Home Design Pininfarinas Designchef Kevin Rice über Mobilität als Vergnügen

Pininfarinas Designchef Kevin Rice über Mobilität als Vergnügen

von Markus Schraml
Kevin Rice

Seit März 2020 ist Kevin Rice Chief Creative Officer bei Pininfarina. Der langjährige Designchef von Mazda Europa hat seine ersten eineinhalb Jahre in der Coronakrise verbracht, meint aber im Rückblick, dass diese Situation einen enormen Schub im Umgang mit digitalen Tools gebracht habe. Auch das kürzlich präsentierte Concept Car „Teorema“ wurde mithilfe von VR-Technologie, Augmented Reality und Mixed Reality-Methoden entwickelt.

Im formfaktor-Exklusivinterview spricht Rice darüber, dass Mobilität wieder Vergnügen bereiten müsse, dass umfassende Systeme notwendig sein, um im urbanen Bereich in Zukunft mobil zu sein und dass wir heutzutage viel zu viel herumfahren – trotz ständiger Internetverbindung.

formfaktor: Welche Idee liegt dem Konzept „Teorema“ zugrunde?

Kevin Rice: Das Konzept basiert auf einer sehr einfachen Tatsache. Als ich von Frankfurt nach Turin fuhr, wurde mir bewusst, dass es absolut kein Vergnügen bereitet, ein modernes Auto zu fahren. Staus ohne Ende, Baustellen, man braucht vier Mal so lang als erwartet etc. Außerdem sitzt fast jeder allein in seinem Auto. Es ist wirklich kein Vergnügen. Wir begannen also innerhalb des Designteams darüber zu diskutieren, was ein sinnvolles neues Konzept für ein Auto sein könnte. Und wir sprachen über die Liebe, die Italiener in den 60er- und 70er-Jahren hatten, in einem Auto durch ihr schönes Land zu fahren. Das taten sie damals natürlich nie allein, weil nicht jeder ein Auto besaß. Sie fuhren mit Freunden. Dieses Gefühl wollten wir wieder erschaffen. Und der Weg das zu erreichen, führte natürlich über neue Technologien: KI, 5G, Autonomes Fahren und eine neue Art der Navigation, die wir mit unserem Partner WayRay umsetzen. Über diese Technologien wollten wir ein neues Fahrvergnügen schaffen, ein Vergnügen, dass man sowohl gemeinsam als auch jeder einzelne Passagier für sich erleben kann. Das war der Beginn, der gleich zur Frage führte, welche Art von Fahrzeug könnte all das leisten.

formfaktor: Wie gestaltete sich die konkrete Arbeit an dem Projekt?

Kevin Rice: Früher war es so, dass jemand (der Boss) sagte, was gemacht werden soll und das wurde dann umgesetzt. Das war früher. Hier hingegen verfolgen wir einen kollaborativen Ansatz. Wir entwickeln im Team. Es ist eine wirkliche Diskussion. Jeder bringt sich ein. Dann arbeitet jeder für sich. Von Zeit zu Zeit kommen wir wieder zusammen, um zu sehen, wo wir stehen. Meine Aufgabe dabei ist, den Fokus nicht zu verlieren, auf der Spur zu bleiben und auftretende Probleme zu lösen. Oder etwa neue Partner wie Poltrona Frau mit an Bord zu holen. Mit ihnen haben wir an den flexiblen Sitzen gearbeitet. Ich wollte keine elektronischen Verstellmechanismen an den Sitzen haben. Das ergibt einfach keinen Sinn, verbraucht zu viel Energie, die dann wieder bei der Reichweite fehlt. Mit Poltrona Frau fanden wir die Lösung in einem Druckluftsystem. Außerdem entwickelten wir das Konzept der flachen Sitze im Standmodus. In diesem Café-artigen Setting können die Passagiere besser miteinander agieren. Während der Fahrt werden die Sitze wiederum entsprechen ausgerichtet.

formfaktor: Der Fahrgastraum als Wohnzimmer?

