Die architektonische Nachverdichtung in urbanen Räumen wird in der Branche rege diskutiert und vielfach bereits konkret umgesetzt. Hintergrund sind Herausforderungen wie die immense Bodenversiegelung (etwa in Österreich) oder der hohe Ressourcenverbrauch im Bauwesen. Im Rahmen der Vienna Design Week fand dazu im LAUFEN Space Vienna ein Talk mit dem Titel „DICHT! Urbaner Perspektivenwechsel – Nachverdichtung und Raumgewinn“ statt. Drei Architekten stellten Projekte vor, mit denen diese Problemfelder auf unterschiedliche Weise bearbeiten werden. Roland Duda von O & O Baukunst berichtete über das H.O.M.E. House 2023. Das renommierte Büro nahm sich dafür des Themas Dachausbau an.
Duda sprach von der Idee, das Einfamilienhaus mit freier Sicht in den urbanen Raum zu holen und dabei gleichzeitig zusätzlichen Grünraum zu schaffen. Die Lösung – ein Dachaufbau inklusive Dachbegrünung. Die Frage war auch, was muss heutzutage ein Dach leisten. Die geläufige Antwort – es muss unter anderem Energie durch Fotovoltaik erzeugen. Jeder kennt die schrägen Fotovoltaik-Anlagen auf dem flachen Land. Die Struktur dieser Solarparks nahm das Architektenteam auf und hievte diese Form vier, fünf Meter in die Höhe. Auf die eine Seite setzten sie Solarpaneele, auf die andere Oberlichter. So entstand (nach Meinung von Duda) der perfekte Wohnraum. Also im Prinzip eine große Halle, die mit unterschiedlichen Objekten und Zonierungen gefüllt werden kann.
Bauen im Bestand
Zum Thema Bauen im Bestand sagte Roland Duda, dass O & O Baukunst entgegen der Annahme vieler fast nur im Bestand baue. Er nannte als Beispiele das Schauspielhaus in Zürich, das Museumsquartier in Wien, das Landesarchiv in Nordrhein-Westfalen und die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. „Immer geht es darum, etwas hinzuzufügen und das Alte so zu belassen, wie es ist. Das haben wir auch mit dem H.O.M.E. Haus versucht. Es ist beinahe egal, was sich darunter befindet, nur muss das Dach flach sein“, erklärte der Architekt.
Das wichtigste, wenn man auf Dächern baut, ist die Verwendung von leichten Materialien. O & O Baukunst hat für das H.O.M.E. Haus leichte Stahlträgerstreben entwickelt, die auf unterschiedlich große Flächen gesetzt werden können. Das Konstruktionsprinzip funktioniert als Modul, das beliebig angepasst werden kann. „Wir wollten nicht für ein Dach planen, sondern etwas machen, das auf viele Dächer passt“. Alle Ausfachungen in dieser Stahlstrebenstruktur sind in Holzrahmenbauweise gedacht. Bleibt die Frage nach den Kosten, die hoch sind und aus dieser schönen Idee eine Luxusanschaffung machen würden.
Mensch und Natur als Systemgedanke
Das Architekturbüro smartvoll hat seit seiner Gründung im Jahr 2013 zu 80 bis 90 % im Bestand gebaut, schätzt Philipp Buxbaum (mit Christian Kircher der Gründer des Büros). Neben konkreten Bauprojekten erarbeitet smartvoll auch selbstinitiierte „Systemgedanken“. Einer davon ist das Urban Tree House. Dabei geht es um die bauliche Verdichtung bei gleichzeitiger Schaffung von Naturraum in der Stadt. Auch das Projekt „Urban Wildling“ verfolgt diese Stoßrichtung. Beiden Systemen liegt der Wunsch nach mehr Biodiversität im urbanen Raum zugrunde. Das Urban Tree House ist ein Modell für Baulücken, das Haus- und Wohnungsbesitzer dazu ermächtigen soll, selbst aktiv zu werden, ohne von stadtplanerischen Entscheidungen abhängig zu sein. Dabei wird nicht die gesamte Lücke voll bebaut, sondern relativ viel Platz für Grünraum gelassen. Buxbaum hofft dabei auch auf den Netzwerk-Effekt, dass also viele kleine Projekte insgesamt einen Unterschied machen würden.
Buxbaum sagte: „Ich würde vorschlagen, dass wir die Architektur langsam aus der human-zentrierten Planung herausführen und für alle Lebewesen planen, nicht nur für Menschen.“ Der Titel des Konzepts „Urban Wildling“ bringt diesen Vorschlag zum Ausdruck. Hier wird die Erhöhung der Biodiversität in großem Maßstab verfolgt. Konkret geht es um die großflächigen Grünbrachen der Stadt Wien, wofür ein völlig neues Baukonzept mit sehr geringem Flächenverbrauch, ausgelagertem Erschließungszonen und kompakten flexiblen Wohnungsgrundrissen entwickelt wurde.
