Gute Raumbeleuchtung entsteht laut Magnus Wästberg dann, wenn man nicht nur technisch messbare Kriterien berücksichtigt, sondern auch schwer messbare Qualitäten, die auf menschliche Bedürfnisse und Emotionen ausgerichtet sind. Mit diesem Ansatz gründete Wästberg 2008 sein eigenes gleichnamiges Leuchtenunternehmen und verfasste dazu ein Manifest unter dem Titel „Lamps for Neanderthal Man“ (Lampen für Neandertaler). Darin legt er seine Gedanken zur Beziehung zwischen Mensch und Licht dar und fokussiert auf das Feuer sowie die Feuerstelle als eine Lichtquelle, die dem Menschen Hunderttausende Jahre nahe war und ihn geprägt hat. Den Schluss, den Wästberg daraus zieht, formuliert der Schwede als das Streben, „moderne Feuerstellen“ zu erschaffen. Seither entwickelt der Beleuchtungsspezialist in Zusammenarbeit mit renommierten Architekten und Designern wie David Chipperfield, Claesson Koivisto Runde oder nendo innovative, langlebige Leuchten.
Im FORMFAKTOR-Interview spricht Magnus Wästberg über die unzähligen Aspekte im Entwicklungsprozess von neuen Produkten und seinen streng holistischen Ansatz.
FORMFAKTOR: Bei der Gründung Ihres Unternehmens haben Sie gleich auch ein Manifest verfasst, um ihre Ideen darzulegen – warum?
Magnus Wästberg: Ich bin inmitten der Lichtbranche aufgewachsen, weil mein Vater eine Beleuchtungsfirma hatte. Letztlich habe ich mit ihm dort gearbeitet und dabei die Erfahrung gemacht, dass ich bei fast allen Kunden, zu denen ich kam – meistens Büros – nie das Gefühl hatte, dass das Licht gut ist. Ich wusste – das lag auch an all den Normen und Regulierungen, aber dennoch stellte sich mir die Frage, warum fühlt sich das nicht gut an. Ich erkannte, dass wir inmitten dieser Normen und mit der Art, wie wir Beleuchtung in einer standardisierten Weise umsetzen, nur die messbaren Parameter von Licht im Blick haben. Es gibt aber Qualitäten von Licht, die nicht messbar sind und die in vielen Fällen nicht berücksichtigt werden. Das heißt, ich dachte über diese nicht messbaren Qualitäten nach und in diesem Zusammenhang auch über das Verhältnis von Mensch und Licht in der gesamten Menschheitsgeschichte.
FORMFAKTOR: Und dabei kamen Sie auf das Feuer …
Magnus Wästberg: … es braucht nicht viel, um zu erkennen, dass über mehr als eine Million Jahre die einzige künstliche Lichtquelle das Feuer war. Erst seit etwas mehr als hundert Jahren haben wir elektrisches Licht. Das ist nur ein Augenzwinkern in unserer Beziehung zu Licht. Nun stellt sich die Frage, welche Qualitäten hat Feuer, die wir heute missen. Das Feuer war uns immer sehr nahe, wir hatten es unter Kontrolle und es war eine Lichtquelle, die für uns leuchtete und nicht auf uns. Wenn wir uns modernes Licht in Büros vor Augen führen, herrscht dort das genaue Gegenteil. Das Licht strahlt von weit weg, von der Decke, auf uns herab und wir können es nicht kontrollieren. Wir sind den ganzen Tag wie alle anderen Kollegen demselben Licht ausgesetzt. Und das, obwohl wir sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche in Bezug auf Licht haben. Meiner Meinung nach liegt genau hier das Problem. Deshalb schrieb ich das Manifest „Lamps for Neanderthal Man“, weil ich wirklich über Licht in einer völlig anderen Weise diskutieren wollte. Kein Lux, kein Lumen, sondern über die emotionalen Aspekte von Licht.
FORMFAKTOR: Das heißt, es ist wichtig, möglichst alle Aspekte in der Gestaltung von Leuchten zu berücksichtigen?
Magnus Wästberg: Für uns beginnt alles immer mit einem Problem oder einer Möglichkeit, die man mit einem klaren Ziel angehen muss. Der holistische Blick ist dabei wichtig. Man darf nicht nur auf die Technologie achten, aber auch nicht nur auf die Ästhetik. Nur so kann man ein bedeutungsvolles, relevantes Produkt erschaffen. Aber in der Industrie ist es häufig so, dass es Firmen gibt, die entweder stark auf die Technologie fokussieren oder auf die Ästhetik. Nur wenige verbinden beides. Ein Produkt muss total funktional sein, es muss energieeffizient sein, der Preis muss vernünftig sein, es muss schön sein und es muss emotionale Qualitäten besitzen. Oft schafft man nur einen Teil dieser Aspekte, nur selten erreicht man alle.
