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Das Lichtkonzept der Neuen Nationalgalerie Berlin

von Markus Schraml
Neue Nationalgalerie Berlin

Die Neue Nationalgalerie in Berlin, erbaut 1965-68, war eines der letzten Bauwerke Ludwig Mies van der Rohes und gilt als das wohl perfekteste Statement seiner Architektur. Sein „weniger ist mehr“ wird hier als ideale Kombination aus geradlinig eingesetzten modernen Materialien und seinem außergewöhnlichen Sinn für Proportionen und Achtsamkeit für Details umgesetzt. Nach fast 50-jähriger Nutzung musste dieses Wahrzeichen der modernen Architektur ab 2015 umfassend saniert werden. Den Auftrag dafür erhielt David Chipperfield Architects. Das britische Büro hatte sich in der Vergangenheit einen Namen in sensibler Sanierung von Kulturbauten gemacht. Nun konnte die Fertigstellung der Renovierung in Form einer symbolischen Schlüsselübergabe gefeiert werden.

Die Gesamtkosten der Sanierungsmaßnahmen betrugen rund 140 Millionen Euro. Bis das neue Gebäude seine Pforten für Besucher*innen öffnet, dauert es aufgrund der Pandemie noch. Die erste Ausstellung mit Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers Alexander Calder (1898-1976) ist für August 2021 geplant.

Behutsame Wiederinstandsetzung im Sinne Mies van der Rohes

Ziel der bautechnischen Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie war die Behebung akuter Sicherheitsrisiken, Mängel und Schäden. Schwerpunkte bildeten Brandschutzmaßnahmen, die Sanierung der gesamten Gebäudehülle, die Beseitigung der Ursachen des Glasbruchs, die Betonsanierung des Rohbaus und die Erneuerung der Haustechnik. Darüber hinaus musste das Gebäude für die Erfordernisse eines modernen Museumsbetriebs fit gemacht werden, etwa im Hinblick auf Klimatisierung, Sicherheit, Depotfunktionen, Besucherservice und Beleuchtung. In Bezug auf den Zusammenhang von Licht und Raum war letzterer Bereich entscheidend für eine zeitgemäße Aktualisierung. Mit der Lichtplanung wurde Arup, Berlin beauftragt.

Im Interview erklärt Alexander Rotsch, Leiter des europäischen Lichtplanungsteams bei Arup und Projektleiter der Grundinstandsetzung der Beleuchtung der Neuen Nationalgalerie, welche Maßnahmen gesetzt wurden, um das Lichtbild ganz im Sinne Mies van der Rohes zu erhalten – aber mit zeitgemäßen Mitteln und Technologien.

Wie gelingt der Spagat einerseits zu erneuern und gleichzeitig zu bewahren?

Alexander Rotsch: Mit angemessener Hochachtung und Respekt sowie Leidenschaft für die Aufgabe. Bereits vor gut 25 Jahren, im Rahmen meines Studiums an der Bauhaus-Universität in Weimar, habe ich mich intensiv mit der Neuen Nationalgalerie beschäftigt, die aus meiner Sicht den Höhepunkt in Mies van der Rohes Schaffen darstellt. Als wir im Jahr 2012 den Auftrag für die Lichtplanung für uns gewinnen konnten, war das für mich persönlich ein großes Privileg. Denn die Möglichkeit, an so einem bedeutenden Projekt, einem Meilenstein der Architekturgeschichte, mitarbeiten zu dürfen, hat man wahrscheinlich nur einmal im Leben …

Anhand von bauzeitlichem Fotomaterial sowie originalen Planungsunterlagen, Detailzeichnungen, Gesprächsnotizen und Bemusterungsprotokollen, die uns vom Archiv des Museum of Modern Art in New York zur Verfügung gestellt wurden, konnten wir auf bauhistorische Spurensuche gehen und detaillierte Einblicke in Mies van der Rohes ursprüngliches Lichtkonzept der Neuen Nationalgalerie erhalten. Zudem hatten wir mehrmals die wunderbare Gelegenheit, mit Dirk Lohan zu sprechen, dem Enkel von Mies van der Rohe, der als junger Architekt am Entwurf und der Ausführung der Neuen Nationalgalerie mitgewirkt hatte. Das alles hat uns geholfen, ein tiefes Verständnis für die Aufgabe zu entwickeln.

