Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Rat für Formgebung, Andrej Kupetz schreibt in einer Kolumne mit dem schönen Titel „Irrläufer der Mobilitätswende“ über das Versagen des E-Roller-Leihmarktes – sowohl aus ökologischer als auch organisatorisch-systematischer Sicht. Kupetz kritisiert das Logistiksystem, bei dem Roller, die keinen E-Saft mehr haben, vom Nutzer, der Nutzerin einfach irgendwo achtlos zurückgelassen und danach von Mitarbeitern der Leihfirma wieder eingesammelt werden. Dieses Einsammeln und wieder Ausliefern zu den touristischen Hotspots passiert mit dieselbetriebenen Transportern. Auf einen E-Scooter würden so an die 50 Transportkilometer kommen. E-Scooter entlasten das Verkehrssystem keineswegs, denn sie werden nicht anstatt des Autos oder Motorrades benutzt, sondern um Strecken zu fahren, die sonst zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Bus oder Bahn zurückgelegt würden.
Das österreichische Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) hat zum Thema E-Scooter und Sicherheit eine Studie durchgeführt, in der für 2019 die Prognose abgeben wird, dass sich mehr als 1.000 Personen bei der Nutzung eines E-Scooters so schwer verletzen werden, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden müssen. Das Interesse in der Bevölkerung an E-Scootern sei groß, gleichzeitig sei das Wissen über Gesetze zur Benutzung gering. So fährt laut den intensiven Beobachtungen von 1.500 E-Scooter-Nutzern jeder 4. E-Scooter-Fahrer auf dem Gehweg, obwohl dies verboten ist, seit im Juni dieses Jahres in Österreich E-Scooter den Fahrrädern gleichgestellt wurden. Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im KFV: „Aus unserer Befragung geht jedoch hervor, dass jeder 5. glaubt, dass die Nutzung des Gehsteigs mit dem E-Scooter erlaubt ist. Hier ist noch viel Bewusstseinsbildung zu leisten – nicht nur im Hinblick auf die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, sondern auch darüber hinaus: So sollten sich zum Beispiel alle E-Scooter Fahrer bewusst sein, dass das Tragen eines Helms unabhängig vom Alter dringend zu empfehlen ist und im Falle eines Unfalles lebensrettend sein kann.“ Ein weiteres Problem sei das Fahren zu zweit, was ebenfalls verboten, strafbar und vor allem extrem gefährlich ist. Tagtäglichen Beobachtungen der formfaktor-Redaktion zufolge sind viele der E-Scooter-Nutzer*innen sehr unsicher unterwegs, vor allem auf Leihrollern. Viele Touristen fahren offensichtlich das erste Mal in ihrem Leben mit einem E-Roller und sind dabei völlig unerfahren und oft auch überfordert.
In einem Artikel des US-amerikanischen Designstudios frog wird das Thema Sicherheit in der Verbreitung von Mikro-Moblität in Städten als zentrales Problem beschrieben, denn viele Notaufnahmen und Krankenhäuser hätten von vermehrten Verletzungen berichtet, die mit E-Scootern in Verbindung stünden. Designbereiche und Entwicklungen wie Geolocation, User Interface und User Experience hätten Mikro-Mobilität im Hinblick auf einfachen Zugang erst möglich gemacht, nun liege es wiederum im Bereich des Designs smartere, sicherere Fahrzeuge zu bauen, die Kommunikation zwischen E-Scootern und anderen Fahrzeugen zu verbessern oder überhaupt erst zu ermöglichen und schließlich die Anpassung des urbanen Raums an veränderte Mobilitätsansprüche vorzunehmen. Als kurzfristige Verbesserung wäre aus Sicht des Autors ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit, eine Reduktion der erlaubten Geschwindigkeit auf maximal 15 km/h.
Andrej Kupetz kritisiert besonders auch das Design der E-Leihroller. Die Modelle, die derzeit in vielen europäischen Städten dahinrasen oder auf den Gehsteigen herumliegen, hätten wohl nie einen Designer gesehen. Robuster Konformität werde laut Kupetz auch nur dem geringsten Gestaltungsanspruch Vorrang gegeben. Aber es geht auch anders, wie der E-Scooter-Kaufmarkt zeigt. In Österreich wurden im Jahr 2018 25.000 E-Scooter verkauft und für 2019 wird eine Zahl von 30.000 vom Verband der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster Österreichs prognostiziert. Darunter gibt es durchaus ansehnlich gestaltete Modelle. Es bleibt der Aufruf an die wenigen großen Leihroller-Anbieter wie Lime, Circ oder Tier, ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Und sind sie nicht willig, so kommt der Gesetzgeber, wie in Paris, wo unlängst das Parken auf Gehwegen verboten wurde. Zuwiderhandlung wird mit einer Geldbuße von 35 Euro geahndet. Fahren auf Gehwegen ist dort bereits länger verboten und wird mit 135 Euro bestraft.