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Die Farbwelten des Giulio Ridolfo

von Markus Schraml
Materialsing Colour

Vor annähernd 20 Jahren begann die Zusammenarbeit zwischen Giulio Ridolfo und Kvadrat. Der italienische Designer hat in dieser Zeit eine Reihe von Kollektionen für das dänische Textilunternehmen gestaltet. Nun ist ein Buch im Phaidon-Verlag erschienen, das die Arbeitsweise Ridolfos anhand seiner Reisen in verschiedene Länder, in denen er den jeweiligen Farben in Natur und Kultur nachspürt, veranschaulicht: Beginnend in Ridolfos Heimat im Nordosten Italiens über dänische Landschaften zur Zeit des Mittsommers bis ins ferne Indien, wo der Designer dem Thema „Indigo“ auf den Grund geht. Auf seinen Reisen wurde Ridolfo vom Fotografen Howard Sooley begleitet.

Ridolfos Farben folgen keinen traditionellen Paletten, sondern sind vielmehr Kompositionen, die eine bestimmte Haltung oder eine Entscheidung ausdrücken. Daraus entstehen sehr persönliche Farbzusammenstellungen. Seine Arbeitsmethode folgt einer Art Patchwork, in dem kleine Fragmente der Realität versammelt sind: Bilder, Muster und Texturen. Dabei versucht er immer den „Farb-Schwingungen“ treu zu bleiben und sie in eine verwendbare Farbpalette umzuwandeln, ohne die ursprüngliche Lebendigkeit der Farben zu verlieren. Im formfaktor-Interview spricht Giulio Ridolfo über „Dazwischen“-Farben, das Ignorieren von Regeln und den Verlust der Farbwahrnehmung durch digitale Bildschirme.

formfaktor: Sie sagten einmal, ihre Herangehensweise an Farbe sei „homöopathisch“. Wie ist das gemeint?

Giulio Ridolfo: Nachdem ich immer an einer emotionalen Wahrnehmungsskala arbeite, denke ich, dass Balance oft das Ergebnis langer Übung und einer langen Reise ist. Natürliche Farbtöne sind von sich aus schön. Was ich tun kann, ist durch höhere Pigmentierung oder Konzentration intensive natürliche Farbtöne zu erzeugen – eine Art von Intensität wie in homöopathischen Präparaten. Auf jeden Fall glaube ich, dass es – wenn man an einer Farbskala arbeitet – keine Perfektion gibt, sondern hauptsächlich Anziehungskräfte.

formfaktor: Der Name eines neuen Buches über Ihre Arbeit lautet „Materialising Colour“. Was ist die größte Herausforderung beim Einbringen von Farbe in Textilien?

Giulio Ridolfo: Farbe ist für Kvadrat und für mich unglaublich wichtig. Es ist eine erweiterte kulturelle Perspektive, die tief in meiner Arbeit verankert ist. Die Reisen in diesem Buch beleuchten meine Neugier und mein Experimentieren mit Farbe sowie mein Bestreben, Kontexte zu verstehen und den Farben Bedeutung zu verleihen. Sie zeigen auch die Fertigkeiten, die meiner Vision zugrunde liegen. Für Kvadrat zum Beispiel (Reise nach Dänemark für Steelcut Trio – Anm.) wollte ich eine wärmere südliche Sensibilität in die kühle Klarheit nordischen Designs bringen. Ich wollte tief in den Design- und Herstellungsprozess eindringen, um Textilien zu dekonstruieren, und die Art und Weise neu konfigurieren, wie Farbe in die Struktur des Garns eingebettet ist. Das Ergebnis ist das, was ich als „Dazwischen“-Farben bezeichne. Quecksilbertöne, die die Veränderlichkeit der natürlichen Welt einfangen, aus der sie stammen.

Mit ist bewusst, dass es in Bezug auf Farben kein klares richtig oder falsch gibt. Farbe umfasst ein unendliches Spektrum und das Immaterielle enthält immer einen gewissen Interpretationsspielraum; die nächste Ausnahme von der Regel könnte die perfekte Lösung sein. Manchmal entscheide ich mich, die Regeln zu ignorieren. Ich denke, dass es Geschichte, Wissen und kleine Tricks gibt, die man lernen kann. Der Rest ist Haltung und ein bisschen Geschmack.

formfaktor: Ihre Inspiration ist die Natur. Wie wichtig sind Naturbeobachtungen für Ihre Arbeit?

