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Design und Kunst auf höchstem Niveau in Neapel

von Markus Schraml
Aufführung von Verdis „Simon Boccanegra“ im Teatro San Carlo in Neapel. Bühnenbild: Kengo Kuma. © Luciano Romano / Teatro di San Carlo 2024

Wer über die italienische Designindustrie nachdenkt, dem kommt sofort die Stadt Mailand mit dem Salone und vor allem der Norden des Landes in den Sinn. Doch einiges tut sich auch ganz im Süden. Bereits zum sechsten Mal luden Emilia Petruccelli und Domitilla Dardi zur EDIT Napoli, einer Designmesse, die ihren Fokus auf eine neue Generation von Gestaltern legt, mittlerweile aber auch italienische Designgrößen zu Gast hat. In diesem Jahr machte die Veranstaltung im „Archivio di Stato di Napoli“ Station, ein wunderbarer Ort im imposanten Komplex Santi Severino und Sossio. Das Staatsarchiv von Neapel befindet sich seit 1835 in den Räumen des ehemaligen Benediktinerklosters.

Was EDIT Napoli auszeichnet, ist eine besondere Verbindung von Kunst und Design. Am besten kommt dies in dem kuratierten Format EDIT Cult zum Ausdruck. So hatte Kengo Kuma in Kooperation mit Alcantara ein Bühnenbild für Giuseppe Verdis Oper „Simon Boccanegra“ geschaffen, die im Teatro San Carlo aufgeführt wurde. Der japanische Architekt nennt seine Kreation „Shiwa Shiwa“ (dt.: Falte) und nimmt damit Bezug auf die organischen, sich ständig verändernden Formen in der Natur. Kuma gestaltete eine 700 m² große Fläche aus perforiertem Alcantara, die die Bühne überstrahlt.

Kengo Kuma vor seinem Bühnenbild im Teatro San Carlo. © Luciano Romano / Teatro di San Carlo 2024

Ein weiterer Höhepunkt des Programms EDIT Cult war die Retrospektive „Along the edge – ALPI 1984 – 2024“ in der Sala Monumentale des Mineralogischen Museums von Neapel. Piero Lissoni, Art Director von ALPI, kuratierte die Installation, die zeitgenössische Objekte in den Mittelpunkt des historischen Ausstellungsraumes für Mineralien. Vittorio Alpi sagte: „Der Ausstellungstitel beschreibt unseren Designansatz. Wir arbeiten an der Grenze zwischen zwei Welten – der natürlichen und der künstlichen. Einerseits kreieren wir Furniere, die aus echtem Holz bestehen, andererseits stellen wir Furniere her, die in der Natur nicht vorkommen.“ Die renommiertesten Designer der Welt haben bereits Furniere für ALPI gestaltet: Ettore Sottsass, Alessandro Mendini, Front, Patricia Urquiola oder Konstantin Grcic.

Retrospektive „Along the edge – ALPI 1984 – 2024“ in der Sala Monumentale des Mineralogischen Museums von Neapel. Kurator: Piero Lissoni. © Eller Studio

Forschung und Experimente

Incalmi war an zwei Locations mit zwei unterschiedlichen Designprojekten vertreten: eines von Federica Biasi, das andere von Caterina Roppo. Im Staatsarchiv wurde „Koya“, ein Couchtisch von Biasi präsentiert. Ausgehend von der Beschäftigung der Gestalterin mit Naturfasern und verschiedenen Webarten, reichen die Inspirationen für „Koya“ von asiatischen Webtechniken mit hin zur venezianischen Tradition der Korbflechtschule von Barbisano. Das zweite Projekt war Teil von EDIT Cult und zeigte Caterina Roppos „Galateo Ancestrale“ in der Kirche Santa Maria delle Anime del Purgatorio. Aus Experimenten mit Textilien und Metallen entstanden die „Ayama“-Vasen und die Leuchte „Prana e Savasana“.

Cassina zollte – ebenfalls im Rahmen von EDIT Cult – dem neapolitanischen Architekten Filippo Alison Respekt. Alison war auch Designer, Professor und historischer Kurator der Cassina iMaestri-Sammlung. Im Herzen von Neapel, im Palazzo Reale, mutierte das Teatro di Corte zur Bühne dieser Ausstellung über die von ihm durchgeführte Forschung zu den Möbeln von Charles Rennie Mackintosh, die den Charakter der Kollektion von Cassina stark geprägt haben.

Im Teatro di Corte war „Editare iMaestri. Tributo a Filippo Alison“, eine Hommage an die umfangreiche Forschungsarbeit des Architekten zu Charles Rennie Mackintosh zu sehen. Foto aus dem historischen Cassina-Archiv, ca. 1980.

Neues Küchenkonzept von Debonademeo

Ein fortschrittliches Küchenprojekt präsentierten Debonademeo im Staatsarchiv. Unter dem Titel „Cucina Zero“ haben Luca De Bona und Dario De Meo für Oikos, einem Küchenhersteller mit über 30-jähriger Geschichte, ein völlig neues Konzept entwickelt. „Zero“bedeutet, dass die Design- und Konstruktionsmethoden der Küche auf null zurückgesetzt werden. Ausgehend von einem schlichten Rahmen können Innenarchitekten und Endkunden diesen Rahmen mit einer Vielzahl von Materialien und Farben füllen. Debonademeo haben dafür (exklusiv für Oikos) ein spezielles Material aus recycelten Hanffasern entwickelt, das für EDIT Napoli mit Travertin-Fragmenten angereichert wurde, die aus Abfällen der Steinverarbeitung stammen. Als Vorschau auf zukünftige Küchengestaltungen wurde das Modell einer monolithischen Insel aufgebaut – in den Farben des kampanischen Archipels, dem Ultramarinblau des Golfs von Neapel und seinen Inseln.

„Cucina Zero“-Projekt von Debonademeo für Oikos. © Eller Studio

Die Veranstalterinnen von EDIT Napoli bezeichnen ihren Event selbst als Messe, wobei die gezeigten Ausstellungstücke einen stark künstlerischen Charakter entfalteten. Besonders beeindruckend war das Format EDIT Cult, das kreative Projekte mit den phänomenalen historischen Orten von Neapel verbindet. Insgesamt fiel bei der sechsten Ausgabe von EDIT die hohe Qualität der Stücke auf – sowohl in deren Umsetzung als auch ihrer teils tiefgründigen inhaltlichen Basis und Vorgeschichte. Dies spiegelt das hervorragende Wissen und die exzeptionellen Vorlieben der Kuratorinnen Emila Petrucelli und Domitilla Dardi wider.



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