Home Architecture In Zukunft bauen wir mit Holz – im Großformat

In Zukunft bauen wir mit Holz – im Großformat

von Markus Schraml
Henning Larsen, Fælledby - Vejlands Kvarteret

„Bei allen technischen Fortschritten bezüglich Bauweisen und Materialien im letzten Jahrhundert bleibt Holz das praktikabelste Material. Holzkonstruktionen aus vorgefertigten Paneelen sind unschlagbar schnell und einfach zu bauen“, ist in einem Blogbeitrag des dänischen Architekturbüros Henning Larsen zu lesen. Dass sich Holz seit Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut und sogar in großformatigen Bauwerken und mehrstöckigen Gebäuden eingesetzt wird, hat mehrere Gründe. Vier davon führen die dänischen Architekt*innen an: Nachhaltigkeit, Effizienz, Sicherheit und Schönheit. Holz und andere organische Materialien können Kohlendioxid speichern und weisen deshalb eine negative CO2-Bilanz auf – auch nach Berücksichtigung des Energieverbrauchs bei der Verarbeitung. Aus nachhaltiger Forstwirtschaft gewonnenes Holz (FSC oder PEFC-zertifiziert) ist auch das einzige wichtige Baumaterial, das vollständig erneuerbar ist. Weltweit gäbe es genug Holz, um eine sehr viele höhere Nachfrage als heute zu bedienen. Dass Bauen mit Holz unsicher (Feuer) und teuer sei, verweisen die Architekt*innen von Henning Larsen in den Bereich der Mythen. Auch die Meinung, dass Holz ein zu fragiles Material sei, um damit großformatig zu bauen, sei falsch. Dieser Ansicht ist naturgemäß auch Georg Binder, Geschäftsführer von proHolz Austria, der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Holzwirtschaft. „Noch um die Jahrtausendwende war es kaum vorstellbar, mit Holz über 20 Stockwerk hohe Hochhäuser wie beispielsweise das HoHo in Wien zu errichten. Heute gibt es fast wöchentlich über ein neues Projekt in Hochhaus-Dimensionen zu berichten“, weiß Binder.

In Österreich stieg der Holzbauanteil in den letzten 20 Jahren von 14 auf 24 %, in Deutschland liegt er im Wohnbau bei 18 %, in Frankreich bei 6 %, in Italien bei rund 7 %. Ganz anders ist die Situation etwa in Norwegen, wo das Holzhaus eine lange Tradition hat. Dort werden im Schnitt 80 % der Einfamilienhäuser in Holz gebaut. Den entscheidenden Fortschritt für den modernen Holzbau hierzulande brachte die Entwicklung von stab- zu flächenförmigen Produkten für Wand- und Deckenelemente bis hin zu 3D-Modulen. Brettsperrholz (CLT) ermöglicht industrielles Bauen mit Holz, wobei Verbindungen und Montage einfach, rasch und kostengünstig sind. Mit der Sortimentserweiterung um CLT hat beispielsweise die Pfeifer Group, ein Komplettanbieter im Bereich konstruktiver Holzbaustoffe mit Hauptsitz in Tirol bereits auf den anhaltenden Boom im Holzbau reagiert. Seit 2019 produziert die Gruppe im neuen Werk in Schlitz (Hessen) Brettsperrholz aus 100 % Fichtenholz. „Im ersten vollen Produktionsjahr 2020 verlassen voraussichtlich 30.000 m³ CLT unsere Werkshallen. Die zweite Ausbaustufe läuft, um bereits 2021 die Produktionskapazitäten zu verdoppeln“, sagt Michael Pfeifer, CEO der Pfeifer Group.

