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Wie Designprozesse im Google Hardware Design Studio ablaufen

von Markus Schraml
Lachlan Turczans neuestes Kunstwerk, die Lichtinstallation „Lucida (I–IV)“ eröffnete die Mailänder Google-Ausstellung „Making the Invisible Visible“. © Google

Alphabet (Google) gehört zu den TOP 20 der Fortune Global 500 (2024) – also zu den weltweit umsatzstärksten Unternehmen. Konzerne dieser Größe bestimmen auch wie Produkte aussehen und funktionieren. Nicht zuletzt gibt Google mit seiner Designsprache in den Hardware-Entwicklungen die Richtung vor. Doch wie funktionieren die Designprozesse im Google Design Team? Welche Faktoren sind dabei entscheidend?

Ivy Ross ist Chief Design Officer für Consumer Devices (Endverbrauchergeräte) bei Google. FORMFAKTOR traf sie in Mailand, wo das Unternehmen im Rahmen der Milan Design Week mit der Ausstellung „Making the Invisible Visible“ vertreten war. Ross und ihr Team erlaubten dabei nicht nur einen kurzen Blick hinter die Kulissen, sondern lieferten fundierte Informationen über ihre Tätigkeit. Neben den Geschichten hinter den Smartphones, Smart Watches und In-Ear-Kopfhörern begeisterte vor allem die Installation Lucida (I–IV) des Lichtkünstlers Lachlan Turczan das Publikum. Leuchtende Nebel-Schleier reagierten auf die Bewegungen der Besucher. Die Zylinder aus Laserlicht verzogen und bogen sich, je nach Dynamik und Intensität der menschlichen Bewegung.

Im FORMFAKTOR-Interview spricht Ivy Ross über ihre Faszination für Licht, die Kombination von Analogem und Digitalem sowie den Einfluss von Ästhetik auf unser Gehirn.


FORMFAKTOR: Welche Bedeutung hat Licht für Sie auf einer ganz persönlichen Ebene?

Ivy Ross: Ich nenne mich selbst einen Licht-Junkie. Ich brauche Licht einfach, es ist magisch. Als wir damit begannen, das Ohr mit Laserlicht zu scannen, waren wir davon fasziniert, wie viele Informationen und Datenpunkte man daraus gewinnen kann. Es ist erstaunlich, was man mit Licht alles anfangen kann – auch wenn man sich die Arbeit von Lachlan Turczan vergegenwärtigt. Ich glaube, wir bewegen uns in einer Zukunft, in der Menschen mit Technologie und Technologien mit Menschen stärker interagieren werden. Es ist eine wechselseitige Beziehung und teil des Antriebs hinter dieser Ausstellung.

FORMFAKTOR: Wie sieht der Designprozess im Google Design Studio aus – im Hinblick auf Hardware-Geräte?

Ivy Ross: Zunächst sind wir wie alle Designer von ingenieurtechnischen Vorgaben begrenzt. Es ist ja immer so, dass Gestalter Probleme nur innerhalb von gewissen Grenzen lösen. Zum Beispiel sagen uns die Ingenieure, diese Anzahl von Kameras müssen in dem Produkt vorhanden sein. Das heißt, wir designen die Form um die Funktionen herum. Für diese Form lassen wir uns von Objekten inspirieren. Das können Objekte aus der Natur sein, wie Steine. Tatsächlich ist es so, dass wir uns kaum von anderen elektronischen Geräten beeinflussen lassen, sondern viel mehr von allem, was uns umgibt, vor allem von der Natur. Das Endergebnis ist also eine Kombination von technischen Beschränkungen und unseren Inspirationen. Es gibt auch eine Timeline mit bestimmten Deadlines, die wir einhalten müssen. Das heißt, uns steht eine gewisse Zeit zur Verfügung, um sozusagen zu spielen. Dann gibt es eine Zeit, in der ein konkretes Konzept genehmigt werden muss. Ich nenne das gerne den Tanz mit unseren Ingenieur-Partnern. Dabei geht es hin und her, vor und zurück – es ist ein Tanz um Möglichkeiten bis hin zum finalen Produkt.

FORMFAKTOR: Wie wissen Sie, wann ein Design „fertig“ ist?

