Home Design Das Vertrauen zwischen Designer und Unternehmen

Das Vertrauen zwischen Designer und Unternehmen

von Markus Schraml
Alain Gilles, Bonaldo, Fragility-Exhibition Lyon

Die italienische Designmöbelindustrie lebt von ihrer traditionellen Herstellungsexpertise und von der Kreativität ihrer Designer. Die gute Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Teilen ist ausschlagend für den internationalen Erfolg italienischer Designmöbel. Die Basis dafür ist gegenseitiger Respekt. Dieser kommt durch die unternehmerische Offenheit gegenüber kreativen Vorschlägen, der Vermittlungskompetenz der eigenen Vision und andererseits der Wertschätzung aufseiten der Designer für die handwerkliche Tradition sowie industriellen Errungenschaften der Möbelhersteller zustande. Das gegenseitige Verständnis gewinnt mit der Zeit an Qualität, deshalb existieren viele Kooperationen mit externen Gestaltern bereits über Jahre. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen Bonaldo und dem belgischen Designer Alain Gilles.

Paola Ciribilli ist Marketing und Communications Director bei Bonaldo Spa. Für sie ist Alain Gilles wie ein Botschafter für das Unternehmen, das im Jahr 2000 damit begonnen hatte, externe Designer zu engagieren: „Wir wissen sehr genau, was er für uns machen kann und was wir zusammen erreichen können. Wir haben gemeinsam etwas aufgebaut. Bonaldo hat sich nämlich mit der Zeit stark verändert – im Hinblick auf Stil und Materialien. Dieser Prozess ist eine Evolution, die Zeit braucht. Diese Evolution haben wir gemeinsam mit unseren Designern geschafft. Natürlich gibt das Unternehmen die Richtung vor, aber die Entwicklungen passieren gemeinsam“, sagt Ciribilli.

Neben Gilles erwähnt Ciribilli im FORMFAKTOR-Gespräch auch Mauro Lipparini als wichtigen Partner. Ebenso erhofft sie sich viel von der neuesten Kooperation mit Matteo Nunziati. Der Italiener hat die Nelson-Kollektion für den Schlafbereich entworfen. Damit bringt Bonaldo einen neuen Stil in sein Portfolio. Die typischste Möbelkategorie des Unternehmens ist und bleibt jedoch der Tisch – mit ausdrucksstarken Tischbeinen. Ciribilli bestätigt: „Das liegt wirklich in unserem Kern, ist unsere Leidenschaft und hat auch eine lange Tradition. Wir lieben Tische. Dem liegen auch viele Studien zugrunde, wo wir uns mit dem Thema Tisch und Tischbeinen intensiv beschäftigen.“ Eine der bekanntesten Ikonen ist der „Big Table“ von Alain Gilles, der 2009 den Good Design Award erhielt. Auch der „Geometric Table“ (2020) wurde damit ausgezeichnet.

Im FORMFAKTOR-Interview erläutert Gilles seine Sicht auf den Tisch. „Das Problem mit Tischen ist, dass man Stühle drum herum stellt – unglücklicherweise (lacht). Dadurch wird die Basis verdeckt. Damals, als ich den Big Table designte, machte ich mir keine Gedanken darüber. Für mich war der Tisch als Objekt wichtig. So wird er auch von Bonaldo verkauft. Normalerweise steht er in einem Showroom-Schaufenster und wirkt wie ein Magnet. Es sei wirklich erstaunlich, wird mir erzählt. Beim Geometric Table sind die Beine geradliniger – sichtbarer, weil sie nicht zentral positioniert sind. Die meisten Tischbeine für Bonaldo sind skulptural und verfügen über eine sich verändernde Wahrnehmung. An diesem Thema habe ich mit Bonaldo mehr als mit anderen Unternehmen gearbeitet.“

Strenge Regeln, neue Wege

Apropos Wahrnehmung: Gilles neuste Kreation für Bonaldo ist das Regal „Dogma“, wo es auch um unterschiedliche Wahrnehmungen des Objekts durch die Betrachter geht. Die senkrechten Regalbretter haben die Form eines Wassertropfens, was an die Tischbeine des Geometric Table erinnert. „Wir designten mehrere Elemente so, dass wir ohne viele andere Materialien eine Regalstruktur bilden konnten – auf eine sehr stringente Art und Weise. Deshalb nannte ich es Dogma. Bei diesem Wort geht es darum, einer strikten Regel zu folgen. Die Reduktion der Elemente war diese enge Regel. Wenn man Regeln folgen muss, schränkt das ein, andererseits aber eröffnet es neue Wege (sogar Visionen), weil man genau überlegen muss, wie man Probleme auf andere Art löst. Schließlich kamen wir auf diese wirklich sehr spezielle Form des Regalbretts – einer Wassertropfenform“, erklärt Gilles.