FORMFAKTOR: Gerade bei der Gestaltung von Leuchten spielt Technologie eine Hauptrolle. Wie sehen Sie den Stellenwert der Technologie für Ihr Unternehmen? Gibt es in diesem Bereich vielleicht auch Gefahren?
Magnus Wästberg: Auf jeden Fall. Es gibt sehr viele Gefahren und viele Ebenen davon. Erstens besteht die Gefahr, Technologie der Technologie wegen zu benutzen, anstatt dafür ein relevantes Problem zu lösen. Viele Unternehmen tappen in diese Falle und hecheln nur der Technologie hinterher. Zweitens geht es um das Berücksichtigen der vielen Aspekte, die in der Beleuchtungsindustrie heutzutage berücksichtigt werden müssen. Es gibt enorm viele Wege, um ein Problem zu lösen – sehr viele verschiedene Parameter, die man kombinieren kann. Diese zahllosen Optionen sind einerseits fantastisch, andererseits aber besteht das Risiko, Dinge aufgrund dieser Komplexität falsch zu machen. Viele Unternehmen verfolgen keinen ordentlichen Designprozess, sondern nur Fragmente davon. Für mich steht am Anfang immer ein Problem oder eine Möglichkeit und dann braucht man einen klaren Zweck und ein klares Ziel. Man darf nicht nur die Technologie oder nur die Ästhetik im Blick haben.
FORMFAKTOR: Die Technologie als Mittel zum Zweck?
Magnus Wästberg: Absolut. Licht hat sich vom Feuer zu einem elektrischen Produkt entwickelt und heute ist es ein elektronisches Produkt. Und das eröffnet ein völlig neues Universum, wo wir erst an der Oberfläche kratzen. Die Elektronik wird sich stark weiterentwickeln. Es geht um die Kontrolle von Licht, um das Programmieren von Licht und sogar um ganz neue Lichtquellen. Aber bei all diesen Entwicklungen muss im Zentrum nach wie vor das Lösen eines tatsächlichen Problems stehen, für das die Technologie nur ein Mittel zum Zweck ist. Wenn man Technologie so versteht, kann sie sehr hilfreich sein und niemand braucht sich vor ihr zu fürchten. Es geht darum, Technologie auf eine relevante Art und Weise einzusetzen. Nicht immer ist das, was technisch machbar ist, auch gut für den Menschen.
FORMFAKTOR: Wie sehen Sie das Verhältnis von Technologie und Ästhetik? Wie sieht der Designprozess bei Wästberg aus?
Magnus Wästberg: Wir entwickeln selten Produkte, indem wir nur auf die Technologie oder nur auf die Ästhetik achten. Es geht um die Essenz, um die Seele eines Produkts. Wenn wir daran arbeiten, schichten wir Ebene um Ebene um Ebene übereinander. Oftmals ist die Ästhetik die letzte Ebene. Sie ist ein Ergebnis des Designprozesses. Sie werden in unserem Portfolio kaum Leuchten finden, die mit dem Gedanken an eine bestimmte Form entstanden sind. Die Ästhetik ist das Ergebnis einer klaren Funktion oder eines Zwecks. Welches Material, welche Form, welches Finish wir verwenden, ist wirklich ein Resultat des Prozesses.
FORMFAKTOR: Was sind aus ihrer Sicht die größten Herausforderungen in Zukunft für die Lichtbranche?
Magnus Wästberg: Ich glaube, die Situation unterscheidet sich nicht von der in anderen Industrien. Wenn man sehr ambitioniert ist und fortschrittliche Lichtlösungen entwickeln möchte, dann ist das sehr kostenintensiv. Sowohl im Hinblick auf Forschung & Entwicklung als auch in der Produktion. Das heißt, in unserer Zeit muss man als Firma schon eine bestimmte Größe haben, um Dinge umsetzen zu können. Dieser Trend macht manche traurig, andere finden das super. Generell muss man wirklich ganz oben im Spiel sein und alle Perspektiven sehen, um beispielsweise auch ein langlebiges Produkt zu kreieren, was besonders in puncto Technologie gar nicht so leicht ist. Denn die Technologie, die heute verfügbar ist, gibt es morgen vielleicht gar nicht mehr. Das heißt, man muss ein Produkt so designen, dass es sich mit der Zeit weiterentwickeln kann. Das sind die aktuellen Herausforderungen.
Danke für das Gespräch!