Dass Frauen nur selten in Männerdomänen vordringen, hat systemimmanente Gründe. Patriarchale Unternehmenskulturen, die sich zum Teil über Jahrhunderte aufgebaut haben, stellen oft unüberwindliche Barrieren dar. Ein in dieser Hinsicht besonders krasses Beispiel ist die Architekturbranche. Obwohl der Frauenanteil im Architekturstudium sogar überwiegt, finden sich in der Architekturpraxis kaum Frauen an der Spitze. In einer Studie der TU München aus dem Jahr 2018 heißt es: „Bei den Top 20 der Architekturbüros in Deutschland im Jahr 2017 ist kein Büro dabei, das allein von einer Frau oder einem Team aus Frauen geführt wird. Gleichzeitig liegt das Einkommen von in Vollzeit angestellten Architektinnen knapp 30 % unter dem ihrer männlichen Kollegen.“ (Studie: Frauen in der Architektur. Prof. Hermann Kaufmann, Prof. Dr. Susanne Ihsen, Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky)
Eine der Ursachen für dieses Missverhältnis sind nach wie vor traditionelle Rollenbilder. Selbst im 21. Jahrhundert wird Frauen immer noch die Sphäre des Hauses sowie der Reproduktion zugeschrieben und Männern der Bereich der Erwerbstätigkeit, die außerhalb stattfindet. Diese Einstellung hat sich zwar an den Rändern verschoben und in bestimmten Branchen aufgeweicht, aber im Kern ist sie gleich geblieben. Das führt wiederum direkt zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um die es in der Architektur besonders schlecht bestellt ist. In vielen europäischen Ländern gelang es bisher nicht, Kinderbetreuungseinrichtungen in einem erforderlichen Maß auszubauen und zu einem gesellschaftlichen Fixpunkt zu machen. Sofern dies überhaupt gewollt ist.
Manifest für Frauen in der Architektur
Und dennoch – es gibt sie. Frauen in der Architektur. Damit aber das Wissen darüber nicht bei Zaha Hadid endet, sind Publicity-Maßnahmen notwendig, die die großartigen Leistungen von Architektinnen bekannter machen. Ganz in diesem Sinne ist bei Hatje Cantz ein schöner Band unter dem Titel „Frauen in der Architektur“ erschienen. 36 international tätige Architektinnen kommen darin zu Wort und stellen eines ihrer Projekte vor. Daraus entsteht ein vielfältiges Panorama des weiblichen Architekturschaffens. Ergänzt wird es von Essays zu Pionierinnen der Architektur und Analysen, die der strukturellen Diskriminierung von Architektinnen auf den Grund gehen. Zu den bedeutendsten Vorbildern für die jüngere Generation von Architekt*innen gehören Emilie Winkelmann mit dem Leistikowhaus in Berlin, Eileen Gray und ihr E.1027 in Roquebrune-Cap-Martin, Lina Bo Bardi mit ihrer Casa de Vidro in São Paulo und natürlich Zaha Hadid.
Architektur ist nicht mehr nur eine Welt der Männer. Die Vorstellung, dass Frauen nicht dreidimensional denken können, ist lächerlich.
Zaha Hadid, 2013
Folgende Architektinnen sind in diesem Buch mit einem Projekt vertreten: Mona Bayr, Odile Decq, Elke Delugan-Meissl, Julie Eizenberg, Manuelle Gautrand, Annette Gigon, Silvia Gmür, Cristina Guedes, Melkan Gürsel, Itsuko Hasegawa, Anna Heringer, Fabienne Hoelzel, Helle Juul, Karla Kowalski, Anupama Kundoo, Anne Lacaton, Regine Leibinger, Lu Wenyu, Dorte Mandrup, Rozana Montiel, Kathrin Moore, Farshid Moussavi, Carme Pinós, Nili Portugali, Paula Santos, Kazuyo Sejima, Annabelle Selldorf, Pavitra Sriprakash, Siv Helene Stangeland, Brigitte Sunder-Plassmann, Lene Tranberg, Billie Tsien, Elisa Valero, Natalie de Vries, Andrea Wandel und Helena Weber.
„Frauen in der Architektur“ ist ein Manifest für Architektinnen, das sowohl auf die Geschichte der Frau in diesem männlich dominierten Tätigkeitsfeld eingeht, als auch zeitgenössische Vertreterinnen ausführlich zu Wort kommen lässt.
Frauen in der Architektur. Rückblicke, Positionen, Aussichten. Hrsg. Ursula Schwitalla, Vorwort: Odile Decq, Text(e): Dirk Boll, Sol Camacho, Beatriz Colomina, Patrik Schumacher, Ursula Schwitalla, Ernst Seidl, Hardcover, 24 x 30 cm, 216 S., 330 Abb., Deutsch, ISBN 978-3-7757-4868-1