Nicht nur erst seit der Absage der Messe Orgatec mussten sich auch Büromöbelhersteller darum bemühen, andere Wege der Kommunikation zu finden. Im Wesentlichen sind dies Online-Präsentationen, Webinars oder Online-Talks, die live gestreamt werden und danach auf den jeweiligen Kanälen im Web verfügbar sind. Das Schweizer Unternehmen Vitra hat seine Office-Expertise gleich in ein 2-tägiges Summit gegossen und eine lange Reihe von hochkarätigen Gesprächspartner*innen eingeladen, über die Zukunft des Büros und der Arbeit zu diskutieren. Während sich andere Hersteller sehr konkret mit der Pandemiekrise beschäftigen, – so hat Steelcase eine Serie unter dem Titel „Die nächsten Schritte planen: Der Arbeitsplatz nach Covid-19“ initiiert oder Sedus konkrete Tipps zu Reinigungs- und Desinfektionsmitteln gegeben – geht Vitra in den meisten Beiträgen seiner Veranstaltung weniger auf das Thema des „ansteckungsfreien“ Büros ein, sondern stellt grundsätzliche Fragen, wie „Werden wir das Büro vermissen, wenn es verschwinden würde?“. Die Antwort auf diese Frage ist gleichzeitig auch die Ergebnis-Quintessenz dieses Summits – nämlich, dass der soziale Faktor mit der digitalen Dezentralisierung verloren geht, wie es Psychotherapeutin Esther Perel ausdrückt. Die Autorin, die sich mit ihrem Podcast „How’s Work?“ auf neue Dynamiken des Arbeitsplatzes fokussiert, ist davon überzeugt, dass die „Soft Skills“, die direkten menschlichen Kontakte niemals ersetzt werden können. Dazu kommt, dass durch die Digitalisierung und das Arbeiten von zu Hause aus wichtige Dinge fehlen, wie die „Zeit des Abschaltens“ oder die „Transition“ (der Weg zur und von der Arbeit), wodurch der langsame Übergang vom Privatmodus in den Arbeitsmodus und umgekehrt wegfällt. Wie wichtig diese Phasen des Vorbereitens bzw. Relaxens sind, wird erst jetzt klar, meint Cal Newport, Autor der Bücher „Deep Work“ und „Digital Minimalism“. Ein Problem sei die ständige Verfügbarkeit bei der „Remote Work“, die würde zu weniger Produktivität führen. Dennoch wird die Arbeit zu Hause in Zukunft für viele Menschen dazugehören. Wie man dennoch konzentriert und fokussiert arbeiten kann, machen US-amerikanische Software-Firmen vor, die seit Jahren komplett „remote“ arbeiten, erklärt Newport. Das Geheimnis liege in der strikten Strukturierung der Arbeit. Solche Unternehmen halten jeden Morgen ein Videokonferenz-Meeting ab, in dem alle Aufgaben besprochen und Teams eingeteilt werden. Den Rest des Tages wird dann daran gearbeitet.
Für Gianpiero Petriglieri, außerordentlicher Professor für Organisational Behaviour am INSEAD und regelmäßiger Autor des Harvard Business Review, besteht die Hybridisierung der Arbeit nicht aus virtuell und real, sondern vielmehr aus privat und beruflich. Durch die Digitalisierung würden wichtige Puffer verschwinden, meint er. Strukturierung kann auch hier helfen. So würde ein Spaziergang, bevor man sich zu Hause an den Schreibtisch setzt, die Funktion der Transition ersetzen können, glaubt etwa Mason Currey, Autor der „Daily Rituals“-Bücher.