Verdichtung und Freiheitsgrade
Oliver Sterl, Geschäftsleiter und Partner bei Rüdiger Lainer + Partner (RLP), sprach zu einem Verdichtungsprojekt in Innsbruck. Dort soll das 8,4 Ha große Areal der Tirol Kliniken verdichtet werden. Das Architekturbüro wurde mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt, in der es darum ging, im letzten Ausbauschritt 83.000 m² mehr Bruttogeschossfläche zu erreichen. Dabei sollten die scheinbaren Gegensätze „funktionierendes Krankenhaus“ und „lebenswertes Quartier“ unter einen Hut gebracht werden. Das derzeitige Problem für Patienten, Mitarbeiter und Besucher sei, dass es fast keine Plätze mit Aufenthaltsqualität gibt. „Was muss ich machen, bevor ich verdichte? Ich muss die soziale Attraktivität des Standorts stärken. Das heißt, ich muss mehr Flächen für die Gemeinschaft, mehr Grünräume schaffen“, erläuterte Sterl.
Die Strategie dazu klingt wie ein unmöglicher Spagat, denn für jeden Schritt der Verdichtung müsse ebenso auch Grünraum eingeplant werden. Der Architekt sagte, dass dies in räumlicher Hinsicht relativ einfach zu bewerkstelligen wäre, nämlich indem man Strukturen teilweise abreißt, entkernt und hochzieht. Allerdings sei dies in Innsbruck wegen der Kessellage inmitten der Alpen und der Flugsicherheitszonen (max. Gebäudehöhe von 40 – 44 Metern) nicht möglich.
Deshalb analysierte das Team um Oliver Sterl die urbane Landschaft des Standorts penibel. Ziel war es, herauszufinden, wo und wie Verdichtung hier überhaupt möglich ist. „Es geht immer darum, wie kann ich Licht und Luft in die Erdgeschosszonen bringen. Schluchtartige Situationen gilt es zu vermeiden“, betonte Sterl. „Städtebau hat im Wesentlichen immer mit zwei Dingen zu tun: Orientierung und Identität. Was sehe ich als Mensch und wie kommt das Licht zu mir, wenn ich mich auf Straßenniveau befinde?“ Jeder Bestand habe in dieser Beziehung Defizite, die man erkennen und verändern muss, weiß der Architekt. Auf einem Klinikgelände sind die Zufahrten für Blaulichtorganisationen nicht verhandelbar. Deshalb können mehr Grünräume nur sehr beschränkt auf Straßenniveau entstehen. Die Architekten von RLP planten deshalb einen „schwebenden Park über den Dächern“. Die Vorteile liegen auf der Hand: Diese Lösung berührt die Logistik, die zu ebener Erde stattfindet, nicht. Bleibt die Frage des Zugangs in den Grünraum in luftiger Höhe auch von anderen Gebäuden her. Des weiteren definierte RLP Hochpunkte an bestimmten Stellen. Insgesamt entstand so eine urbane Partitur, die in Zukunft als Grundlage für weitere Ausschreibungen dienen soll.
Das Beste ist nicht zu bauen
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die drei Architekten über das Thema Verdichtung und über das Selbstverständnis von Architekten im Jahr 2023. Dabei bemerkte Oliver Sterl, dass heutzutage das Bauen anders gedacht werden müsse. Roland Duda ging einen Schritt weiter und meinte sogar: „Wir müssen andere Themen finden“. Konkret formulierte er: „Heute ist Dichte etwas, um Ressourcen zu sparen. Wir können keine Landschaft mehr verbrauchen. Wir müssen das verdichten, was wir haben.“ Außerdem sei im Bestand zu bauen, die spannendere Bauaufgabe für Architekten, ergänzte Sterl. Architekt Duda gab allerdings zu bedenken, dass man Architekten misstrauen müsse, denn im Grunde wollten sie immer bauen. Ganz in diesem Sinne ist wohl auch seine Aussage zu bewerten: „Das Beste ist, nicht zu bauen.“
Insgesamt herrschte generationenübergreifende Einigkeit, dass mit und im Bestand zu bauen die Anforderung der Zeit sei. In dieser ganzen Diskussion um das unbedingt Notwendige kam allerdings das schönste Statement von Philipp Buxbaum. Er überraschte mit dem Satz: „Ästhetik ist der Schutzpatron des Gebauten.“