Home Design Objekte mit Seele – Felicia Ferrone hinterfragt Archetypen

Objekte mit Seele – Felicia Ferrone hinterfragt Archetypen

von Markus Schraml
Felicia Ferrone, Milano

Die US-amerikanische Architektin, Designerin, Unternehmerin und Professorin Felicia Ferrone gründete ihre Marke fferrone im Jahr 2010 in Chicago. Bereits neun Jahre früher hatte sie mit ihrer ersten Gläser-Kollektion „Revolution“ Erfolg. Dafür verwendete sie erstmals Borosilikatglas für Gläser. 2013 entwickelte sie diesen Ansatz weiter und führte mit der „Margot“-Kollektion geriffeltes Borosilikatglas für Glaswaren ein. 2018 gründete Ferrone eine Außenstelle ihres Unternehmens in Mailand. In der norditalienischen Metropole fand nun auch ihre erste Einzelausstellung statt. Unter dem Titel „STILL NOW. The Dinner“ bereitete sie ein visuelles Fest und wählte dafür das Ambiente der Villa Mirabello, ein bauhistorisches Juwel aus dem 15. Jahrhundert.

Mit der Installation, die im Rahmen der Mailänder Designwoche zu sehen war, präsentierte Ferrone sowohl ihre ikonischen Gläser, die gerne in Sci-Fi-Filmen wie Oblivion (Tom Cruise) oder TV-Serien wie Andor (Star Wars) eingesetzt werden, als auch einen langen Esstisch, der ganz in ultramarines Blau getaucht war. Dieses besondere Blau überzieht Alltagsobjekte aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Ferrone auf Flohmärkten und Secondhandläden entdeckt hat. Der starke Kontrast zur matten Struktur des „Bezugsstoffes“ hebt die Gläser in der Inszenierung hervor. Sie erhalten dadurch einen besonderen Glanz. Zudem wurden Fotografien von Jonathan Allen gezeigt, die unter dem Titel „Ultramarinus: Memories of the future“ dieses monochrome Thema aufgreifen und daraus beeindruckende Stillleben machen. Reminiszenzen an Gemälde aus dem 17. Jahrhundert.

Im FORMFAKTOR-Exklusivinterview spricht Felicia Ferrone über die emotionale Kraft von Objekten, über das Infragestellen von Archetypen und das Durcheinander in der zeitlichen Einordnung, wenn Historisches und Zeitgenössisches zusammenkommt.


FORMFAKTOR: In der Ausstellung STILL NOW. The Dinner sind alle ihre Kollektionen in einer langen Reihe aufgestellt. Warum?

Felicia Ferrone: Es war mir wichtig, meine Arbeiten, die seit 2001 entstanden sind, chronologisch zu zeigen, fast wie in einem Museum, um klarzumachen, wie sich meine Kollektionen entwickelt haben. Wie ich die Form, die Archetypen vorangetrieben habe, aber auch kunsthandwerkliche Methoden infrage stellte in diesem Entwicklungsprozess. Als meine gesamte Arbeit in einer Linie aufgereiht war, wurde selbst mir einiges klarer. Ich kenne meine Kollektionen natürlich, aber ich habe sie nie der Reihe nach aufgestellt. Dadurch sehe ich jetzt, wie eine Sache zur nächsten führte.

Die „Revolution“-Kollektion aus dem Jahr 2001. Die beidseitige Funktionalität des Designs wurde von einem intensiven Abend mit Freunden beim Essen und Trinken inspiriert. © fferrone

FORMFAKTOR: Im Zentrum der Ausstellung inszenieren Sie einen in Blau getauchten Esstisch. Was steckt dahinter?

Felicia Ferrone: Blau besitzt so viel Energie und diese Arbeit erlaubte es mir, in die Farbe Blau tief einzutauchen. Dieser Blauton und meine Gläser unterstützen sich gegenseitig sehr gut.

FORMFAKTOR: Aus welchem Material besteht dieser blaue Überzug?

Felicia Ferrone: Es nennt sich Beflockung und wird in einem zweiteiligen Prozess hergestellt. Zuerst malt man die Farbe, dann trägt man Fasern auf, die sehr sehr fein sind. Wenn es dann trocknet, wird es zu einer festen Oberfläche. Es bekommt eine wunderbare Textur und ist sehr matt. Diese Mattheit steht im Kontrast zum Glas.

FORMFAKTOR: Genau dieses Blau zeigt sich auch in einer Serie von Fotos von Jonathan Allen, die ebenfalls Teil der Ausstellung sind.

Felicia Ferrone: Ich habe zum Thema „Tische und berühmte Kunstwerke“ geforscht. Dabei stieß ich auch auf Stillleben des 17. Jahrhunderts. Einige davon hatten ein einziges Glas im Zentrum mit einer Reihe von Objekten drumherum, die jenen ähnelten, die ich gesammelt hatte. Ähnlich im Hinblick auf die Form. Ich erkannte, dass ich eine Serie von Stillleben machen könnte. Zu diesem Zweck holte ich unseren Fotografen dazu und so entstand diese dreigeteilte Ausstellung: die Fotos, meine Glaskollektionen und der Esstisch.

Stillleben, fotografiert von Jonathan Allen. Der Kontrast von mattem Ultramarinblau und Gläsern, hebt diese hervor. Wobei – auch der blaue Überzeug scheint ein bisschen zu funkeln. © Jonathan Allen

FORMFAKTOR: Warum haben Sie alte Objekte verwendet und nicht neue?

