zwischen der Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design und dem Ungarischen Museum für Angewandte Kunst dar.
Alles in allem scheint der kuratorische Fokus der Ausstellung auf Vielfalt ausgerichtet gewesen zu sein, aber ohne den jeweiligen künstlerischen Wert eines Objekts außer Acht zu lassen. Laut Eigendefinierung basiert das Konzept von 360 Design Budapest auf einer zeitgenössischen Neuinterpretation der Jugendstil- und Art-Déco-Traditionen mit dem Ziel, die ungarische Identität zu vertiefen und das Ansehen einheimischer Kreativer zu stärken. Vor allem die intensive inhaltliche Beschäftigung mit Gestaltungsthemen ist der große Pluspunkt, der bei vielen der ausstellenden Designer zu beobachten war.