Home Business Der Unterschied machts – Wittmanns Roadmap in die Welt

Der Unterschied machts – Wittmanns Roadmap in die Welt

von Markus Schraml
Wittmann, Note, Adagio

Meisterliche Handwerkskunst und Originalität sind die beiden Grundpfeiler, auf denen der österreichischen Möbelhersteller Wittmann seine Strategie für die nächsten Jahre setzt. Seit Dr. Alexander Sova 2020 das Ruder als CEO übernommen hat, treibt das Unternehmen seine Internationalisierung gezielt voran. Vor allem das Engagement des in Venedig geborenen und in Stockholm lebenden Designers Luca Nichetto als Art Director eröffnete der mittelständischen Polstermöbelmanufaktur neue Dimensionen – und das in hohem Tempo. Wobei – übereilen will Sova nichts. Von vorschneller Expansion lässt er die Finger. Vielmehr geht es ihm um die gezielte Erschließung neuer Märkte mit ausgewählten, kompetenten Partnern.

Im Hinblick auf das Design verfügt Wittmann über ein einzigartiges Erbe, in dessen Zentrum die ikonischen Entwürfe Josef Hoffmanns stehen, die nur von Wittmann re-editiert werden dürfen. Im Lauf der Jahrzehnte (Wittmann wurde 1896 als Sattlerei im niederösterreichischen Etsdorf gegründet) kamen immer wieder zeitgenössische Entwürfe hinzu. Arbeiten von Paolo Piva (1983) oder Matteo Thun (1992) ergänzten das historische Portfolio. In den 2010er-Jahren verdichteten sich die Kooperationen: Polka (2011), Soda Designers (2011), Jörg Boner (2014) und Marco Dessí (2015). Ein Glücksfall war die Zusammenarbeit mit Jaime Hayon ab 2015, der mit „Vuelta“ ein prägendes Beispiel dafür kreierte, wie gut moderne Designs zur DNA von Wittmann passen können. Über Sebastian Herkner (ab 2018) führte der Weg hin zu Luca Nichetto, der im März 2021 die Art Direction übernahm.

Wie es dazu kam und was dahintersteckt, darüber gibt Dr. Alexander Sova im exklusiven FORMFAKTOR-Interview Auskunft. Er spricht über eine ganz konkrete Strategie, den Wert von Luca Nichetto im Hinblick auf die Internationalisierung des Unternehmens und den unbedingten Primat der Qualität.


FORMFAKTOR: Bei Wittmann hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Vor allem seit Luca Nichetto die Art Direction übernommen hat. Warum haben Sie gerade ihn engagiert?

Alexander Sova: Als ich zu Wittman kam, gab es keinen Art Director und mir war klar, dass wir für meine Vision von Wittmann einen brauchen. Ich wollte eine strukturierte Roadmap entwickeln, mit einem Plan, in dem definiert ist, welche Projekte wir in den nächsten Jahren umsetzen wollen. Wittmann ist ein mittelständisches Unternehmen, das heißt, unsere Ressourcen sind begrenzt und ich kann nicht hundert Projekte gleichzeitig angehen und mal schauen, was dabei herauskommt. Ich brauchte jemanden, der eine Struktur hineinbringt, der meine Vision teilt und der uns die Tür in Richtung internationale Designer aufstoßen kann. Drei Dinge waren also wichtig: Es musste ein strukturiert arbeitender Art Director sein und kein „Künstler“. Zweitens jemand, der international gut vernetzt und zudem teamfähig ist. Luca und ich lernten uns 2020 kennen, als Wittman gerade seine Workshop-Kollektion finalisiert hat. Sehr schnell habe ich erkannt, dass Luca diese drei Dinge in sich trägt. Er steht hinter seinem Team und er verfügt über eine gute Vertrauensbasis. Im März 2021 habe ich ihn dann gefragt und innerhalb weniger Monate hatten wir eine Roadmap bis 2025 entwickelt. Das heißt, wir arbeiten jetzt schon an den Projekten für 2024 und diskutieren bereits über 2025.

Dr. Alexander Sova leitet die Geschicke Wittmanns seit 2020. Foto © Jürgen Hammerschmid

FORMFAKTOR: Wittmann hat diese wunderbare Tradition mit Josef Hoffmann, um die herum die Kollektion aufgebaut ist. Schon in der Vergangenheit haben sowohl österreichische als auch internationale Designer für Wittman gearbeitet. Aber ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt war die Kooperation mit Jaime Hayon. Quasi ein Vorläufer der jetzigen Entwicklungen.

