Home Art Zensur, Agrarstreit, Reizüberflutung – Prix Ars Electronica 2023

Zensur, Agrarstreit, Reizüberflutung – Prix Ars Electronica 2023

von redaktion

3.176 Projekte aus 98 Ländern wurden beim Prix Ars Electronica 2023 eingereicht. Ausgeschrieben waren die neue Kategorie „New Animation Art“, die zukunftsweisende Animationen an der Schnittstelle von neuen Techniken der Visualisierung und neuen Formen der Kommunikation in den Fokus rückt, sowie die Kategorien „Digital Musics & Sound Art“, „Artificial Intelligence & Life Art“ und „u19 – create your world“. Mit 1.116 Projekten verzeichnete die Kategorie „New Animation Art“ auf Anhieb die meisten Einreichungen.

Die Goldenen Nicas gehen 2023 an Ayoung Kim (KR), Winnie Soon (HK/UK), das Kollektiv Atractor + Semántica Productions (INT) und Sonja Höglinger (AT). Alle Gewinner dürfen sich über ein Preisgeld von 10.000 Euro freuen, die Goldene Nica in der Kategorie „u19-create yourw world“ ist mit 3.000 Euro dotiert. Parallel zum Prix Ars Electronica waren 2023 auch der „Isao Tomita Special Prize“ und der vom Ministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten möglich gemachte „Ars Electronica Award for Digital Humanity“ ausgeschrieben. Ersterer geht an Robin Fox (AU), zweiterer an die afrikanische Initiative Masakhane.

Goldene Nica in der Kategorie „New Animation Art“

Mit ihrem Siegerbeitrag Delivery Dancer’s Sphere widmet sich die Koreanerin Ayoung Kim der boomenden Gig-Economy. Der Mix aus 3D-Animation und Live-Action-Dreh hinterfragt das hippe Marketingversprechen von Urbanität, Modernität und Individualität und zeigt stattdessen ein topologisches Labyrinth, das erfüllt ist von Überreizung, Beschleunigung und dem ständigen Drang zur Optimierung von Körper, Zeit und Raum.

Mittels Montage unterbricht Kim die Kausalität der Erzählung immer wieder und lässt jedes Mal eine neue Syntax entstehen. Auch Gesetze der klassischen Physik, darunter Heisenbergs Unschärferelation, das fermatsche Prinzip der kleinsten Zeit oder Hamiltons Prinzip der kleinsten Wirkung spielen eine wichtige Rolle.

Beschleunigung, Überreizung … Delivery Dancer’s Sphere von Ayoung Kim © Ayoung Kim
Beschleunigung, Überreizung … Delivery Dancer’s Sphere von Ayoung Kim © Ayoung Kim

Agrarindustrie gegen Amaranth

Für A Tale of Two Seeds erhält die Initiative Atractor + Semántica Productions (INT) die Goldene Nica des Prix Ars Electronica 2023 in der Kategorie Digital Musics and Sound Art. In der lateinamerikanischen Landwirtschaft tobt eine Auseinandersetzung: Während Konzerne den großflächigen Anbau von Soja vorantreiben, kämpft insbesondere die indigene Bevölkerung darum, weiterhin ihren Amaranth kultivieren zu können. Um den Amaranth mittels Glyphosat aus ihren riesigen Monokulturen zu eliminieren, setzten die Konzerne auf gentechnisch verändertes Soja. Mit unerwarteten Folgen, denn innerhalb weniger Jahre entwickelte der Amaranth eine Resistenz gegen die chemische Keule. Dieses Sich-zur-Wehr-Setzen der Natur wiederum wurde zum Symbol für den Widerstand gegen den Anbau gentechnisch veränderter, nicht heimischer Kulturen und die Privatisierung von Land und Saatgut.

Auch das Kollektiv Atractor + Semántica Productions ließ sich davon inspirieren und macht mit der Soundinstallation A Tale of Two Seeds: Sound and Silence in Latin America’s Andean Plains auf die agroindustrielle Kolonisierung Lateinamerikas, insbesondere Kolumbiens, aufmerksam. Mittels Tonaufnahmen von unter- sowie überirdischen Prozessen und der Aufzeichnungen der elektrischen Leitfähigkeit von Soja- und Amaranth-Pflanzen wird die augenscheinliche Veränderung der Andenlandschaft auch hörbar gemacht. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der auf maximalen Gewinn getrimmten Landwirtschaft werden zudem filmisch aufgearbeitet, eine Blockchain-Anwendung bringt die Patentregelungen gentechnisch veränderter Pflanzen und die Frage nach (geistigem) Eigentum aufs Tableau.

