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Lärmschutz und Architektur im Einklang

von Markus Schraml
Wohnen im Einklang

Eine Möglichkeit, um mehr Wohnraum in urbanen Regionen zu schaffen, ist die Verdichtung. Das bedeutet, dass vermehrt auch in lärmbelasteten Lagen gebaut und gewohnt werden soll. Stadt und Lärm scheinen ein untrennbares Gespann zu sein. Es ist wahrlich keine Neuigkeit, dass Städte laut sind. Dies war in der Geschichte so und mit der Technisierung unserer Welt hat der Lärm enorm zugenommen. Der Wunsch nach ruhigem Wohnen spießt sich mit dem Bedürfnis nach Mobilität, denn Verkehrslärm ist der Hauptverursacher für die akustischen Zumutungen in Städten. Das bei Park Books erschienene Buch „Wohnen im Einklang“ geht der Frage nach, wie eine „produktive Verbindung von Lärmschutz und Baukultur gelingen kann“. Kernprobleme beim Thema Lärm in Städten sind die unterschiedlichen Bedürfnisse und widersprüchlichen Anforderungen, die hier aufeinandertreffen.

Unzeitgemäßer Regulierungswahn

Deborah Fehlmann und Astrid Staufer vom Institut Konstruktives Entwerfen an der ZHAW in Winterthur erforschten die „laute Stadt“ und setzten sich mit Fragen zum Bauen und Wohnen an lärmbelasteten Lagen auseinander. Ihr Ansatz ist dabei interdisziplinär und geht von einer Verbindung der Bereiche Lehre, Forschung und Praxis aus. Der Band „Wohnen im Einklang“ fasst Beiträge zusammen, die zwischen 2019 und 2021 im Rahmen des Forschungsprojekts „Integrativer Lebensraum trotz Lärm“ entstanden sind. Wobei der Fokus auf der Schweizer Bauwirtschaft lag, die wie auch in anderen Ländern Europas von regulatorischen Normen und Standards durchsetzt ist und bestimmt wird – worüber sich viele Architekturschaffende beklagen und kritisieren, dass dies zu „Uniformität und Hässlichkeit“ führen würde. In diesem Sinne sei der Lärmschutz in der Schweiz ein Paradebeispiel für die unkoordinierte Überregulierung des Bauwesens.

Lärm und Wohnqualität

Konkreter Forschungsgegenstand war die lärmbelastete Zürcher Badenerstrasse, wo verschiedene Untersuchungsstränge zusammengeführt wurden. Dabei entwickelte das Forschungsteam neue Methoden zur Bewertung der Lärmwahrnehmung unter der Prämisse der Lebensraumqualität. „Im vorliegenden Fall hat sich offengelegt, wie nicht nur die Lärmbelastung, sondern auch Einflussfaktoren wie Raumaufteilung, Orientierung oder Aussichtslage die Favorisierung von Wohntypen durch potenzielle Bewohnerinnen und Bewohner massgeblich beeinflussen“, schreibt Mitherausgeberin Astrid Staufer. Das bedeutet, dass Lärmquellen unterschiedlich wahrgenommen und als mehr oder weniger störend empfunden werden. Andererseits legen neuere Forschungsergebnisse nahe, dass Lärm selbst dann die Gesundheit schädigt, wenn er nicht als störend empfunden wird.

Akustik und Architektur

Wichtige Erkenntnisse steuerten im Zuge der Forschungsprojekte vor allem Akustikexperten und Klangkünstler bei. Etwa, dass die akustische Aufenthaltsqualität „durch unsinnige, das heisst unsinnliche Lärmschutzmaßnahmen gar verschlechtert“ wird. So kann sich eine Diskrepanz von visueller und akustischer Wahrnehmung „negativ auf das Wohlbefinden auswirken, etwa wenn der Strassenlärm – selbst in gedämpfter Form – via Reflexionen von der ruhigeren Rückseite in den Innenraum dringt, die vorbeifahrenden Fahrzeuge aber durch die Fenster desselben Raums auf der Strassenseite gesehen werden“. Die oft praktizierte Schalldämpfung durch absorbierende Balkonunterschichten sehen einige Klangfachleute kritisch. „Da die Dämmplatten vor allem im mittleren und hohen Frequenzbereich wirksam sind, verstärken sie relativ gesehen den Tieftonanteil.“ Dadurch würden die tiefen Brummtöne von Lastkraftwagen besonders stark hervortreten.