Kevin Rice: Das hängt davon ab, was man machen möchte. Sie erinnern sich vielleicht daran, wenn sie als Kind mit ihren Eltern im Auto vereist sind, dann war das oft sehr langweilig. Heutzutage wird den Menschen noch viel schneller langweilig. Deshalb können die fünf Personen in „Teorema“ ihr jeweils individuelles Erlebnis haben oder miteinander kommunizieren. Jeder wie er will. Wir haben verschiedenste Möglichkeiten des Innenraums durchgespielt und sind schließlich auf diese Aufteilung der fünf Sitze gekommen mit dem Fahrersitz allein an der Spitze. Dadurch kann der Fahrer sich auf die Straße konzentrieren, die Passagiere aber haben die Möglichkeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Sie können ins Internet gehen oder touristische Informationen erhalten. WayRay zeigt ihnen interessante Infos zur Wegstrecke, die sie sonst nicht sehen könnten. Die Menschen im Fond können sich auch völlig abgrenzen. Entscheidend ist, dass die Sitze auch im Fahrmodus voneinander getrennt sind. Dieser Raum bringt Komfort, der Abstand ist aber nicht so groß, dass man sich abgetrennt fühlen würde. Das ist ganz wichtig.

Teorema, Pininfarina
Mit einer Höhe von 1,4 und einer Länge von 5,4 Metern bietet „Teorema“ sowohl komfortables Reisegefühl als auch ein Wohnzimmer-ähnliches Umfeld. Visualisierung © Pininfarina

formfaktor: Was sind die nächsten Schritte mit Teorema?

Kevin Rice: Wir werden unser Concept bei verschiedensten Gelegenheiten präsentieren. Wir haben Teorema ja mit Virtual Reality entwickelt und über VR kann es auch erlebt werden. Gleichzeitig gibt es Mixed Realitiy-Möglichkeiten das Fahrzeug kennenzulernen. Mit dieser Art der Präsentation zeigen wir unser großes Know-how im Bereich VR im digitalen Design. Zu sagen, dass dieses Fahrzeug jemals in Produktion gehen wird, wäre zu gewagt. Aber die Technologien, die darin Verwendung finden, wird es in Zukunft sicherlich geben. Und das zu zeigen, ist Sinn und Zweck des Ganzen.

Teorema, Pininfarina
Die Sitze können in Liegen bzw. Bänke verwandelt werden. Dadurch entsteht ein gemütlicher Raum. Visualisierung © Pininfarina

formfaktor: Sie haben für viele Jahre in der Autoindustrie gearbeitet und sind nun seit über einem Jahr als Chief Creative Officer bei Pininfarina, einem Designunternehmen. Wie unterscheidet sich die Arbeit?

Kevin Rice: In meinem allerersten Job war ich Trainee bei Ideo, der Design Consulting Firma überhaupt. Deshalb ist es für mich nichts völlig Neues, aber es unterscheidet sich von der Autoindustrie sehr stark. Hier hat man bei Weitem nicht so viel Zeit für das Design wie bei einem Autohersteller, wo das Ganze manchmal auch zu lange dauern kann.

Natürlich war dieses erste Jahr von der Pandemie gekennzeichnet. Aber irgendwie brachte das auch einen enormen Fortschritt in der digitalen Zusammenarbeit, weil wir ja alle Zuhause sein mussten. Das hat die Arbeit mit Virtual Reality und jetzt Mixed Reality enorm gepusht. Tatsächlich haben wir eine große Anzahl an Serienauto-Aufträgen unterzeichnet, nur über unsere Skizzen, ohne die Kunden jemals getroffen zu haben.

formfaktor: Wir sehen Sie die Zukunft der Mobilität?