Digital kann real niemals ersetzen
Im Verlauf des Vitra Summits wurde klar, dass die meisten Menschen in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien und dem Home Office noch viel lernen müssen. Gleichzeitig entpuppte sich mit jedem Statement, jedem Vortrag der soziale Aspekt als wichtigste Funktion eines Büros. Auch Ivy Ross, Vice President of Design für Hardware-Produkte von Google ist sich sicher, dass Video-Konferenzen den direkten Kontakt von Personen, die sich gemeinsam in einem Raum befinden, niemals ersetzen können. Im Hinblick auf zukünftige Produkte für das Zuhause meint sie, dass diese nahtlos eingebunden und maßgeschneidert sein müssten. Eine einzige Lösung für alles und alle werde es nicht geben. Designerin Ilse Crawford (Studioilse) sieht die Zukunft der Arbeit in einer Verbindung von „Remote Work“ und Büro, in das die Menschen allerdings nur noch 2 bis 3 Tage in der Woche gehen würden. Dabei wird das Zuhause einerseits ein Ort sein, der veränderbar ist und gleichzeitig eine Art Nest, in dem man absolut entspannen kann, meint Crawford. Auch Gary Turnbull, Partner von Sevil Peach, glaubt an eine zeit-räumliche Aufteilung in Home Office und Büro, wobei sich Letzteres verändern wird. Es werde weniger, aber viel zielgerichteter aufgesucht werden. Etwa um soziale Kontakte bewusst zu pflegen. Turnbull meint, dass riesige Bürogebäude mit 7.000 Angestellten oder mehr verschwinden werden. Stattdessen werde es kleinere Einheiten geben, in denen dann eigene Raumkonzepte herrschen, die unterschiedlichste Interaktionen ermöglichen würden. Sollten diese enormen Büroflächen etwa in London tatsächlich leer stehen, fragt sich Ilse Crawford, was dann damit passiert. Sie könnten zu Wohnflächen umgewandelt werden und der Wohnungskrise entgegenwirken, hofft sie.
Das Büro als Club
Vitra nutzte das Summit naturgemäß auch zur Vorstellung kürzlich gelaunchter Office-Möbel, wichtige Mitarbeiter*innen kamen zu Wort und das Unternehmen gab einen ersten Einblick in ein neues Bürokonzept, das derzeit entwickelt wird – das Club Office. Ganz im Sinne einer Aussage von David Allemann, Mitgründer des jungen Schweizer Laufschuhherstellers „On“, der gerade dabei ist, ein neues zentrales Büro für sein schnell wachsendes Unternehmen zu kreieren, der meinte: „Es muss ein aufregender Ort sein, zu dem man gerne geht, um sich mit seiner Community zu treffen“, soll auch das Club Office von Vitra Orte schaffen, zu denen die Mitarbeiter*innen immer wieder gerne zurückkehren. Für Pirjo Kiefer, Leiterin von Vitras Interior Design Services und mit verantwortlich für das neue Konzept, ist das „Herz des Club Office das Soziale“. Begriffe wie Kollaboration, Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Heimat, Identität und Inspiration stehen im Zentrum der Überlegungen. Das Club Office besteht aus drei Bereichen: öffentlich, wo spontane, auch externe Begegnungen stattfinden können, semi-öffentlich und geschlossen (mit fixen Plätzen für Teamarbeit). Generell geht es darum, einen Ort zu kreieren, der informelles Lernen vor allem voneinander erlaube. Dies sei eine neue Art der Arbeit, wo soziale Aspekte mehr Gewicht haben, erläuterte Tim Reusch, Leiter des Interior Design Studio von Vitra und mit verantwortlich für das Club Office. Er sagte, man müsse sich die Frage stellen: Warum kommen Menschen ins Büro? Seine Antwort darauf lautete: „Das Büro wird überleben, weil es der Ort im Unternehmen ist, wo Arbeit spürbar wird“. Auch Sharon Johnston (Johnston Marklee & Associates), die das Headquarter von Dropbox gestaltet hat, sieht Büros als informelle Orte. Sie plädiert für das nicht-statische Büro, nicht genau definierte Räume und für mehr Dynamik im Office. Denn es sei wichtig, sich im Laufe eines Arbeitstages zwischen den unterschiedlichen Räumen zu bewegen.
