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Philippe Starck über menschliche Intelligenz und verlorene Werte

von Markus Schraml
A Celebration, Kartell, Starck, Louis Ghost

Der französische Gestalter Philippe Starck ist eine der schillernsten Persönlichkeiten der internationalen Designszene. Im Lauf seiner Karriere hat er von Möbeln, Modeaccessoires und Haushaltsgegenständen über Restaurants und Hotels bis hin zu Megayachten und sogar Flugzeugen alles designt. Sein Anspruch war von Anfang an – das Leben der Menschen mit seinen Kreationen zu verbessern. In diesem Sinne trifft auf ihn der Begriff „Democratic Design“ in hohem Maße zu. Der Ernsthaftigkeit seiner Bestrebungen steht der humoristische Charakter des in Paris geborenen Franzosen gegenüber. Bei all seinen Bemühungen spielt Innovation eine wichtige Rolle. Tatsächlich ist dieses Wort bei Starck keine abgenutzte, leere Hülle, sondern die ständige Bereitschaft, neue Wege zu gehen und die Grenzen des Designs zu verschieben. Eine Kooperation, in der er diesen Anspruch seit über 20 Jahren umsetzt, führt er mit dem italienischen Möbelunternehmen Kartell.

Im Zuge des diesjährigen Salone del Mobile traf FORMFAKTOR Philippe Starck zum Interview auf dem gewohnt gut besuchten Messestand von Kartell in Mailand. Dabei sprach der visionäre Schöpfer über die Entmenschlichung im Materialismus, den Verlust der Werte, aber auch über Humor, der vieles leichter mache.

FORMFAKTOR: Sie haben einmal gesagt, dass sie eine Idee in einer Sekunde haben können, aber sie auszuarbeiten dauert Monate, manchmal Jahre. Wie entscheiden Sie, wann es eine Idee wert ist, daran zu arbeiten und wann es besser ist, sie wieder zu vergessen?

Philippe Starck: Mein Vater (André Starck, Anm.) war ein ziemlich bekannter Flugzeugingenieur mit einer eigenen Firma, die Flugzeuge baute. Als ich ihn beim Designen beobachtete, erkannte ich, dass es bei der Gestaltung eines Flugzeuges darauf ankommt, sehr rigoros zu sein, damit es auch wirklich fliegt und keine Bruchlandungen passieren. Das heißt, es ist sehr leicht, eine Idee zu haben, aber das Schwierige ist herauszufinden, ob es überhaupt eine Legitimation für dieses Produkt gibt. Gibt es einen guten Grund? Und dann muss man sehr viel Arbeit hineinstecken, damit ein perfektes Produkt entstehen kann. Es muss widerstandsfähig, zeitlos, stark, freundlich und sexy sein. Es muss ökologisch sein, gesellschaftspolitisch relevant und ökonomisch ausbalanciert. Das bedeutet eine Menge Arbeit.

FORMFAKTOR: Sie arbeiten schon seit vielen Jahren mit Kartell zusammen. Wie würden Sie diese Beziehung beschreiben?

Philippe Starck: Ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich glaube an uns, an die Menschen, denn wir sind einfach genial. Weil ich das Leben respektiere, möchte ich nichts zerstören. Ich möchte keine Bäume, keine Tiere etc. töten. Das ist mein Bestreben. Deshalb habe ich von Anfang an Materialien verwendet, die der menschlichen Intelligenz entsprungen sind. Synthetische Materialien. Mit Kartell haben wir immer wieder die Grenzen ausgeweitet und haben Hightech-Produkte erschaffen, wie zum Beispiel Ghost.

FOFMFAKTOR: Das heißt, die Entwicklung schreitet kontinuierlich voran. An welchem Punkt im Hinblick auf das Material stehen wir jetzt?

Philippe Starck: Seit 20 Jahren spreche ich vom Ende des Öls und habe die Industrie gedrängt, biobasiertes Plastik herzustellen. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir in Zukunft biobasiertes oder recyceltes Plastik oder Ähnliches benötigen werden, um weiter produzieren zu können. Nun haben wir es. 100 % des Plastiks bei Kartell ist entweder biobasiert (Polycarbonate) oder recycelt bzw. kann wiederum recycelt werden. Damit zerstören wir nichts, wir verschmutzen nichts – es ist eine Win-Win-Situation. Und die Produkte sind für jeden leistbar. Das ist meine Beziehung zu Kartell. Wir gemeinsam haben eine Kathedrale der menschlichen Intelligenz errichtet, um die Natur zu schützen.