Gerade diese ungewöhnliche Form erlaubt es, aus verschiedenen Perspektiven unterschiedliche Eindrücke zu erzeugen. „Von Anfang an – auch bei anderen Produkten – arbeiteten wir viel an dem Thema Wahrnehmung“, erzählt der Designer. „Die sich verändernde Wahrnehmung, die sich verändernde Persönlichkeit eines Produkts, wenn man um es herumgeht und es aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Mir gefällt dieser sich entwickelnde Charakter eines Produkts. Auf gewisse Art ist es nicht mehr statisch – in visueller Hinsicht.“ Das Regal „Dogma“ ist ein sehr präsentes architektonisches Stück, fast eine Skulptur. Begibt man sich auf die andere Seite, offenbart sich ein völlig anderer Charakter.

Laut Alain Gilles geht es bei „Dogma“ um Architektur, Linien, Öffnungen, das Spiel mit Licht. „Es ist schwierig für mich zu beschreiben, wie sich der Raum zwischen den Elementen je nach Größe und Aufstellungsort verändert“, sagt er. „Das Regal erhält einen anderen Rhythmus. Es ist wie ein Akkordeon, das beim Spielen auseinandergezogen und zusammengeschoben wird. Ich mag diese Veränderungen im Rhythmus“.

Das Vertrauen zwischen Partnern

Dass dieses Regal überhaupt in Produktion geht, ist auf die Langzeitpartnerschaft zwischen Bonaldo und Gilles zurückzuführen. Mit den Jahren hat sich viel Vertrauen aufgebaut, nach Gilles der größte Vorteil von langen Kooperationen.Das Vertrauen, das das Unternehmen in dich hat, das Vertrauen, das Du in das Unternehmen hast. Bei einem Stück wie dem Dogma-Regal können Fragen auftauchen, wie „Verkauft sich das überhaupt“? Aber hier war es so, dass ich argumentierte, dass wir bereits in der Vergangenheit Produkte hatten, wo wir dachten, sie würden sich nicht verkaufen lassen und dann waren sie doch erfolgreich. Ich sagte, probieren wir es doch und Bonaldo sagte: OK.

Lange Partnerschaften führen dazu, dass man die jeweiligen Stärken und Schwächen kennt. Eine von Bonaldos großen Stärken ist die Bearbeitung von Metall. Darin hat das Unternehmen eine lange Tradition. Bei „Dogma“ führt dies zu einer eindrucksvollen Umsetzung der Idee des Designers Alain Gilles.

Und die Zusammenarbeit geht weiter: Mit der Ausstellung „De la fragilité d’une idée à la matérialité“ in Lyon dringen Bonaldo und Alain Gilles in das Reich der Kunst vor. Das Thema der Installation ist der schwierige Prozess, der zur Entstehung eines greifbaren Objekts führt. „Es gibt nur wenige Ideen, die verwirklicht werden, die meisten erreichen nicht einmal die frühen Stadien des Designs“, weiß Gilles. Die Zerbrechlichkeit von Ideen steht auch im Titel der Ausstellung, für die der belgische Designer weiß gestrichene Bonaldo-Objekte mit handgezeichneten Linien bemalt hat. Dadurch erhalten die Stühle und Tische wieder etwas Skizzenhaftes und Filigranes. Über den künstlerisch verfremdeten Objekten schweben die Einzelteile der Möbel. Eine weitere Darstellung von Fragilität. Das Streifenmuster erinnert an die Hole-Kollektion, die Gilles für YO² RUGS entworfen hat.

Die Ausstellung im RBC Lyon Cube Orange läuft im Rahmen der Biennale für zeitgenössische Kunst und kann noch bis zum 18. November besucht werden.


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