Das 1896 gegründete Unternehmen Wittmann ist in fünfter Generation familiengeführt und eng mit der niederösterreichischen Region am Kamp (Sitz: Etsdorf am Kamp) verbunden. Ein Gebiet, das vor allem für seine hervorragenden Weißweine bekannt ist, indem aber auch hochwertige Möbel von Spitzenhandwerkern hergestellt werden. Dafür verwenden sie nur beste Materialien, die von langjährigen Partnern aus der Region angeliefert werden. Jährlich verlassen das Werk rund 15.000 Stück Qualitätsmöbel und gehen in 50 Länder der Welt – von Europa und den USA bis nach Australien. Der Exportanteil beträgt 70 %.
Was Wittmann von anderen Herstellern abhebt, ist die Tatsache, dass das mittelständische Unternehmen als einziges das Recht hat, Möbel von Josef Hoffmann zu re-editieren. Dieser traditionelle Kern wird durch aktuelle Entwürfe bereichert. In den 2010er-Jahren verstärkte sich die Zusammenarbeit mit externen Designstudios und erfuhr einen ersten Höhepunkt mit „Vuelta“ von Jaime Hayon. Als dann im März 2021 (bis März 2023) Luca Nichetto die Art Direction übernahm, bedeutet dies einen enormen Schub im Hinblick auf die Internationalisierung des Unternehmens. Der gut vernetzte Italiener brachte Designer wie Neri & Hu oder Nendo zu Wittmann. Das sind Namen, die im globalen Möbelgeschäft einen guten Klang haben und die Strategie der maßvollen Expansion in Richtung Naher Osten und asiatischer Markt unterstützen.
Dem Glanz der Designprominenz setzt Wittmann ein entschiedenes Festhalten an der Familientradition hinzu. Bester Beweis dafür ist, dass Alice Wittmann, Tochter von Ulrike Wittmann und Heinz Hofer-Wittmann, die Rolle des Head of Design übernommen hat. FORMFAKTOR traf sie im Rahmen der jüngsten Möbelmesse in Mailand und sprach mit ihr über die zukünftige Stoßrichtung, die Aufgaben von Arthur Arbesser als Creative Council sowie die Einzigartigkeit der Wittmann-DNA.
FORMFAKTOR: Was sind die entscheidenden Gründe dafür, dass Sie die Rolle des Head of Design bei Wittmann übernommen haben?
Alice Wittmann: Es war klar, dass diese Position nur jemand aus der Familie übernehmen kann, weil die Wittmann-DNA erhalten bleiben muss. Und das ist mit jemandem von außerhalb der Familie schwieriger. Die Modellentwicklung ist sicher das Herzstück des Unternehmens. Diesen Bereich hat viele Jahre lang meine Mutter verantwortet und deshalb habe ich die Modellentwicklung im Grunde seit ich ein Kind bin mitbekommen. Ich selbst bin seit fünf Jahren im Unternehmen und hatte schon im letzten Jahr damit begonnen, gemeinsam mit Arthur Arbesser, in den Bereichen Branding und Kommunikation zu arbeiten. Dabei ging es um die Präsentation der Modelle bei unserer Hausmesse in Etsdorf oder auch hier in Mailand auf der Messe.
FORMFAKTOR: Eine ihrer Aufgaben ist es, sich mit der Modellpolitik des Unternehmens auseinanderzusetzen. Wie blicken Sie in diesem Zusammenhang auf die rasante Entwicklung der letzten Jahre?
Alice Wittmann: Luca Nichetto hat in dieser Beziehung einiges vorangebracht. Er hat vieles eingeleitet, was wir beibehalten und fortführen werden. Also die Zusammenarbeit mit internationalen Designern, was wir zwar schon immer gemacht haben, aber in den letzten Jahren sind viele neue, auch junge Designer dazugekommen. Sie bringen einen Weitblick und eine Inspiration nach Etsdorf, die wir brauchen. Wir liefern unsere Möbel bis nach Australien und deshalb benötigen wir einfach einen weiteren Horizont. Externe Designer bringen genau diese Inspiration mit und die Internationalität.
FORMFAKTOR: Wie würden Sie die Wittmann-DNA beschreiben?
Alice Wittmann: Da muss ich etwas ausholen: Mein Großvater hatte damals eine Sattlerei übernommen und daraus eine Polstermöbelfabrik gemacht. Anfang der 1950er-Jahre ging es darum, den Bedarf an Möbeln zu decken. Er hat aber schon damals viel Wert auf die Qualität der Möbel und das Design gelegt. Er hat ganz früh damit begonnen, mit Designern und Architekten zusammenzuarbeiten. „Constanze“ war das erste Modell, das in Kooperation mit dem Architekten Johannes Spalt entstanden ist. Diese beiden Aspekte führen wir im Grunde bis heute fort: Also wir legen viel Wert auf die Ästhetik, aber auch auf das Handwerk. Bei der Qualität machen wir keine Abstriche, weil der Sitzkomfort ganz ganz wichtig ist. All diese Dinge haben wir im Prinzip von Anfang an gemacht und daraus ergibt sich die Wittmann-DNA.
FORMFAKTOR: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Arthur Arbesser? Welche Rolle spielt er konkret?