Das einzig Sichere ist die Veränderung
„Die Pandemie hat die klare Definition von Orten und Räumen aufgelöst oder zumindest hinterfragt“, sagte Kyle Chayka, Autor von „The Longing for Less. Living with Minimalism“ während des Vitra Summits. Diese neue Freiheit habe auch dazu geführt, dass immer mehr Menschen die Stadt verlassen, um auf dem Land mehr Platz zu finden, mehr Wohnraum. Die irrsinnigen Preise für Wohnungen in London oder New York mögen dabei auch eine Rolle spielen. Wenn nun also keine Notwendigkeit mehr besteht, täglich ins Büro zu fahren, wird das Wohnen auf dem Land plötzlich wieder attraktiv. Auch Designerin Ilse Crawford beobachtet diesen Trend. Gleichzeitig gibt es konkrete Projekte im Bereich Urban Village. Dorf-ähnliche Strukturen innerhalb von Städten gelten als zukunftsfähig und tatsächlich hat Maurice Cox, der Commissioner of the Department of Planning and Development der Stadt Chicago, einige Projekte in Arbeit, die ein Konzept des „walkable village“ in die Tat umsetzen. Im Rahmen des Vitra Summits berichtete er von Projekten in Detroit und Chicago, wo Quartiere derart renoviert und umgewandelt werden, dass Bürger*innen in 20 Minuten Gehweite alle täglichen Bedürfnisse abdecken und Besorgungen erledigen können. Der italienische Architekt und wichtige Protagonist beim Thema „Urban Forestry“ Stefano Boeri stellte ein Projekt im Raum Genf vor, bei dem ein Ring aus Dörfern entstehen werde. Sein Ansatz, möglichst viel Grün in urbane Räume zu bringen, ist ebenfalls ein zukunftsfähiger Teil der Lösung, wie man Städte und das Klima in Städten langfristig verbessern kann.
Die Digitalisierung bringt eine Dezentralisierung der Arbeit, gleichzeitig können Menschen dadurch die Städte verlassen und in bisher gering geschätzte rurale Gebiete ziehen. Der sich daraus ergebende längere Arbeitsweg ist leicht zu verschmerzen, wenn man nur zwei Mal pro Woche dorthin fährt. Außerdem gibt es das Konzept der Satelliten-Offices, die zwar das Flair des HQ und die Annehmlichkeit des sozialen Kontakts mit Kolleg*innen bieten, aber nicht so weit entfernt liegen.
Die Antwort auf die anfängliche Frage „Werden wir das Büro vermissen, wenn es verschwinden würde?“ lautet Ja. Ja, aber Büros der Zukunft müssen anders aussehen, um zu attraktiven Magneten, zu Orten des informellen Austauschs und sozialer Kontakte aller Art zu werden. Je nach Branche werden künftig viele Aufgaben außerhalb des Büros erledigt – im Home Office oder an anderen Orten. Konzentriertes Arbeiten mag unter bestimmten Voraussetzungen zu Hause leichter sein und doch bleibt das Büro der zentrale Hub. Ob die Menschen überhaupt zurück ins Büro kommen wollen, ist dabei hauptsächlich eine Frage der Unternehmenskultur, wie Stephan Hürlemann meint. Der Schweizer Designer denkt auch an das Verschwimmen der Grenze zwischen Heim und Büro, indem zum Beispiel private Events auch im Office stattfinden könnten. (vor allem wegen des Platzbedarfes für Social Distancing).
Digitale Nomaden benötigen für die Arbeit Autonomie, Selbstorganisation und Glück, wie die niederländische Designerin Hella Jongerius erkannt hat. Alle anderen sollten aus der Zeit des Lockdowns lernen und letztendlich die richtige individuelle Balance finden – zwischen der Arbeit im Büro und zu Hause.