Alexander Sova: Richtig. Wenn man die Geschichte seit 1896 Revue passieren lässt, dann gibt es einige sogenannte Moments of Truth. Der erste war, als der Großvater von Frau Wittmann beschlossen hat, sich stärker auf das Thema Möbel zu fokussieren. Dann waren es die Rechte an den Hoffmann-Designs von der Stiftung, von der Witwe Josef Hoffmanns zu bekommen. Und sicher war auch die Zusammenarbeit mit Jaime Hayon ab 2015 so ein Moment. Jaime hat eine Tür geöffnet. Aber auch Sebastian Herkner ist für uns wichtig. Sebastian, Jaime und Luca sind so unsere drei Musketiere. Aber Jaime war der Erste, der uns als Marke sichtbarer gemacht hat, für diese nächste Generation an Designern.

FORMFAKTOR: Jaime Hayon ist auch derjenige, der die Art und Weise eingeführt hat, wie die Tradition von Wittmann weiterentwickelt und in die Zukunft getragen wird. Also nicht zu reduzierte Designs, teilweise feminine Linien …

Alexander Sova: … das Organische. Stimmt. Aber es war schon ein gewisser Stilbruch für Wittmann. Die Meinungen gingen damals sehr stark auseinander, ob und wie das passt. Es gab viele skeptische Worte – auch von Handelspartnern, die gesagt haben, das ist nicht Wittmann. Aber manchmal muss man sich neu erfinden, um den nächsten Schritt zu machen. Bester Beweis ist natürlich, dass „Vuelta“ von Jaime Hayon heute eine unserer erfolgreichsten Serien ist. Sie koexistiert mit unseren Klassikern von Hoffmann, Spalt und Kiesler. Das, was gerade Luca sehr schön macht, ist, er baut Brücken. Ich sage immer, wir brauchen drei Brücken: Eine führt von der Designtradition ins Hier und Jetzt. Das macht Luca perfekt. Egal ob es die Antilles (Beistelltische) sind oder Antigua (Kommode), wo er in seiner Designsprache Anleihen aus der Wiener Moderne nimmt. Die zweite Brücke betrifft die Internationalisierung. Wir wollen auch andere Märkte für Wittmann begeistern. Und die dritte Brücke muss uns zur nächsten Generation führen. Da geht es darum, Wittmann einer jüngeren Käuferschicht näherzubringen. Dabei helfen natürlich Designer wie Arthur Arbesser, Luca oder Sebastian enorm.

FORMFAKTOR: Sie sprachen von einer Vision, die sie für Wittmann haben. Wie sieht diese aus?

Alexander Sova: Das lässt sich nicht in einem Satz sagen. Es geht uns um Individualität und Originalität. Das klingt jetzt vielleicht hochtrabend, aber wir können uns gar nichts anderes leisten, denn wir haben nicht die Marketing-Power, dass wir irgendetwas, was metoo ist, in den Markt pushen können. Wir müssen uns von den anderen unterscheiden. Deshalb auch unser Claim „Making the Difference“. Wir müssen uns durch Originalität abheben. Wir wollen die Identität der Marke Wittmann, wie sie aus der Vergangenheit kommt, mit all den ikonischen Stücken in die Gegenwart bringen.

FORMFAKTOR: Ihre beiden Säulen dabei scheinen unverkennbares Design und hochwertige Handwerkskunst zu sein …

Alexander Sova: … Das eine ohne das andere funktioniert nicht. Ich kann das großartigste Design haben, wenn ich nicht über die Handwerker verfüge, die das umsetzen können, habe ich gar nichts. Wenn ich hervorragende Handwerker habe, aber kein Design, bringt uns das auch nicht weiter. Das heißt, diese beiden Dinge auf Augenhöhe machen den Unterschied.

FORMFAKTOR: Das neueste Mitglied im Wittmann-Designer-Reigen ist Nendo. Wie kam es dazu? Ich nehme an, der Vorschlag kam von Luca.

