Im Jahr 2019 startete Cassina seine „Hommage à Pierre Jeanneret Collection“ mit vier Möbelstücken, die vom Cousin Le Corbusiers für das Chandigarh-Projekt, der neuen modernen Hauptstadt im indischen Teil der Provinz Punjab designt wurden. Nun ergänzt der italienische Möbelhersteller diese Kollektion um zwei weitere Stücke: den „Kangaroo“-Sessel und die „Civil Bench“. Pierre Jeanneret, bis heute im riesigen Schatten seines weltbekannten Cousins versteckt, war von Le Corbusier mit der Umsetzung dieses Riesenauftrags betraut worden, immerhin war Pierre sein engster Mitstreiter seit 1922. Dieser reiste nach Indien, blieb dort von 1950 bis Mitte der 60er-Jahre und überwachte die Bauarbeiten. Aber nicht „nur“ das, er designte auch den Großteil der Möbel für die öffentlichen Gebäude der Stadt. Dabei setzte er auf die Stärken der gerade unabhängig gewordenen Nation – auf lokale Materialien und traditionelles Handwerk. Dadurch trugt er wesentlich zu mehr Unabhängigkeit vom Westen (England) bei.
Pierre Jeanneret kümmerte sich 15 Jahre lang nicht nur um die Umsetzung der Pläne des Parlamentsgebäudes, der Universität und des Gerichtsgebäudes von Chandigarh, er entwarf auch Schulen, Villen und baute sein Meisterwerk, das Gandhi Bhawan-Memorial. Sein Einfluss auf das Bauwesen der neuen Nation kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er beriet die Regierung, gründete eine Architektur-Schule und modernisierte das Land in technisch-architektonischer Hinsicht. Erst gegen Ende seines Lebens kehrte er aus gesundheitlichen Gründen nach Genf zurück, wo er 1967 starb.
Der Architekt und die lokale Handwerkstradition
Pierre Jeanneret designte Möbel für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche, mit verschiedensten Funktionen und aus vielfältigen Materialien, von indischem Palisander oder Bambus bis zu Eisenstäben. Bürotische aus massivem Teakholz, Stühle mit Korbgeflecht oder Sessel aus Holz, Leder und Baumwolle sind das Ergebnis einer Verschmelzung aus indischem Handwerk und der revolutionären Konzeption eines Architekten. Eine wiederkehrende Form ist das auf den Kopf gestellte V bei Stuhlbeinen oder eben auch der neuen „Civil“-Bank aus der Cassina-Hommage-Kollektion.
„Kangaroo“ ist ein niedriger Sessel, den Jeanneret für die Halle des General Hospital von Chandigarh entwarf, der aber auch in vielen privaten Wohnungen zu finden ist. Er gehört zu den sogenannten Typ „Z“-Möbeln in der Chandigarh-Klassifizierung. Die Seiten des Sessels weisen eine Folge von drei fortlaufenden koplanaren Elementen auf. Typisch ist die Verwendung von Teakholz, der Holzrahmen sowie das Rohrgeflecht, aus dem Sitz und Rückenlehne bestehen. Das Cassina Forschungs- und Entwicklungszentrum bietet auch Versionen in schwarz gebeizter Eiche an, die in der historischen Zimmerei es Unternehmens hergestellt werden. Ebenfalls erhältlich ist ein Kissen – für mehr Komfort.
Die „Civil Bench“ wurde zwischen 1955 und 1956 für die Wohnungen der Mitglieder des Parlaments von Chandigarh entworfen. Sie besteht aus drei merkbar differenzierten Sitzplätzen, die an der Vorderseite von einem Querstück und seitlich von zwei Stützen in Form eines umgekehrten V’s getragen werden. Dies gehört wie das Wiener Rohrgeflecht zu den charakteristischen Elementen der Kollektion. Auch die Bank ist neben dem im Original verwendeten Teak in schwarz gebeizter Eiche erhältlich. Kissen sind sowohl für einzelne Sitze als auch für die ganze Bank verfügbar.
Die moderne Stadt
Das Projekt Chandigarh ist wohl die weitestgehende Entsprechung Le Corbusiers Vorstellungen von einer modernen Stadt. Sie ist in rechteckige Blöcke aufgeteilt, die durch Straßen und Vegetation miteinander verbunden sind. Weltbekannt sind nicht nur der Justizpalast oder das Sekretariat, sondern auch die riesige Skulptur einer geöffneten Hand, die zum Symbol der Stadt und für Le Corbusier selbst wurde. Von Beginn an übertrug der Meister die Ausführung seiner Pläne seinem Cousin Pierre Jeanneret. Weitere wichtige Personen sind das britische Architektenpaar Edwin Maxwell Fry und Jane Beverly Drew, deren Erfahrungen mit tropischer Architektur sich vor allem für den Bau von Wohnhäusern als nützlich erwiesen. Auch mehrere indische Architekten waren beteiligt. Seit 2016 ist der Regierungskomplex in Chandigarh mit seinen drei Gebäuden UNESCO-Welterbe.