Rekord-Dachkonstruktion aus Holz

Ebenfalls in Tirol entsteht derzeit eine rekordverdächtige Dachkonstruktion für das Handl Gastro Service. ATP Innsbruck hat eine riesige Holz-Decke über einem Teil des Verkaufs- und Gastronomiebereichs des Fleisch- und Wurstspezialisten geplant. Mit einer Fläche von 650 m² stellt sie nicht nur die bisher weltweit größte punktgestützte Brettsperrholz-Platte dar, sondern kommt auch mit extrem wenigen Stützen in einem Raster von 7 x 7 Metern aus. Und dies ohne Unter- oder Überzug. Das heißt, ohne die üblicherweise im Holzbau zur Stützung eingesetzten Holzbalken. Entstanden ist das Dach in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Rothoblaas Srl und der Schweizer Timber Structures 3.0 AG sowie der Universität Innsbruck. Für die Errichtung der Decke wurde die von Timber Structures 3.0 entwickelte TS3-Technologie eingesetzt. Das ist eine spezielle Vergusstechnik, die die biegesteife Verbindung einzelner Holzplatten und somit die Überspannung eines Raumes mit großer Fläche möglich macht. Für Dachkonstruktionen wird Holz damit zu einer wirklichen Alternative zu Stahlbeton. Als Verbindung zwischen Holzstützen und Brettsperrholzplatte wurde auf den von Rothoblaas in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck entwickelten „Spider Connector“ zurückgegriffen. Dieses neuartige Verbindungs- und Verstärkungssystem überträgt bis zu 5.000 kN vertikale Kraft und macht es möglich, Holzstützen in größeren Abständen zu platzieren.

ATP Innsbruck hat eine riesige Holz-Decke über einem Teil des Verkaufs- und Gastronomiebereichs von Handl Gastro Service geplant. Mit einer Fläche von 650 m² ist sie die weltweit größte punktgestützte Brettsperrholz-Platte. © ATP

Hoch hinaus – aber nachhaltig

Dass Bauen mit Holz immer stärkere Anwendung findet, beweist auch der Sieger des diesjährigen Deutschen Nachhaltigkeitspreises Architektur. Das SKAIO in Heilbronn von Kaden + Lager ist mit zehn Geschossen und einer Höhe von 34 Metern das erste und bis heute höchste Holzhochhaus in Deutschland. Das Gebäude entstand im Rahmen der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn und ist Teil eines umfassenden Konzepts zukunftsfähiger Stadtentwicklung. Es verfolgt unter anderem das Ziel, die Grenzen des Machbaren im Holzbau auszuloten. Die Fassade wurde mit vorgehängten, hinterlüfteten Aluminiumelementen verkleidet – konsequent wurden so Fragen der Rückbaubarkeit aufgegriffen. Das SKAIO wurde mit einem DGNB-Zertifikat in Gold sowie einem „DGNB Diamant“ ausgezeichnet.

Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur für SKAIO von Kaden + Lager. © Kaden + Lager, Foto: Tobias D. Kern

Holzbau in Berlin-Brandenburg

Auf Initiative des Natural Building Labs der TU Berlin und der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz entstand 2020 der Holzbau Atlas Berlin-Brandenburg. Das ist die erste digitale Plattform für innovative Holzbauprojekte in der Metropolregion Berlin-Brandenburg. Derzeit werden dort rund 60 zeitgenössische und historische Projekte präsentiert. Zum Beispiel das bercahhaus in Berlin-Neukölln, das erste mit hohem Vorfertigungsgrad gebaute fünfstöckige Haus in Berlin. In dieser typischen Lückenbebauung kombinieren c-b-a Architects verschiedene Bauweisen: Holzmassivbau, Holzmodulbau, Holzrahmenbau, Holzskelettbau, Holz-Hybridbau und Stahlbeton mit Holzfassade. Die Treppe und Fundamentplatten bestehen aus vorgefertigten Betonelementen, während im Hauptgebäude eine holztechnische Konstruktion verwendet wurde. Die Architekt*innen betonen bei diesem Projekt immer wieder den hohen Vorfertigungsgrad des verwendeten Holzes. Generell sehen Experten das Thema Vorfertigung als zentral für die Zukunft des Holzbaus. Das beschleunigt die Arbeit vor Ort enorm. Gleichzeitig kann die Herstellung der Teile wetterunabhängig voranschreiten. So konnte das „Umweltbildungszentrum Britzer Garten“ des österreichischen Büros HK Architekten aufgrund der Vorfertigung innerhalb von nur zwei Tagen regendicht errichtet werden. Der 270 m² große Pavillon besteht aus 9 x 4 Meter großen Boden- und Deckenelementen, die in den Ecken auf Stützen aufliegen. Ausgedämmte Stahlbeton-Fundamentstreifen tragen den Boden, die Decke ist hinterlüftet, das Dach begrünt. Neben der Verwendung von Holz wird das ressourcenschonende Konzept durch eine Luft-Wärmepumpe sowie die Anhebung des Gebäudes um 75 cm unterstützt. Die Besonderheit des Innenraums ist seine individuelle Konfigurierbarkeit. Durch den Einsatz von Faltwänden lässt sich die Raumgröße anpassen. Bei entsprechenden Veranstaltungen können alle Faltwände geöffnet werden, sodass ein großer Raum entsteht.

