Home Architecture Neue, offene Urbanität – Charlie Living von GRAFT

Neue, offene Urbanität – Charlie Living von GRAFT

von Markus Schraml

Unweit des legendären Checkpoint Charlie in Berlin hat das Architekturbüro GRAFT einen der größten Neubaubauten mit überwiegendem Wohnanteil umgesetzt und damit eine der letzten Leerstellen des ehemaligen Mauerstreifens in Berlin Mitte gefüllt. Um einen öffentlich zugänglichen Hof sind bei „Charlie Living“ (Bauherr: Trockland) drei achtgeschossige Hauptgebäude (Haus A, B, C) sowie ein Stadthaus-Komplex gruppiert (Haus D). Starken Charakter erhalten die Bauwerke vor allem durch eine recht wuchtige Fassadenstruktur, wodurch sich für die Bewohner*innen großzügige Loggien oder Balkone ergeben. Auf den historischen Ort Bezug nehmend, wirken die Gebäude – von außen betrachtet -, wie zufällig eingerissenes Mauerwerk. Der öffentliche Durchgang durch den „Mauereinschnitt“ bietet eine fußläufige Abkürzung zur Mauerstraße bzw. zur mittleren Friedrichstraße.

Mit einem Wohnungsmix aus 243 Wohnungen (2 – 7 Zimmer) mit Größen zwischen 40 und 300 m² und 48 Serviced Apartments ist das neue Quartier eines der größten Wohnungsneubauprojekte im Stadtzentrum seit der Internationalen Bauausstellung IBA 1987. Die Nachbarschaft des neuen Wohn-Ensembles ist äußerst prominent: Es liegt im Umfeld des Martin Gropius Baus, des Abgeordnetenhauses, der Gedenkstätte „Topografie des Terrors“ sowie der Friedrichstraße mit dem Checkpoint Charlie und dem Axel Springer Campus.

 

Haus A beherbergt ein Apartment Hotel mit Lobby und Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss sowie Wohnungen, die hofseitig im Seitenflügel angeordnet sind. Über der zweigeschossigen Sockelzone entlang der Zimmerstraße bilden die auf fünf Etagen verteilten Studio-Apartments zur Straßenfront hin flache, gegenüber dem Wohnraum leicht erhöhte Erker aus, die sich als Erweiterung des Wohnbereichs in den Straßenraum schieben und aus denen sich ein Blick bis hinunter zum Checkpoint Charlie bietet. Mit seinem Seitenflügel schirmt Haus A die lange Brandwand der Nachbarbebauung im Osten ab und orientiert einen Großteil der Mietwohnungen nach Westen zum grünen Innenhof, wodurch viele der zukünftigen Wohnenden Nachmittagssonne genießen können.

Haus B liegt im östlichen Anschlussbereich, in dem sich Wohnungen mittlerer Größe befinden. Das leicht geneigte, sich optisch faltende Balkongerüst erlaubte es, innerhalb der Fassadenstruktur unterschiedlich große Balkone zu realisieren und damit natürlichen Sonnenschutz zu gewährleisten, während in den dunkleren Jahreszeiten die Sonnenstrahlen bis in die Tiefe der Apartments gelangen. Haus C ist der dritte zentrale Baukörper. Er fällt durch eine verwoben plastische Balkonstruktur auf. Dreieckige Balkonbereiche wechseln pro Geschoß in der Ausrichtung und schieben damit jedes zweite Geschoß aus der Fassade, sodass der darüber liegende Balkon quasi zurücktritt und dadurch eher Terrasse-Gefühl entsteht als das eines Balkons. An den Vertikalen sind Baumtröge eingefügt, die den grünen Charakter des Innenhofes an den Außenwänden fortsetzen. Der in diesem Gebäude befindliche Clubraum mit Freizeiteinrichtungen im Erdgeschoss und eine Dachterrasse stehen allen Bewohnern zur Verfügung. Im hinteren Bereich des Innenhofs schließt sich Haus D an, das als dreigeschossiger Baukörper sechs Townhouse-ähnliche Wohnungen beherbergt. Diese mit Frontterrasse, Keller und Garten ausgestatteten Wohnungen sind eine innerstädtische Sonderform von hoher Wohnqualität. Trotz der jeweils unterschiedlichen Fassadengestaltung strahlt das Ensemble einen sehr einheitlichen Charakter aus. Dies ist den verwendeten Materialien, dem Farbdesign sowie der grundsätzlich starken Struktur der Fassaden zu verdanken.

Die Architekt*innen von GRAFT folgen mit „Charlie Living“ der Idee einer Aufhebung der strikten Trennung von Wohnhof und öffentlichem Raum. Wie und ob sich dieses Konzept an einer so exklusiven Wohnadresse bewährt, wird die Zukunft weisen. Denn eigentlich konterkariert der öffentliche Durchgang die durch die Architektur geschaffene ruhige Wohnsituation. Andererseits – die grundsätzliche Entscheidung in einer Großstadt zu leben, könnte dieser der urbanen Umgebung zugewandte, offene Ansatz im Hinblick auf einen neuen städtischen Lebensstil durchaus entgegenkommen.


 

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