Warum sehen Autos aus früheren Jahrzehnten – sagen wir bis zum Ende der 1970er Jahre – auch heute noch gut aus, während spätere Jahrgänge für das Auge des zeitgenössischen Betrachters belanglos bis hässlich wirken? Es liegt natürlich an der Gestaltung der äußeren Form, die nicht nur Autoliebhaber*innen an Classic Cars so faszinierend finden. Außerdem gibt es derzeit einen enorm starken Retrotrend, wo im Blick zurück fast nur Schönes entdeckt wird. Es bleibt also die Frage: Warum wird kaum ein Modell der letzten 30 Jahre den Status eines Oldtimers erreichen? Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Palette schwankt hier zwischen supermodern (= bald unmodern) und so unaufgeregt belanglos, dass das Fahrzeug nahezu aus dem Straßenbild verschwindet. Beides sieht nach kürzester Zeit einfach alt aus – und zwar ohne zusätzliches positives Adjektiv, wie etwa alt und gut. Wann haben die Gestalter von Karosserien damit aufgehört, Designs mit längeren Halbwertszeiten als nur ein paar flüchtige Jahre zu entwickeln? Und warum? Der Designhund liegt wohl in der rasant fortschreitenden Technologie und den überbordenden Regularien begraben. Oder ist es der Zeitgeist, der, zumindest in der Autobranche, gewagtem und gleichzeitig zeitbeständigem Design den Garaus macht?
Faszinierendes Design ohne Ablaufdatum
Ein Blick auf den Volvo 164 reicht, um sich des gewissen etwas dieses Automobils gewahr zu werden. Kaum jemand, der hier nicht ausrufen würde „ein schönes Auto“. Dieses Fahrzeug steht für ein Design, das zugleich gewagt und edel ist. Dieser Klassiker wurde von 1968 bis 1975 gebaut und war vorrangig für den US-amerikanischen Markt bestimmt. Der schwedische Autobauer feiert somit das 50-jährige Jubiläum dieses damaligen Spitzenmodells, das auch nach einem halben Jahrhundert noch und umso mehr zu faszinieren weiß. Chefdesigner Jan Wilsgaard kombinierte das Chassis des Volvo 140 mit dem Frontdesign des Prototyps P358 aus den 50er Jahren. Dabei musste das Chassis ab der Windschutzscheibe um zehn Zentimeter verlängert werden, damit der neu entwickelte, leistungsstarke Sechszylinder-Motor (107 kW – 145 PS) Platz hatte. Ein Glücksfall, denn durch die längere Front wirkt die Oberklasse-Limousine noch repräsentativer.
Dem Marktsegment entsprechend setzte Volvo in puncto Innenausstattung auf Hochwertigkeit: Sitze mit dickem Wollstoff bezogen, textile Fußmatten und zwei Einzelsitze im Fond mit klappbarer Mittelarmlehne. Im zweiten Produktionsjahr wurde die Serienausstattung mit Ledersitzen, Kopfstützen und in die Frontmaske integrierte Halogen-Zusatzscheinwerfer erweitert. Für den amerikanischen Markt, der in Sachen Komfort sehr viel anspruchsvoller war als Europa, gab es zusätzlich elektrische Fensterheber, getönte Scheiben, ein elektrisches Schiebedach und eine Klimaanlage. Übrigens wurde die komplette Produktion des letzten Modelljahres 1975 in die USA exportiert.
Der Volvo 164 ist ein gutes Beispiel für Design, das – mit oder ohne Retrotrend – auch 50 Jahre nach seiner Entstehung visuell positiv aufgenommen wird. Nicht umsonst gilt dieses Fahrzeug als Höhepunkt im Designschaffen von Jan Wilsgaard, der immerhin 40 Jahre lang das Design von Volvo-Modellen entscheidend mitbestimmt hat. Schön zu sehen, dass Volvo heute nicht nur auf das Thema Sicherheit setzt, sondern seit der Präsentation des XC90 und zuletzt mit dem Polestar 1 auch in die Reihe der Hersteller avanciert ist, die das zeitgenössische Automobildesign am positivsten prägen. Der damit verbundene wirtschaftliche Erfolg sei den Schweden gegönnt.
Fotos © Volvo Cars Group