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Mobilität als nachhaltiges urbanes System

von Markus Schraml
Micro-Mobility, Studio Schwitalla

Eine der derzeit größten Herausforderungen der Menschheit ist, mit den Veränderungen des Klimas umzugehen. Ein Teil des Problems sind die CO2-Emissionen des Individualverkehrs. Seit einigen Jahren wird darüber diskutiert, wie sich die Mobilität verändern muss, um schädliche Auswirkungen auf die Umwelt zu verhindern. Das E-Auto scheint für viele eine Lösung zu sein, die zumindest den Schadstoffausstoß beim Fahren vermeidet. Dies allein kann jedoch nicht das Allheilmittel sein. Das Thema Mobilität geht viel weiter. Vor allem im urbanen Raum wollen Stadtplaner den individuellen Autoverkehr generell zurückdrängen – egal ob elektrisch oder konventionell. Der Mensch soll im Zentrum zukünftiger Städte stehen und nicht das Auto. Experten wie Claudia Kemfert, Professorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kritisieren, dass Autos in Städten viel zu viel Raum einnehmen. Straßen und Parkplätze bestimmten das Bild. Kemfert legte im Rahmen der Konferenz Shift Mobility in Berlin dar, dass dieser enorme Platzverbrauch anders verwendet werden sollte, vor allem für Grünbereiche.

Auch Dirk Messner, Leiter des deutschen Umweltbundesamtes, wünscht sich weniger Autos und mehr öffentlichen Verkehr bzw. Shared Mobility. Angesichts der geringen täglichen Fahrtstrecken sieht Messner auch das Fahrrad als einen wichtigen Faktor in einer Transformation des Mobilitätssystems in Städten. Wien, ansonsten ein Vorbild in Sachen öffentlicher Verkehr, hat gerade bei der Fahrradinfrastruktur enormen Nachholbedarf. Gerald Franz von Urban Innovation Vienna betont, dass 85 % des städtischen Raums von Autos eingenommen würden und dass die Strategie der Stadt sei, diesen Raum Schritt für Schritt wieder der Bevölkerung zugänglich zu machen. Um alternative Mobilitätsformen anzubieten, wird von den Wiener Experten ein Mobilitätsmanagementsystem verwendet, in dem eine ganze Reihe von Alternativen zum geliebten Auto aufgeführt sind. Mit dazu gehört der Plan, in Neubauten immer genügend Parkplätze für Fahrräder und E-Bikes vorzusehen sowie die Ladeinfrastruktur auszubauen. In Bezug auf Shared Mobility berichtet Franz von E-Bikes und E-Scootern, aber auch von Cargo-Bikes, Stationen für Lieferservices und Drop-off Points. All dies soll in sogenannten Mobility Stations zusammengefasst werden.

Für eine Transformation der Mobilität sind erhebliche Investitionen notwendig. Das betont François Bausch, Minister für nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur in Luxemburg. In der von starkem Pendlerverkehr betroffenen Hauptstadt wurden enorme Summen etwa in neue Bahnhöfe, Bahnstrecken, Park+Ride sowie Fahrradrouten investiert. Ein neues Bus-Netzwerk wurde entwickelt und das gesamte Mobilitätssystem des Landes umgekrempelt. Alle Mobilitätsangebote wurden kombiniert und in eine userfreundliche multimodale App integriert. Dieses Neudenken der Mobilität bringt auch eine völlig neue Sichtweise gegenüber dem urbanen Raum insgesamt mit sich, sagt Bausch. Wichtig dabei sei, dass der Fokus auf die Menschen gelegt werde und nicht mehr auf die Fahrzeuge. Übrigens – seit diesem Frühjahr ist die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel (2. Klasse) in Luxemburg kostenlos. Dies sei jedoch nicht ausschlaggebend, weiß Bausch, wichtig sei vielmehr die Attraktivität des Angebots und dass es als cool und trendy wahrgenommen werde.

Vielfalt, Konnektivität, Emissionsfreiheit, Digitalisierung das sind die Schlagworte, die von den meisten Rednern bei Shift Mobility (die Konferenz fand im Rahmen der IFA statt) bemüht wurden. Wie wichtig Vielfältigkeit in der urbanen Mobilität sei, betont auch Sandra Philips von MovMi. In Vancouver (Kanada) habe man ein Transportsystem entwickelt, das in seiner Vielfalt vor allem miteinander verknüpft sei. Um öffentlichen Verkehr möglichst widerstandsfähig zu machen, sei es außerdem notwendig, dass der öffentliche Sektor mit dem privaten eng zusammenarbeite.

TED Talk mit Sandra Philips über Mobilitäts-Ökosysteme

Wenn über die Zukunft der Mobilität diskutiert wird, kommt schnell auch das Thema veränderte Stadtstrukturen ins Spiel. Eine Stadt ohne Autos kann völlig anders aussehen, meint auch Max Schwitalla (Studio Schwitalla, Berlin). Fallen Autostraßen und Parkplätze weg, können urbane Strukturen viel kleiner sein und öffentliche Bereiche unterschiedlich verwendet werden. Als konkretes Beispiel führt Schwitalla sein Konzept einer Fahrradstadt an, ein kurvenreiches, 3-dimensionales Wohngebiet, das verschiedenste Angebote bereithält. Auch Felix Petersen (Head of Europe at Spin – Electric Scooter Sharing, eine Ford-Tochter) kritisiert die Übermacht des Autos in Städten, die sich in den letzten 100 Jahren entwickelt hat. Er sagt, dass die durchschnittliche Größe eines Parkplatzes mit 12 m² mehr sei als die empfohlene Mindestgröße für ein Kinderzimmer. Dieser Vergleich macht das Ungleichgewicht der Raumnutzung in Städten deutlich. Und wie viele andere Vortragende während der Shift Mobility Konferenz betont auch Petersen, dass es für eine Transformation der Mobilität einerseits Anreize brauche, andererseits aber auch legistische Maßnahmen. Deshalb sollten etwa große E-Autos sehr viel mehr kosten als kleine, weil sie vergleichsweise viel Platz im urbanen Raum verbrauchen.

Da bis 2050 weltweit 68 % der Menschen in Städten leben werden, ist das Thema Mobilität eng mit dem urbanen Raum verknüpft. Bei der Frage der CO2-Emissionen des Straßenverkehrs kann die Lösung sicher nicht sein, einfach alle Verbrenner durch elektrisch angetriebene Fahrzeuge zu ersetzen, vielmehr muss der Auto-Individualverkehr zurückgedrängt und durch U-Bahnen, Züge, Busse, Fahrräder, Scooter sowie unterschiedliche Formen von Shared Mobility ersetzt werden. Um diese Transformation zu schaffen, braucht es attraktive Angebote. Und das bedeutet – Investitionen. Zum Schluss ein Blick auf die Realität: Betritt man in Berlin, Wien oder Paris die Straße, drängt sich vor allem eines ins Blickfeld – Autos, Autos, Autos. Die meisten Menschen lieben ihr Privatfahrzeug nach wie vor. Das heißt, trotz starker Argumente und attraktiver Alternativen wird es ohne strikte Regularien nicht gehen.


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