Kevin Rice: Die Frage ist nicht, welche Antriebstechnologie man verwendet, sei es Wasserstoff oder elektrisch. Das Problem liegt eher in der Frage der Mobilität selbst. Wie kann man sich in einer angenehmen Art und Weise fortbewegen? Die Scooter, die man jetzt in allen Städten sieht, manche lieben sie, andere hassen sie, werden sie die Lösung sein? Ich weiß nicht so recht. Aber was immer auch die Lösung sein wird, es muss ein Vergnügen sein, es zu benutzen. Fahrräder vielleicht. Nun habe ich lange Zeit in Frankfurt gelebt, und dort gab es immer die Angst, wenn man sein Fahrrad irgendwo abgestellt hat, ob es noch da sein wird, wenn man zurückkehrt. Und natürlich der Regen. Das ganze Thema ist nicht gelöst. Dabei geht es immer um die letzte Meile. Noch kann man mit seinem Auto in viele Stadtzentren hineinfahren, aber irgendwann wird das nicht mehr erlaubt sein. Aber wie kann ich dann meine Einkäufe erledigen, wenn ich zum Beispiel etwas vom Baumarkt brauche.

formfaktor: Wie also könnte eine Lösung aussehen?

Kevin Rice: Ich glaube, es muss ein ganzes System geschaffen werden und nicht nur ein Fahrzeug. Natürlich konzentrieren sich Autohersteller auf Autos, aber auch die gehen mehr und mehr in Richtung Shared Mobility, Micro-Mobility etc. In dieser Beziehung ist Pininfarina sehr gut aufgestellt. Denn wir haben Designexperten in allen Bereichen – mal abgesehen von Mode. Bei uns laufen einige Micro-Mobility-Projekte sowohl für Firmen, die man sofort damit in Verbindung bringt, aber auch für Firmen, von denen man nie gedacht hätte, dass sie sich mit Micro-Mobility beschäftigen. Wir als Designfirma haben die Aufgabe zu führen und Dinge zum Laufen zu bringen. Ich möchte als nächsten Schritt mit Teorema, sobald es auf der Roadshow ist, unsere Architektur-, UX-, Produktdesign- und Transportteams hereinholen, um einen ganzheitlichen Blick zu erhalten, wie Teorema in einem ganzen System funktionieren könnte, das den Menschen Vergnügen bereitet.

Teorema, Pininfarina
Die Designteams in Cambiano und Shanghai haben zuerst das Interieur gestaltet und danach das Exterieur. Visualisierung © Pininfarina

formfaktor: Welche zukünftigen Projekte wird es von Ihrem Designteam geben?

Kevin Rice: Wir beabsichtigen, kleine Projekte zu machen, die für uns wichtige Themen aufgreifen. Wie zum Beispiel steht der Wohnbereich mit Bewegung in Zusammenhang oder die elektronisch-technischen Möglichkeiten von Gebäuden, die quasi ein eigenes Leben führen. Andere Gebäude bieten andere Erlebnisse und führen vielleicht dazu, dass wir nicht mehr so viel herumfahren. Das ist eine Kernfrage: Warum fahren wir so viel herum, verglichen mit vor 20, 30 Jahren? Für mich ist das ein Widerspruch, denn wir sind alle und immer mit dem Internet verbunden. Müssen wir wirklich so viel herumfahren. Das ist eine Frage für die Zukunft.

formfaktor: Na ja, in den letzten eineinhalb Jahren haben wir uns nicht so viel bewegt?

Kevin Rice: Ja, aber wir haben unsere Arbeit erledigt. Unsere Einkäufe gemacht. Es gab natürlich andere, menschliche Probleme. Aber es hat sich gezeigt, dass dieser ganze Verkehr, der von Arbeitspendlern und Eltern verursacht wird, die ihre Kinder in die Schule bringen, wegfallen kann. Das heißt, die zentrale Frage wir sein, müssen wir uns derart viel bewegen. Und wenn wir uns bewegen, haben die Firmen, die diese Dienstleistung anbieten, wie auch immer sie aussehen mag, die Aufgabe, den Transport so angenehm wie möglich zu machen. Die Menschen müssen es gerne benutzen, sonst steigt keiner ein.


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