Giulio Ridolfo: Meine Herangehensweise an Farbe basiert auf einer Verbindung von Natur und dem Physischen sowie der Betonung von Subjektivität und Vorstellungskraft im Unterschied zur objektiven, mechanistischen Herangehensweise von Industriekoloristen. Im Gegensatz zur Immaterialität digitaler Systeme denke ich, dass Farbe fest in Körperlichkeit, Textur und dem Spiel des Lichts verankert ist. Das Reisen ist eine wissenschaftliche und literarische Angelegenheit, die sehr wichtig für meine Arbeit ist. Die Expedition ist von zentraler Bedeutung für die Entdeckungen von Forschern, Botanikern sowie Anthropologen – und auch für mich.

formfaktor: Für ihre Arbeit, die im Buch unter dem Titel „Friaulische Biotope“ beschrieben wird, haben Sie Orte in Ihrer Heimatregion Friaul besucht. Ich nehme an, dass daraus etwas sehr Persönliches entstanden ist.

Giulio Ridolfo: Da ich in einem bäuerlich geprägten Dorf aufgewachsen bin, ist es eine Art Hommage an meinen Geburtsort sowie die Landschaften und Biotope aus meiner Kindheit. Der Herbst gab uns die immense Möglichkeit, Berge, Hügel, Ebenen und Dörfer zu einer Zeit zu besuchen, in der die schönste Vegetation sprießt. Ich denke gerade eben an die Sommerferien zurück, drei Monate von Juni bis September. Das schöne Steinhaus, Aufwachen unter einem strahlend blauen Himmel und ich als freudvoller Entomologe, der nach schlafenden Nachtmotten in den Steinmauern sucht. Durch das tiefe Eintauchen in die lokale Natur entstehen großartige Momente des Lernens durch Beobachten.

formfaktor: Eine Ihrer Reisen führte Sie nach Indien. Wie sehen Sie dieses Land in Bezug auf seine Farben?

Giulio Ridolfo: Indien war für mich immer wie ein Ensemble aus schwingenden Farben. Es ist eine Mischung aus Liturgie und stillem Bewusstsein im Alltag. Diese Reise war für mich die Gelegenheit, meine Augen zu „reinigen“ – von der Hyper-Allegorie und der überbordenden Liebe zu Farben, die überall auf dem Subkontinent zu beobachten ist. Es war ein Moment des Abtauchens in die tiefsten Farbtöne der Seele. Fiore colore amore (etwa Blumenfarbe Liebe – Anm.) – ein italienischer Reim. Alles muss blau sein. Das war Teil eines Dialoges, den ich in einer Sendung gehört habe. Ich fand das sehr poetisch. Hellblau, Nachtblau, Freskenblau – Blau hat eine Art mystische Anziehungskraft. Blau passt unglaublich gut zu sattem Braun. Indigo-Blau ist so toll, wenn es mit blauen tibetischen Mohnblumen oder Ritterspornblüten kombiniert wird. Transparent, ätherisch, nie – oder sehr selten – langweilig. A Kind of Blue von Miles Davis.

formfaktor: Wie sehen Sie das Verhältnis von Handwerk und Industrieproduktion in Bezug auf Farben?

Giulio Ridolfo: Ich bin eine Person hinter der Bühne, ich trage bei. Ich möchte industriellen Prozessen „Handwerk“ hinzufügen. Ich finde es schön, dass einige meiner Textilien und Farben weichen Möbeln eine schöne Form und ein schönes Volumen verleihen. Das ist ja der Hauptteil und Hauptnutzen meiner Arbeit. Diese schöne Fülle, wie sie bei Industrieproduktion vorkommen kann, ist immer das Ergebnis von Nutzen und kluger Nachhaltigkeit.

Im ersten Schritt arbeite ich meistens alleine, dann mit Technikern, Handwerkern und Schneidern. Es ist Teamarbeit, wo Know-how und Wissen zusammenkommen. Bei Kvadrat gibt es ein wunderbares Team von Kreativen und Technikern, die zusammen mit Leuten wie mir die Prozesse leiten. Ich bin kein Weber, aber ich weiß oder kann mir gut vorstellen, was ich erreichen möchte.

formfaktor: Wir leben in einer digitalen Welt und alle starren immerzu auf ihre Smartphones, scheint es. Wie beeinflusst das unsere Wahrnehmung von Farbe?