Alice Wittmann: Arthurs Arbeit beginnt dort, wo es darum geht, wie wir uns als Marke, wie wir unsere Möbel präsentieren. Wir verstehen uns sehr gut und unsere Zusammenarbeit verlief von Anfang an sehr natürlich. Wir treffen uns regelmäßig in Wien oder Etsdorf (Arthur wohnt in Mailand) und besprechen Fragen der Ästhetik. Für den Messestand hier in Mailand haben wir sozusagen im Dreiklang mit unserer Branding-Agentur Zaven (mit Sitz in Venedig) zusammengearbeitet.
FORMFAKTOR: Das Atrium Sofa, ein Entwurf von 1971, wird jetzt erstmals herausgebracht. Ein Fingerzeig darauf, wohin die Reise in Zukunft geht?
Alice Wittmann: „Atrium“ ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass wir uns als Familienunternehmen auch mit unserer Vergangenheit beschäftigen. In den letzten Jahren haben wir unser gesamtes Bildarchiv aufgearbeitet. Das sind Tausende von Fotos, DIAs, Entwürfen, Designskizzen, alte Drucksorten, die wir alle digitalisiert und in eine Datenbank eingespielt haben. Dabei konnten wir bisher über 600 Modelle zuordnen. Und eines dieser Modelle war „Atrium“, wo wir gesehen haben, dass es sehr viel Potenzial für unsere Zeit hat. Es funktioniert als Elementmöbel im Wohnraum, aber auch in einem Arbeitsbereich oder Gästezimmer, weil man es in ein Bett verwandeln kann.
FORMFAKTOR: Das heißt, in diesem Archiv liegt noch viel Potenzial für die Zukunft?
Alice Wittmann: Ja, da gibt es sehr viel Potenzial.
FORMFAKTOR: Wenn man historische Entwürfe, die bisher nie veröffentlicht wurden, herausbringen möchte – worauf muss man achten?
Alice Wittmann: „Atrium“ zum Beispiel war ein, wie wir es intern nennen, Werksentwurf. Wir hatten in unserem physischen Archiv ein Einzelexemplar von Atrium. Dort konnten wir uns anschauen, wie es damals gemacht wurde. Wir haben ganz kleine Veränderungen vorgenommen, im Hinblick auf die Praktikabilität. Beispielsweise mussten wir die Sitztiefe ein wenig verändern, um die Bügel für die Polster zu fixieren. Aber im Design haben wir nichts verändert.
FORMFAKTOR: Also Detailarbeit …
Alice Wittmann: … ja genau, Detailarbeit. Meist ist es nicht ersichtlich, wie viel Arbeit in einem Möbel eigentlich steckt.
FORMFAKTOR: Wie wichtig ist die Wiener Kultur bei Wittmann? Ich denke hier an die Möbel von Josef Hoffmann.
Alice Wittmann: Die Entwürfe von Josef Hoffmann sind Teil unseres Erbes und unserer DNA. Das haben wir auch hier in den Messestand integriert. Einzelne Aspekte sollen an die Wiener Moderne erinnern. So findet sich das Quadrat immer wieder oder das Foto eines Jugendstilkamins aus dem MAK-Archiv. Das spielt eine große Rolle für uns, damit identifizieren wir uns, da kommen wir her.
FORMFAKTOR: Worauf wollen und werden Sie in Zukunft besonderen Wert legen?
Alice Wittmann: Es sind zwei Aspekte, die mir wichtig sind: Einerseits ist es, wie gesagt, die Zusammenarbeit mit internationalen Designern. Die wollen wir fortführen. Das ist für uns wichtig, es macht Spaß und bringt für Wittmann einfach sehr viel.
FORMFAKTOR: Die neuen Designer, die in den letzten beiden Jahren zu Wittmann gestoßen sind – sollen diese Kooperationen fortgesetzt werden und denken Sie daran, sogar mit noch weiteren Studios zusammenzuarbeiten?
Alice Wittmann: Wir schauen natürlich immer, ob es neue spannende Designer gibt. Aber wenn ein Designer uns einmal kennt und weiß, was wir können, entstehen daraus Kooperationen, die für beide Seiten fruchtbar sind und wo man sich auch weiterentwickeln kann.
FORMFAKTOR: Was ist der zweite Aspekt, den Sie in Zukunft betonen wollen?
Alice Wittmann: Wir wollen die Möglichkeiten unseres Handwerks mehr nutzen bzw. vermitteln. Wir haben wirklich sehr gute Handwerker in Etsdorf. Und gerade die Polsterei bietet so viele Möglichkeiten. Wir sehen es immer wieder, wenn wir jahrzehntealte Stücke bekommen, um sie neu zu beziehen. Dort finden sich mitunter Verarbeitungstechniken, wo wir sagen, dass müsste man eigentlich in irgendeiner Form wieder zeigen. Es geht darum, dass der Fokus noch mehr darauf gelegt wird, zu zeigen, was wir können.
FORMFAKTOR: Bei Ihnen gibt es keinen Fachkräftemangel?
Alice Wittmann: Wir bilden unsere Fachkräfte selbst aus. Es braucht viele Jahre, bis jemand so arbeiten kann, dass es unserer Qualität entspricht. Natürlich müssen wir diese Leute finden, ausbilden, aber dann bleiben sie auch bei uns.
Danke für das Gespräch!