Was ist das Besondere an Mies van der Rohes ursprünglichem Beleuchtungskonzept?

Alexander Rotsch: Mies van der Rohe beschäftigte sich damals intensiv mit den Wechselwirkungen von Licht und Raum. Er ließ sich dabei vom amerikanischen Lichtdesigner Richard Kelly inspirieren. Mit ihm hatte er gemeinsam am Seagram Building in New York gearbeitet. Kelly, ein Pionier der qualitativen Lichtplanung, unterscheidet in seiner Philosophie zwischen drei Qualitäten der Beleuchtung – „Ambient Luminescence“, das Licht zum Sehen, „Focal Glow“, das Licht zum Hinsehen und „Play of Brilliants“, das Licht zum Ansehen. Daraus entwickelte Kelly eine wegweisende Theorie der Architekturbeleuchtung, die auf Erkenntnissen aus der Wahrnehmungspsychologie und Bühnenbeleuchtung basiert und die Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt. Den Ansatz des szenografisch eingesetzten Lichts griff Mies van der Rohe für die Neue Nationalgalerie auf.

Wie wurde dieses Lichtkonzept von van der Rohe konkret umgesetzt?

Alexander Rotsch: Im Erdgeschoss sorgen 784 entblendete Downlights in den 196 Kassettenfeldern der schwarzen Dachkonstruktion für die allgemeine Ausleuchtung und erzeugen bei Dunkelheit das unverkennbare, sich in der Verglasung spiegelnde Deckenbild. Dank der transparenten Fassade verschmelzen so die Grenzen zwischen Kunst- und Stadtraum. Charakteristisch für das Untergeschoss sind die engen Reihungen von rund 1.350 deckenintegrierten Wandflutern. Als Vorbild für diese in Deutschland damals noch weitestgehend unbekannte Art der Beleuchtung dienten unter anderem Darstellungen in dem 1962 veröffentlichten Buch „Architectural Lighting Graphics“ von John Edward Flynn.

Die bündig in die Decke eingebauten Wallwasher, so die englische Bezeichnung, ermöglichen es, die weißen Ausstellungswände in nahezu gleichmäßiges Licht zu tauchen. Der fließende Raum wird durch die flächig beleuchteten, frei angeordneten Wandscheiben betont. Da Mies van der Rohe großen Wert auf ein weiches Auslaufen des Lichts am Übergang zur Decke legte, wurden die Strukturglaslinsen der Wallwasher mit einer Teilsatinierung versehen. Besonders fortschrittlich war auch der modular konzipierte Deckenspiegel im Untergeschoss. Die Leuchtenanordnung ist auf das Raster dieser allgegenwärtigen Moduldecke aus 60 mal 60 Zentimeter großen auswechselbaren Deckenplatten bezogen. Damit sollte eine flexible Anpassung der Beleuchtung auf die jeweilige Ausstellung ermöglicht werden. Im Sinne der modularen Gestaltung hatten alle Leuchten im Untergeschoss denselben Durchmesser und einen matt-schwarzen Abblendkonus.

Was war bei der Modernisierung die größte Herausforderung?