Alexander Sova: Ja, der Vorschlag kam von ihm. Luca hat ein internationales Netzwerk, das extrem wertvoll ist. Er ist mit vielen Designern befreundet, die er auch schätzt, aber deren DNA oft nicht zur DNA von Wittmann passt. Luca weiß sofort, wer gut zu Wittmann passen würde. Da sind wir auf einer Ebene. Allerdings war unsere Entwicklungsabteilung etwas nervös, als wir unsere Roadmap beschlossen haben und sagten, jetzt arbeiten wir mit sechs, sieben Designern parallel. Bisher gab es das nicht. Wir hatten große Jahreskollektionen wie etwa die Hayon-Kollektion oder die Nichetto-Kollektion. Da konnte sich die Abteilung auf einen Designer einstellen. Unsere neue Vision ist aber – nicht eine große Kollektion zu machen, sondern ein Portfolio von Designs, die zusammen Sinn ergeben und von Luca kuratiert werden. Das erfordert allerdings, dass wir mit sechs Designern gleichzeitig arbeiten müssen. Luca sagte, trust me, ich weiß, die passen zu Wittmann. Und so war es dann auch. Dass nun auch Nendo dabei ist, hat sicher damit zu tun, dass der asiatische Markt für uns immer wichtiger wird. Deshalb auch Neri & Hu, die natürlich weit über ihr Heimatland hinaus strahlen.

FORMFAKTOR: Nendo hat für Wittmann eine Leuchte designt. Dabei geht es wohl auch darum, dass Sie die Einrichtungswelt immer umfassender bedienen wollen. Oder?

Alexander Sova: Ganz genau. Es geht darum, dass wir unsere Designvision auch in anderen Bereichen, anderen Objekten ergänzend anbieten wollen. Es gab immer mehr Partner, die danach gefragt haben. Deshalb haben wir jetzt ein Stylebook herausgegeben, wo wir unseren Handelspartnern zeigen, wie Wittmann-Settings aussehen könnten.

FORMFAKTOR: Wo befinden sich die großen Zukunftsmärkte für Wittmann?

Alexander Sova: Auf jeden Fall im Nahen Osten. Ich war vor einigen Monaten in Saudi-Arabien und Dubai, weil wir von dort extrem viele Projektanfragen bekommen. Das ist wirklich massiv. Und bisher haben wir diesen Markt nicht strukturiert bearbeitet. Das machen wir jetzt. Wir sind in Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Skandinavien. Für uns gibt es allein in Europa noch so viel Potenzial. In Kanada und den USA sind wir schon sehr stark vertreten. Dabei geht es uns nicht darum, ein möglichst großes Netzwerk zu haben, sondern es geht um die zwei, drei richtigen Partner in einem Markt. Wir sind eine Manufaktur mit einem Output zwischen 15.000 und 20.000 Möbel pro Jahr. Wenn ich 25.000 produzieren wollen würde, müsste ich drei neue Polsterer anlernen, was fünf Jahre dauert. Das heißt, ich kann von einem Jahr aufs nächste gar nicht hochskalieren. Deshalb geht es bei uns nie um die Quantität, sondern immer um die Qualität. Ich möchte unsere Möbel selektiv mit den richtigen Partnern in die Märkte bringen.

FORMFAKTOR: Es geht nicht um Expansion …

Alexander Sova: … Nein, das wäre das komplett Falsche. Wo wir keinesfalls Kompromisse eingehen dürfen, ist die Qualität.

Danke für das Gespräch!

Wittmann wird als Familienbetrieb in fünfter Generation geführt und ist eng mit Österreich verbunden. Die langjährige Zusammenarbeit mit Lieferanten aus der Region rund um den Firmensitz im niederösterreichischen Etsdorf vermeidet ressourcenaufwendige globale Lieferketten. Die vorrangig handwerkliche Fertigung mit bestens ausgebildeten lokalen Fachkräften spart Energie und sichert Arbeitsplätze vor Ort. Wittmann fertigt mit sorgfältig ausgewählten Materialien und achtet beim Einkauf auf zertifizierte Qualität. Alle Bezugsstoffe tragen das GOTS/Ökotex-Siegel. Das eingesetzte Holz verfügt über FSC-Zertifizierung, die unter anderem nachhaltige Forstwirtschaft gewährleistet und höchste Industriestandards erfüllt.


Mehr zum Thema


Weitere TOP-Artikel