FORMFAKTOR: In all diesen Jahren ist bestimmt auch eine sehr persönliche Beziehung entstanden – etwa zu Claudio Luti.

Philippe Starck: Kartell bedeutet Familie. Die Verbindung begann schon zu Zeiten Giulio Castellis und später arbeitete ich mit Claudio Luti zusammen. Wir gehören zu einer Familie, wir diskutieren nicht, wir müssen nicht darüber sprechen, wir befinden uns auf einer Linie. Claudio ist zutiefst intelligent, hat elegante Gedanken und ist außerordentlich freundlich, offenherzig, ehrlich und vertrauenswürdig. Perfekt. Ich versuche, genauso zu sein.

FORMFAKTOR: Vor Kurzem schrieben Sie in einem Ihrer Instagram-Posts, dass die Welt grau sei, außer in Portugal. Warum?

Philippe Starck: Es gibt ganz klar einen Verlust der menschlichen Werte. Der Materialismus hat es fast geschafft, die Brüderlichkeit zu verdrängen – die Zärtlichkeit, Liebe und den Respekt. All die Werte, die für uns Menschen wichtig sind. Das macht mich traurig, weil ich diese menschlichen Werte und die Menschen liebe. Wenn ich sehe, wie die Menschen entmenschlicht werden, macht mir das Angst. Das will ich nicht akzeptieren. Zufällig entdeckte ich in Portugal die letzten Menschen, die Widerstand leisten und ihre Prioritäten noch immer nach den menschlichen Werten ausrichten. Es ist ein Land der Freundlichkeit, des Respekts und der Ehrlichkeit – ich liebe es. In Portugal kann man noch leben, als wäre man im letzten Jahrhundert. Diese Leute sind nicht blöd, das kann ich Ihnen versichern – ganz im Gegenteil.

FORMFAKTOR: Welche Rolle spielt Humor in ihren Designs?

Philippe Starck: Er ist nicht in meinen Designs, sondern in meinem Leben. Ich bin sehr intuitiv, aber nicht sehr intelligent, vielmehr bin ich Mitglied im Fan Club der menschlichen Intelligenz. Ich betrachte Humor als eines der schönsten und interessantesten Symptome der menschlichen Intelligenz. Mit Humor relativieren sich die Dinge und man kann mit ihnen spielen. Es ist eine Art Freiheit. Dadurch wird auch die Beziehung zu den Menschen besser. Erstens kann man lachen und alles wird ein bisschen gelöster. Die Eleganz besteht darin, ernste Dinge mit Leichtigkeit zu behandeln und leichte Dinge mit Ernsthaftigkeit.

Philippe Starck gehört zu den weltweit bekanntesten Designern. Die Liste seiner Arbeiten ist viele Seiten lang und reicht vom Entsafter bis zur Weltraum-Wohnkapsel. Foto © Jean-Baptiste Mondino

Starck x Kartell

In seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Kartell hat Philippe Starck eine ganze Reihe ikonischer Produkte geschaffen. Das bekannteste davon ist der Sessel Louis Ghost, der mit der Technik des Polycarbonatspritzgusses gefertigt ist. Starck interpretierte damit den Louis XV Armlehnstuhl neu. Der Masters-Stuhl wiederum ist eine Hommage an gleich drei Stuhlikonen: „Serie 7“ von Arne Jackobsen, den „Tulip Armchair“ von Eero Saarinen und den „Eiffel Chair“ von Charles Eames. Er besteht aus Polypropylen. In jüngerer Zeit fallen so bemerkenswerte Projekte wie „A.I“ ins Auge, wo Starck mit Künstlicher Intelligenz experimentierte. Oder „Smart Wood“, eine Kollektion, für die Holzabfälle zu wunderschönen Möbeln verarbeitet werden. Nicht zuletzt gestaltete Starck erstmals auch einige Leuchten für Kartell: Chandelier, Angelo Stone und Goodnight.


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