Alexander Rotsch: Die größte Herausforderung bestand darin, unter Berücksichtigung des ursprünglichen Beleuchtungskonzepts eine Lösung zu finden, die die kuratorischen, konservatorischen, funktionalen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen an ein zeitgemäßes Museum erfüllt und gleichzeitig den hohen denkmalpflegerischen und architektonischen Ansprüchen des Gebäudes gerecht wird. Dabei sollte unsere Arbeit möglichst unsichtbar bleiben. Die rund 2.400 Bestandsleuchten mussten behutsam restauriert und in ihrer Position im Deckenspiegel erhalten bleiben. Das Lichtbild der bauzeitlichen Leuchten im Raum und auf den Wänden war ebenso wie die Leuchten selbst schützenswertes Denkmal. Es war eine herausfordernde Aufgabe, die ursprünglich für verschiedene Glühlampentypen der 1960er-Jahre entworfenen Leuchtengehäuse und optischen Komponenten unter Verwendung neuester und für die museale Nutzung geeigneter Lichttechnik so umzurüsten, dass die bauzeitliche Lichtverteilung beibehalten werden konnte, ohne das denkmalgeschützte Erscheinungsbild zu verändern.

Sie haben LED-Leuchten verwendet. Wird dadurch nicht das ursprüngliche Lichtkonzept von Mies van der Rohe beeinträchtigt?

Alexander Rotsch: Nein, denn unser Ziel war es, dass das Licht auch unter Verwendung von LED-Technik nicht anders erscheint und das ursprüngliche Lichtkonzept so weit wie möglich erhalten bleibt. Wie beim Bau in den 1960er-Jahren waren auch dazu zahlreiche Bemusterungen und Labortests erforderlich. Nach Messungen ausgewählter Prototypen verschiedener Hersteller im Labor fand Ende 2018 ein Lichttest unter realen Bedingungen in der benachbarten Gemäldegalerie statt. Ein Gremium aus Auftraggeber, Nutzer, Architekt, Fachplanern, Sachverständigen, Mies van der Rohe-Experten sowie dem Landesdenkmalamt bewertete die Leuchten nach objektiven Kriterien sowie ihrer subjektiven Wahrnehmung. Auch Dirk Lohan war dabei und machte sich ein Bild von der zu erwartenden Lichtqualität. Das Spannungsfeld zwischen denkmalpflegerischer Zielstellung und kuratorischen Ansprüchen zeigte sich besonders beim Thema der Lichtfarbe. Die bauzeitlich verwendeten Glühlampen waren warmtonig, hatten eine Lichtfarbe von ungefähr 2.700 Kelvin. Es wäre durchaus möglich gewesen, dies in LED-Technik umzusetzen. Da sich aber die Sehgewohnheiten innerhalb von 50 Jahren geändert haben, entschieden sich die Museumsvertreter nach intensiver Diskussion und Bemusterung für eine etwas frischer wirkende Lichtfarbe mit einer Farbtemperatur von 3.000 K.

Spielte bei der neuen Beleuchtung auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle?

Alexander Rotsch: Das Circular Economy-Prinzip „Reduce, Reuse, Recycle“ fand hier auf jeden Fall Anwendung. Nachhaltig war sicherlich die Wiederverwendung der bestehenden Leuchtengehäuse und -komponenten, aber auch das Aufräumen des über die Jahre verunklärten Deckenspiegels. Unser Ziel ist es immer, Lichtkonzepte und Beleuchtungslösungen so energieeffizient und nachhaltig wie möglich zu gestalten. Die neue Lichttechnik in der Neuen Nationalgalerie ermöglicht trotz höherer Beleuchtungsniveaus Energieeinsparungen von mehr als 80 % im Vergleich zur ursprünglichen Beleuchtung. Neben der Verwendung effizienter museumstauglicher LED-Technik haben wir die umgerüsteten Leuchten so entworfen, dass die einzelnen nachgerüsteten Komponenten zu Reparatur- und Revisionszwecken möglichst einfach austauschbar sind.

Neue Nationalgalerie Berlin
Alexander Rotsch ist Leiter des europäischen Lichtplanungsteams bei Arup und Projektleiter der Grundinstandsetzung der Beleuchtung der Neuen Nationalgalerie. © Arup, Foto: Ulrich Rossmann

Das Interview wurde von Arup zur Verfügung gestellt.


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