Giulio Ridolfo: Ich behaupte, dass es keine Farbe ohne Material gibt. Und in einer Welt, in der das sanfte, gesättigte Leuchten körperloser Farben auf Bildschirmen die nuancierten Schattierungen und Texturen aus der Natur verdrängt hat, verlieren wir die Verbindung zur Farbe.

Manchmal entscheide ich mich, die Regeln zu ignorieren

Giulio Ridolfo

formfaktor: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Welt der Farben. Was waren dabei Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus heutiger Sicht?

Giulio Ridolfo: Vielleicht sind es diese bestimmten Schwingungen, die zwei oder mehr Farbtöne zusammen erzeugen können. Mich fasziniert, wenn ich Purpur und Himmelblau zusammen sehe, Blau und sattes Braun, lebhaftes Grün und leuchtendes Rot. Es ist ein Teil unserer Emotionen. Oder genauer gesagt – wenn ich zum Beispiel einen schönen neutralen Farbton mit einem Highlight verstärken möchte, mache ich das über die Konstruktion von Dreier-Tönen. Manche sind neutral, andere hell und lebendig. Jede Farbe besteht aus drei verschiedenen Nuancen.

formfaktor: Was ist Ihrer Meinung nach heutzutage die Hauptaufgabe eines Koloristen oder Farbenkünstlers?

Giulio Ridolfo: Die Rolle eines Koloristen ist außerhalb der Design- und Modewelt wenig bekannt. Und dennoch ist Farbe eine der greifbarsten und emotionalsten Arten, wir wir uns mit unserer Umgebung und den Objekten und Artefakten, die unser Leben bestimmen, verbinden und sie verstehen. Es gibt alternative Farbansätze zu den immer einheitlicheren Markenschemata und standardisierten Schattierungen der industriellen Produktion. Farbe kann sensibler auf die Kultur und lokale Orte in einem globalen Kontext abgestimmt werden und eine intrinsische Verbindung herstellen, zu dem Wo und Wie wir wohnen, zur Gemeinschaft, Umwelt, Überzeugungen, Ökologie oder Klima.

formfaktor: Sie beschäftigen sich mit Gärten. Rein theoretisch oder auch praktisch?

Giulio Ridolfo: Ich denke gerade darüber nach, mehr über Gartenarbeit zu lernen. Nach der derzeit herrschenden Unsicherheit, würde ich gerne eine Zeit lang als Freiwilliger im Garten von Great Dixter in England arbeiten.


Giulio Ridolfo

Geboren in Udine im Jahr 1962 studierte Giulio Ridolfo an der Domus Academy in Mailand, wo er 1985 mit einem Master in Modedesign abschloss. Viele Jahre arbeitete er als Textil- und Farbberater in der Bekleidungs-, Schuh- und Innenausstattungsindustrie – unter anderem für Moroso, Vitra, Fritz Hansen, Camper, Schiavello Melbourne und den Salone del Mobile. Seit 2004 erstellt Ridolfo für Kvadrat Farb-Settings und designt Stoffe. Er war der erste Italiener im Designteam von Kvadrat und seine Arbeit hat dem Unternehmen eine völlig neue Perspektive im Hinblick auf Farbkompositionen eröffnet.

Anders Byriel (CEO Kvadrat) schreibt im Vorwort des neuen Buches: Wenn Giulio in unser Designstudio in Ebeltoft kommt, bin ich immer erstaunt, mit welcher Präzision dieser Farbenkünstler arbeitet: Es ist ein sorgfältiger Prozess, in dem 200 Grüntöne bei unterschiedlichem Licht, zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten, innen und außen getestet werden, um sie schließlich auf nur zwanzig zu reduzieren. Im Unterschied zu der heute im Design üblichen eher normativen Herangehensweise an Farben, ist diese Vision von einem enormen Reichtum und einer Komplexität geprägt. Giulios Einfluss bei Kvadrat ist weitreichend.

Materialising Colour

Materialising Colour. Journeys with Giulio Ridolfo. Hrsg.: Jane Withers. Gebunden, 29 x 22 cm, 288 S., 250 farbige Abb., englisch, ISBN: 978 1 8386 6070 3, Verlag: Phaidon

 


Ein Film von Howard Sooley über die Reisen von Giulio Ridolfo


 

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