Home Architecture Olajumoke Adenowos „Neo-Heritage“ – Kultur(en)kosmos Nigeria

Olajumoke Adenowos „Neo-Heritage“ – Kultur(en)kosmos Nigeria

von Markus Schraml
Olajumoke Adenowo, Rizzoli New York

In den Medien wurde sie bereits als „afrikanische Stararchitektin“ oder als „das Gesicht der Architektur von Nigeria“ bezeichnet. Ohne Zweifel verfügt Olajumoke Adenowo über eine der stärksten Stimmen, wenn es darum geht, zeitgenössische afrikanische Architektur zu vermitteln. Ihre Heimat Nigeria spielt dabei eine zentrale Rolle, denn: „Nigeria besteht aus über 500 ethnischen Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Es gibt kein anderes Land in Afrika, das über diese ethnokulturelle Vielfalt und Unterschiede der Lebensumgebung verfügt, die eine Matrix zur Lösung architektonischer Gestaltungsprobleme bilden … Das Studium Nigerias und seiner Vielfalt hilft uns, den gesamten Kontinent zu begreifen und aus dieser Forschung Schlussfolgerungen zu ziehen, die überall in Afrika anwendbar sind“, betont Adenowo.

Bei Rizzoli New York ist nun ein Buch über die Architektin unter dem Titel „NEO HERITAGE. Defining contemporary African architecture“ erschienen. Ziel dieser Veröffentlichung ist es, Adenowos Dissertation zum Thema „Neo-Heritage“ (also etwa Neues Erbe) einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dieses Konzept sieht einen neuen Ideenrahmen vor, der auf Prinzipien des afrikanischen gestalterischen Kulturerbes basiert. Diese Prinzipien könnten zu Lösungen in der Architektur auch in anderen Weltteilen beitragen. Die Autorin analysiert zunächst traditionelle afrikanische Architekturformen und leitet daraus Prinzipien ab, die sich über die verschiedenen Stile, Typen und Orte der afrikanischen Architekturtradition erstrecken. Das führt schließlich zu einer Art Diskursgrundlage für zeitgenössische afrikanische Architektur.

Ethnokultureller Kontext

„Architektur ist eine Reaktion auf die Kultur und die physische Umgebung eines Volkes. Jeder Ausdruck von Architektur, seine Gebäudetypen bzw. der Architekturstil ist eine Antwort auf den ethnokulturellen Kontext und die physischen Gegebenheiten des Ortes“, sagt sie. Olajumoke Adenowos Theorie zufolge ist die traditionelle afrikanische Architektur beispielsweise von der Idee von Schönheit und Ästhetik geprägt, die von Kultur zu Kultur unterschiedlich ist und sehr spezifische Ausdrucksformen hervorbringt. Oder von der Präsenz von Licht, nicht nur im Hinblick auf den physischen Einfluss, sondern auch in Bezug auf die kulturelle Bedeutung des Lichts selbst. Darüber hinaus ist ein spezieller Teil des Bandes der Dekoration und Funktionalität gewidmet. Es geht darum, wie diese beiden Bereiche in der Tradition der afrikanischen Architektur miteinander verbunden sind und wie diese Beziehung für die zeitgenössische Praxis relevant sein kann.

Atrium im Rain Oil Headquarters von Olajumoke Adenowo. Foto © Emmanuel Oyeleke

Ein Teil des Buches beschäftigt sich mit klimarelevanter Architektur und Materialien. „Was der Rest der Welt von Afrika lernen kann, ist die Anwendung der Kreislaufwirtschaft. Die Afrikaner beherrschen die Idee, Materialien wiederzuverwenden, deren Entsorgung möglicherweise zu kompliziert oder zu teuer wäre, und das könnte in Zukunft den Unterschied ausmachen.“

Oase des Wissens

Einen großen Einfluss auf die Arbeit Adenowos hat der israelische Architekt Arieh Sharon (1900 – 1984), der seine vom Bauhaus abgeleitete Vision auf die von ihm in Nigeria in den 1960er-Jahren entwickelten Projekte anwendete, darunter der Campus der Ife-Universität. Olajumoke Adenowo verbrachte ihre Kindheit auf Universitätsgeländen in Nigeria und Europa und erlebte schon in jungen Jahren unterschiedliche Kulturen. „Die Universitätsgelände, auf denen ich aufgewachsen bin, waren Mikrokosmen der Exzellenz inmitten uralter Städte. Ich wurde im University College Hospital in Ibadan geboren. Bis ich vier Jahre alt war, lebte ich an der Universität von Ibadan in den Gebäuden von Maxwell Fry. Dann zogen wir an die Universität von Ife, wo ich die meisten meiner prägenden Jahre verbrachte. Ife war eine Oase des Wissens, eingebettet zwischen den Hügeln auf weitem grünem Land.“

Obafemi Awolowo University, Ile-Ife von Arieh Sharon. Blick über den Innenhof auf das Sekretariatsgebäude. Foto © Folarin Torimiro

Zeitgeist, Mode, Hochzeiten

Der Neo-Heritage-Begriff von Adenowo hat auch mit dem Zeitgeist zu tun. Und zwar im Besonderen mit dem Zeitgeist in Nigeria: „Der Schwerpunkt von Neo Heritage liegt in der Anpassung alter Prinzipien an den Zeitgeist, den bestimmenden Zeitgeist. Nigerianer sind ehrgeizige und einfallsreiche Menschen. Aus der Forschung über junge Menschen geht hervor, dass Musik, Fußball, romantische Beziehungen, Mode und Glaube die wichtigsten Antriebskräfte dieser Generation sind. Wenn es um den afrikanischen Zeitgeist geht, lautet ein beliebtes Sprichwort: So wie Nigeria geht, so geht auch Afrika, erzählt Adenowo.

Zudem verfügt Nigeria mit Nollywood über die größte Filmindustrie Afrikas. Gemeinsam mit sozialen Medien und generell dem Internet sorgt dies dafür, dass alles, was Nigeria und die Nigerianer tun, in ganz Afrika verbreitet wird. Zum Beispiel veranstalten Nigerianer spektakuläre Hochzeiten in einer Größenordnung und Detailversessenheit, die es sonst nirgendwo auf dem Kontinent gibt. Andere afrikanische Länder machen dies zu ihrem Bezugspunkt. „Die nigerianische Mode und der nigerianische Stil werden in ganz Westafrika gleichermaßen stark beobachtet. Nigeria ist das Hypozentrum für den afrikanischen Zeitgeist“, meint Adenowo

Die Braut und ihre Brüder, Kemi und Oscars traditionelle Hochzeit, Lagos 2022. © Kemi Adetiba

Die Kernidee von Neo-Heritage besteht darin, eine kritische Masse an Fachleuten in Afrika zu gewinnen, die die Lehre der Vorfahren auf zeitgemäße Weise in die Praxis umsetzen können. Laut Adenowo birgt die Vergangenheit Lösungen für die Gegenwart und die Zukunft, insbesondere in Afrika. Die Anpassung und Aktualisierung der Tradition könnte der Schlüssel für eine neue Entwicklung sein, nicht nur in der Architektur.

Olajumoke Adenowo. NEO HERITAGE. Defining contemporary African architecture. Hardcover, 24 x 30 cm / 256 S. / 250 Farbfotos, Englisch, ISBN 978-88-918361-6-8


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