Ein Beispiel für eine gelungene Hybridkonstruktion aus Holz und Beton steht im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Im Gewerbeprojekt „Remise Immanuelkirchstraße“ von Jan Wiese Architekten und Ralf Wilkening wurden die tragenden Wände vor Ort aus Sichtbeton gefertigt, während alle Decken des Hauses als Holz-Betonverbundkonstruktion ausgeführt sind. Die vorgefertigten Deckenträger aus Kiefernholz wurden in die Aussparungen der Betonwände eingelegt und mit einer Platte versehen, auf die eine Betonschicht aufgetragen wurde. In dem im Frühjahr 2020 fertiggestellten Gebäude bleibt die markante Deckenkonstruktion im Innenraum sichtbar. Das passt gut zur gerasterten Fassade aus Lärchenholz und den zarten Metallgeländern der französischen Balkone.

Stadtentwicklung in Holz

Aber nicht nur einzelne Gebäude werden vermehrt aus Holz gebaut, ganze Stadtteile sollen in Zukunft aus diesem nachhaltigen Material errichtet werden. Zumindest wenn es nach Henning Larsen geht. Das dänische Architekturbüro hat mit dem Fælledby – Vejlands Kvarteret (Quartier) einen Masterplan für ein Gelände in Kopenhagen entwickelt, wo letztendlich 7000 Bewohner*innen eine naturnahe Heimat finden sollen. Alle Gebäude werden dort aus Holz gebaut, wobei der Plan vorsieht, auch Vogelhäuser und andere Lebensräume für Tiere in die Fassaden zu integrieren. „Die Entscheidung, die natürliche Landschaft in Fælledby mitzubauen, kommt aus dem Wunsch, eine Balance zwischen Mensch und Natur herzustellen“, sagt Signe Kongebor, Partner bei Henning Larsen zum Konzept. „Das bedeutet, dass dieser neue Bezirk der erste in Kopenhagen sein wird, der vollständig in Holz gebaut wird und der natürliche Lebensräume enthält, um das Wachstum von Pflanzen und Tieren zu fördern. Mit dem ländlichen Dorf als Archetyp schaffen wir eine Stadt, in der Biodiversität und aktive Erholung einen nachhaltigen Pakt zwischen Mensch und Natur definieren.“ Das Quartier, das auf einer ehemaligen Mülldeponie entsteht, ist nur eines von vielen Projekten in Skandinavien, das auf das Bauen mit Holz setzt. Die Region erlebt gerade einen Aufschwung des Holzbaus bei Großprojekten und möchte eine globale Vorreiterrolle einnehmen.

Innovation, Reduktion, Performance

Vor dem Hintergrund der Umweltbelastungen, die jährlich durch den Bausektor mit Millionen Tonnen an Bauabfällen und der massiven Ausbeutung fossiler Ressourcen entstehen, rückt die Wiederentdeckung von Bauen mit Holz also verstärkt in den Fokus. Es gilt allerdings den Materialeinsatz so effizient wie möglich zu gestalten – bei gleichzeitiger Verbesserung der technischen Leistungsfähigkeit: „Mehr zu bauen mit weniger Holz im Produkt, so lautet der Auftrag zur Findung neuer Werkstoffe“, sagt Georg Binder von proHolz Austria. Die Kapazitäten für eine weit höhere Nachfrage seien vorhanden, sowohl im Hinblick auf die Ressource Holz als auch moderne Produktionsmethoden in der Vorfertigung. Bereits jetzt vermeiden zum Beispiel in Österreich aus österreichischem Holz hergestellte Produkte jährlich acht Millionen Tonnen CO2, wie es in der Studie „CareforParis“ von Umweltbundesamt, BOKU Wien und Bundesforschungszentrum für Wald heißt. Das entspricht 10 % der gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen in Österreich oder dem CO2-Jahresausstoß aller zugelassenen Pkws in Österreich. Noch mehr mit Holz zu bauen, würde sich also vor allem in ökologischer Hinsicht bezahlt machen. Auch in puncto Performance des Materials Holz spricht nichts dagegen, es im mehrgeschossigen Wohnbau oder bei öffentlichen Bauprojekten einzusetzen.


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