Die Einheit von Sehen und Hören stand in der Folge bei den studentischen Projekten im Vordergrund. „Gestaffelte Baukörper und begrünte Aussenräume, reliefierte und perforierte Fassaden in oft unerwarteter Materialisierung sorgen in den Entwürfen für eine neuartige Vielfalt im Stadtraum – akustisch wie visuell. Wintergärten und Waschküchen beleben die Strasse, geschützte Dachterrassen und begrünte Höfe dienen der Gemeinschaft oder dem individuellen Rückzug“. In diesen Projekten geht es also um ein Gleichgewicht zwischen der Teilnahme am städtischen Leben und der ruhigen Privatheit. Diese differenzierte Betrachtung steht im Gegensatz zur heutigen „Lärmschutzarchitektur“, meint Staufer.

Architektonische und sozialräumliche Strategien

Die Ergebnisse des Projekts wurden in einem Strategieplan zusammengefasst. Schwerpunkte darin sind etwa der Vorschlag von Mobilitätskonzepten mit reduziertem Autoverkehr, denn am effizientesten könne Lärmreduktion an der Quelle passieren, das heißt, bessere Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschwindigkeitsbegrenzung (auf 30 km/h) und der Einsatz von lärmarmen Belägen. Oder städtebauliche Maßnahmen an der Fassade – wie den Baukörper selbst als Lärmschutzelement zu nutzen und Nutzungen anhand ihrer Lärmempfindlichkeit zu orientieren. In den studentischen Projektarbeiten wurden beispielsweise lärmexponierte Erdgeschosse mit Kolonnaden, Vordächern oder -bauten, die den Schall streuen oder abhalten, versehen. Das macht auch den Straßenraum attraktiver. Ebenso wurden lärmgeschützte Zonen wie gemeinschaftliche Innenhöfe, Gärten oder Dachterrassen eingeplant.

In Bezug auf die Außenräume von Wohnanlagen gilt die Erkenntnis, dass natürliche Böden mehr Schall als Asphalt absorbieren. Deshalb die Forderung, Bodenversiegelung vermeiden. Außerdem können Naturgeräusche den Verkehrslärm maskieren. Die Wohnungen selbst sollten nutzungsoffen geplant werden, damit Bewohner der Lärmbelastung selbstständig begegnen können. Jede Wohnung sollte über zumindest eine lärmabgewandte Seite verfügen und Korridore sowie Eingangsbereiche, die als nicht lärmempfindlich gelten, können, klug geplant, den Wohnraum erweitern. In der Praxis gilt es, die Lärmschutzproblematik bereits in sehr frühen Entwurfsphasen zu berücksichtigen. Und letztendlich müssten die Regulative vom Gesetzgeber den aktuellen Anforderungen und Erkenntnissen gemäß neu definiert werden. Das Fazit dieses Forschungsprojekts könnten so lauten: Gute Architektur schaffen trotz Lärmschutzprämissen. Und – nicht alles darf dem Lärmschutz unterworfen werden, oder zumindest nicht auf eine brutal nivellierende Art, wie es derzeit der Fall ist.

Um die Studienergebnisse zugänglich zu machen, wurde gemeinsam mit Cercle Bruit Schweiz die Website baukultur-laerm.ch ins Leben gerufen. Dort finden sich eine ganze Reihe von Fallbeispielen, Merkblätter mit Grundwissen zu Lärmschutz und Akustik sowie Checklisten und Planungshilfen zur Klangraumgestaltung.

Wohnen im Einklang. Strategien zum Bauen im Lärm aus Forschung, Lehre und Praxis. Herausgegeben vom Institut Konstruktives Entwerfen, ZHAW Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen; Deborah Fehlmann und Astrid Staufer. Mit Beiträgen von Oya Atalay Franck, Deborah Fehlmann, Tibor Joanelly und Astrid Staufer. Fotografien von Christian Senti. Broschur, 16,5 x 23 cm, 152 S., 34 farbige und 56 s/w Abb. u. Pläne. Verlag: Park Books, ISBN 978-3-03860-308-5


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