Regierung cancelt in Social Media

Für Unerasable Characters Series wird Winnie Soon (HK/UK) mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2023 in der Kategorie Artificial Intelligence & Life Art ausgezeichnet. Soon untersucht, wie Regime/Regierungen digitale Infrastruktur nutzen, um Zensur auszuüben. Im Mittelpunkt steht dabei Weibo, eine der größten Social-Media-Plattformen in China. Zentrales Werkzeug ist das an der Universität von Hongkong entwickelte System „Weiboscope“, mit dem die Timelines chinesischer Mikroblogger untersucht und vom Regime zensurierte Tweets aufgespürt werden können. Aus den Ergebnissen dieses technischen Scans entstand die dreiteilige Unerasable Characters Series.

Unerasable Characters I basiert auf 54.064 Tweets, die zwischen 30. Juni 2021 und 30. Juni 2022 zensuriert wurden. Mittels Machine Learning entstand aus diesen Tweets zunächst ein mehr als 6.000 Seiten starker Dokumentenstapel, der vom schieren Ausmaß der Zensur zeugt. Daraus wiederum entstand – ebenfalls mittels Machine Learning – ein Buch, dessen Inhalt zwar unleserlich ist, das aber – weil es auf verbotenen Texten basiert – ebenfalls verboten ist. Unerasable Characters II ist ein lebendiges Archiv, das täglich aus zensierten Tweets gespeist wird. Jeder Tweet wird in eine Zeichen-für-Zeichen-Anzeige transformiert und als blinkende Einheit in einem Raster visualisiert. Wie lange diese Einheit jeweils sichtbar bleibt, hängt davon ab, wie lange der ursprüngliche Tweet auf Weibo präsent war, bevor er entfernt wurde.

Junge Kreative

Die Goldene Nica in der Kategorie u19 – create your world / Young professionals 14-19 geht an Sonja Höglinger und ihre „Verblassende Stimmen“. Mit diesem Projekt versuchte Höglinger den Verlust eines ihr nahestehenden Menschen zu verarbeiten und dessen Stimme und Klangfarbe auf ganz spezielle Weise zu bewahren. Indem sie eine Tonspur auf ein Laken näht, zeigt sie, was nie wieder zu hören sein wird und bewahrt gleichzeitig die Erinnerung daran. Uns wiederum fordert sie auf, darüber nachzudenken, wie wir uns an die Stimmen jener verstorbenen Menschen erinnern, die uns einst sehr nahestanden.

Verblassende Stimmen von Sonja Höglinger gewinnt Goldene Nica. © Sonja Höglinger

Digital Humanity / Isao Tomita Special Prize

Der Ars Electronica-Preis für Digital Humanity des Bundesministeriums für Europäisch und Internationale Angelegenheiten geht an Masahkhane. Auf dem afrikanischen Kontinent werden mehr als 2.000 Sprachen gesprochen, in maschinellen Übersetzungs- und Kommunikationsprogrammen sind sie allerdings kaum vorhanden. Dieser Entwicklung wirkt die Organisation Masakhane (isiZulu für „We build together“) entgegen, die zur NLP (Natural Language Processing)-Forschung beitragen will. Ziel ist es, neue Sprachtechnologien dem afrikanischen Kontinent zugänglich zu machen und damit nachhaltig Einbindung in bedeutende technologische Diskurse zu erwirken. Ausgangspunkte dafür sind Community-Building, partizipative Forschung und multidisziplinäre Ansätze – dem Projekttitel entsprechend “for Africans, by Africans”.

Masakhane will zur NLP (Natural Language Processing)-Forschung beitragen und mehr afrikanische Sprachen in bekannte Übersetzungsprogramme bringen. © Masakhane Community

Für Triptych wird Robin Fox (AU) mit dem diesjährigen Isao Tomita Special Prize ausgezeichnet. Eine eigens angefertigte Hardware erzeugt zunächst elektrische Spannung, die wiederum Lichtbilder hervorbringt und gleichzeitig zum Klangerlebnis wird. Drei Laser-Projektoren arbeiten dabei synchron und kreieren farbige geometrische Muster, die sich individuell an die Veranstaltungsorte anpassen lassen. Auf musikalischer Ebene bewegt sich Triptych zwischen High-Art-Techno, Deep Sonic Mass und Visual Noise. Die experimentelle Live-Events des Komponisten und Künstlers Fox sind einmalige Erfahrungsräume, die nur vor Ort erlebt und erfasst werden können … dennoch – hier ein Video dazu:

Informationsquelle: Pressemitteilung Ars Electronica


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