Ivy Ross: Unser Designprozess dauert 18 Monate bis zu zwei Jahren. Das heißt, in meinem Kopf sind bereits so ungefähr 27 mögliche Designs vorhanden. Manchmal gibt es Momente, in denen man erkennt, dass eine Idee zu viel Kosten verursachen würde. Dann müssen wir wieder zurück an den Start, um Dinge zu ändern. Es ist wie, wenn man alle Kontrollkästchen nach und nach abhackt: Es fühlt sich gut an, es ist schön, es erfüllt alle Funktionen, es bewegt sich innerhalb des Kostenrahmens – all diese Aspekte müssen erfüllt sein. Aber im Hinblick auf die Ästhetik, wenn man erkennt, dass genau diese Farbe für diesen Knopf richtig ist … man weiß es einfach, wenn es stimmt. Es ist ein Gespür, Intuition.

FORMFAKTOR: Sie verfügen über einen Background als Schmuckdesignerin. Welche Bedeutung hat das für Ihre jetzige Position?

Ivy Ross: Ja, ich begann meine Karriere als Kunstschmiedin. Ich bin sehr glücklich, dass ich anfangs Dinge mit meinen Händen hergestellt habe. Das ist ganz wichtig, denn unsere Hände sind tolle Werkzeuge. Auch die Verbindung von Hand und Hirn, von Händen und Gedanken ist faszinierend. Man hat eine Idee und kann sie durch die eigenen Hände manifestieren. Wichtig war auch mein Vater, der als Industriedesigner für Raymond Loewy arbeitete und den Studebaker Hawk (Anm.: Auto, 1957) kreierte. Er hat auch das Haus gestaltet, in dem ich aufgewachsen bin. Und er hat mir beigebracht, Dinge genauer zu betrachten. Zum Beispiel sagte er: „Schau Dir diese Lampe an: Wie ist sie konstruiert? Was kannst Du daraus lernen?“ Das war später in meinem Beruf sehr nützlich. Hände helfen Dir auch, Ideen zu haben, sie zu Papier zu bringen und sie zu verkaufen. Ich bin sehr stolz darauf, als Maker begonnen zu haben, denn dafür gibt es keinen Ersatz. Heutzutage entsteht alles am Computer, aber immer noch kommt häufig zuerst eine Hand-Skizze oder ein Modell aus Holz, das dann in den PC übertragen wird. Ich glaube, an die Kraft des Handwerks, aber natürlich sind auch Computer eine gute Sache. Es ist eine Kombination von beidem.

FORMFAKTOR: Sie sagten einmal, „Der Aufenthalt in der Natur ist so heilsam, weil er alle unsere Sinnessysteme aktiviert“. Wie lässt sich diese Auffassung auf elektronische Produkte übertragen?

Ivy Ross: Es ist das Wissen, dass, wenn die Sinne aktiviert werden: Farbe, Haptik, all diese Elemente, es sich positiv auswirkt. Wir als Designer versuchen, diese Aktivierung zu verstärken. Rundungen aus der Natur sind viel angenehmer. Oder zum Beispiel haben wir für manche unserer Produkte unterschiedliche Oberflächen: matt und glänzend. Auf diese Art eröffnen sich zwei unterschiedliche haptische Erlebnisse.

FORMFAKTOR: Diese Ausstellung beinhaltet auch viel künstlerische Aspekte. In Ihrem Buch „Your brain on Art“ diskutieren Sie, wie Kunst uns verändert. Wie wichtig oder unwichtig ist Kunst im Jahr 2025?

Ivy Ross: Susan Magsamen, mit der ich das Buch geschrieben habe und die an der Johns Hopkins Medical University arbeitet, kontaktierte mich und sagte: „Wir haben nun den Beweis dafür, was Du schon immer intuitiv gedacht hast. Kunst, Ästhetik, Design, Architektur etc. wirken sich auf unser Gehirn und unseren Körper aus.“ Wir sind Sinneswesen und nehmen Informationen über unsere Sinne auf. Wir fühlen uns in verschiedenen Räumen unterschiedlich. Das hängt auch vom Licht ab. Kunst ist ein ästhetischer Ausdruck und wir als Menschen sind damit sozusagen verdrahtet. Wir stehen vor einem Gemälde, einer Skulptur oder einem neuen Design und machen uns Gedanken darüber. Das ist wichtig und beeinflusst uns.

Danke für das Gespräch!


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