Felicia Ferrone: Weil sie einfach nicht interessant sind, sondern sehr langweilig. Es gibt eine Menge Objekte in der Vergangenheit, deren Designer wir nicht kennen und wo die Herstellerbetriebe nicht berühmt sind. Sie sind aber wundervoll designt und besitzen eine Seele. Ich denke, das fehlt heute vielfach. Es gibt hochklassiges Design wie etwa von Achille Castiglioni und es gibt Dekoratives. Und dann gibt es Dinge, die irgendwo in der Mitte liegen, aber eine Seele besitzen. Auf meinem Esstisch finden sich Objekte, die wirklich zu mir gesprochen haben. Sie sind speziell wie ein Türdrücker, der völlig neu gedacht wurde. Heute fehlt mir diese Art von Erforschung des Unerwarteten.

Foto der Installation: Die Ausstrahlung der Gläser Ferrones kann schwer festgemacht werden. Manche sehen die Retro-Aspekte, andere die zeitgemäße Funktionalität und wieder andere das futuristische Potenzial. © Luca Rotondo

FORMFAKTOR: Sie haben den Begriff des „Neo-Grannyism“ geprägt. Was bedeutet er?

Felicia Ferrone: Es liegt so viel Schönheit in der Vergangenheit und wir Menschen müssen wirklich den Wert der Geschichte begreifen. Wir als Designer zum Beispiel müssen die Geschichte des Designs verstehen. Weil wir auf unserem Planeten nicht die Ressourcen haben, um einfach gedankenlos Dinge zu produzieren. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass unsere Produkte emotional anziehend sind. Denn sobald wir eine emotionelle Beziehung zu etwas herstellen, wollen wir es nicht mehr loswerden. Wenn wir diese Art von Objekten haben, brauchen wir uns keine Sorgen über die Mülldeponie machen.

FORMFAKTOR: Also sind Langlebigkeit und Haltbarkeit die wahre Nachhaltigkeit …

Felicia Ferrone: … Genau. Ich sage immer, ein Stuhl von Verner Panton wird niemals auf einer Mülldeponie landen. Er ist ein Beispiel für extreme Nachhaltigkeit. Er hat etwas, das man als besonders erkennt, selbst wenn man nichts über Design weiß.

Ferrones Gläser sind auch besonders. Die „Flight“-Kollektion (2020) ist von den Marina City Towers inspiriert, dem ikonischen Wahrzeichen Chicagos, das Mitte der 1960er Jahre von Bertrand Goldberg entworfen wurde und am Chicago River im Herzen von Ferrones Heimatstadt liegt. © fferrone

FORMFAKTOR: Welche kulturelle Bedeutung hat der Esstisch?

Felicia Ferrone: Der Esstisch ist enorm wichtig. Als ich mit 21 aus den USA nach Mailand kam, fiel mir die starke Kultur des Zusammenkommens hier auf. Familie, Freunde, größere Gruppen treffen sich. Dabei geht es um einen Sinn für Gemeinschaft und natürlich die Tradition des Essens. Tische können Orte der Macht symbolisieren oder verschiedene Kulturen zusammenbringen. Gläser sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Jemandem ein Glas Wasser zu bringen, kann eine Geste sein, die sagt, ich hoffe, sie fühlen sich dann wieder besser. Aus einem Glas trinkt man, wenn man einen schlechten Tag hatte oder Menschen feiern und trinken. Diese Alltagsobjekte sind wichtig und sie sollten uns Freude bereiten.

Ein weiteres Foto von Jonathan Allen, das die Idee Felicia Ferrones exemplarisch zeigt. © Jonathan Allen

FORMFAKTOR: Welche Inspirationen und Einflüsse stecken in ihren Glas-Kollektionen?

Felicia Ferrone: Um die Geschichte von Objekten zu verstehen, habe ich viel Zeit in Museen verbracht und Bücher darüber gelesen. Ich finde, ein Objekt muss haltbar und langlebig sein. Für mich ist es sehr wichtig, dass meine Arbeit einen Beitrag zur Geschichte des Designs leistet. Da kommt meine akademische Ader durch. Ich glaube, durch meine Faszination für Design im Allgemeinen, für anonyme Objekte und historische Objekte, haben die Menschen, die meine Arbeit betrachten, oft den Eindruck eines Hauchs von Retro …

FORMFAKTOR: … habe ich auch!

Felicia Ferrone: … Aber auf der anderen Seite kommen sowohl meine allererste Kollektion als auch einige meiner jüngeren Kollektionen in Science Fiction-Filmen vor. Sie spielen hundert oder mehr Jahre in der Zukunft. Da geht es auch um das Thema Langlebigkeit. Es findet sich oft eine historische Reminiszenz in meiner Arbeit, aber nicht eine Re-Edition von etwas Historischem. Deshalb können meine Gläser auch in einem Filmsetting verwendet werden, das weit in der Zukunft spielt.

Es gibt die Idee, dass etwas im Hinblick auf die Zeit sehr fließend ist. Wichtig dabei ist die Infragestellung des Archetyps. Egal ob es ein Zylinder statt eines einfachen stehenden Glases ist, durch dieses Infragestellen entsteht ein Durcheinander in der zeitlichen Einordnung. Derselbe Effekt übrigens ergibt sich durch die monochrome Darstellung der Alltagsobjekte aus der Vergangenheit in der Ausstellung. Das entfernen der Materialität entfernt auch das Element Zeit. Und die Essenz der Form ist vollständig zeitgenössisch.

Danke für das Gespräch!


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