Home Architecture Das kreative Potenzial des Globalen Südens – Sharjah Architecture Triennial

Das kreative Potenzial des Globalen Südens – Sharjah Architecture Triennial

von Markus Schraml
COLLAB, Sharjah

Die Sharjah Architecture Triennial findet 2023 zum zweiten Mal statt. Sharjah ist das drittgrößte der sieben Emirate der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Mehr als in anderen Mitgliedern der Föderation wird hier Wert auf die arabischen Traditionen gelegt, was die zahlreichen Museen und spezifischen kulturellen Aktivitäten nahelegen. Anerkennung dafür gab es auch von der UNESCO, die Sharjah den Titel „Kulturhauptstadt der arabischen Welt“ verlieh. In dieses Profil fügt sich die Architekturtriennale als einer der Höhepunkte perfekt ein.

Das Motto der Triennale, die noch bis 10 März 2024 läuft, lautet „The Beauty of Impermanence: An Architecture of Adaptability“ (Die Schönheit der Unbeständigkeit: Eine Architektur der Anpassung). Das Programm wurde von Tosin Oshinowo kuratiert. Der nigerianischen Architektin gelang es, ein spannendes Panorama der Ideen und Intentionen von Kreativen des „Globalen Südens“ zu versammeln. Vieles davon entstammt der prekären Situation dieser Weltgegenden, woraus sich eine Kultur der Wiederverwendung, Wiederaneignung, Innovation und Kooperation entwickelt hat. Aus der Situation der Knappheit schälten sich die Schlagworte Reparatur und Wiederherstellung zwangsläufig heraus. Laut Oshinowo führte der Gedanke, dass nichts dauerhaft ist und Umgebungen sich ständig anpassen müssen, zu einer sehr fortschrittlichen Architektur.

Für Kuratorin Tosin Oshinowo spielten bei der Programmgestaltung indigene Praktiken und Design im Gegensatz zu neuen Technologien eine signifikante Rolle. Und damit auch die Frage, was bedeutet eigentlich lokal. Foto © Spark Creative, Yitschaq Abia

„Der Schlüssel zum Aufbau einer nachhaltigen Zukunft aus unserer prekären Gegenwart hat seine Wurzeln in Architektur- und Designtraditionen, die uns seit Generationen begleiten und sich ständig weiterentwickeln. Viele Praktizierende, Handwerker und Gemeinschaften im gesamten Globalen Süden haben sich langjährige Traditionen zu eigen gemacht, die vom Kanon systematisch ignoriert wurden“, schreibt Oshinowo. Die insgesamt 29 teilnehmenden Architekturbüros, Designstudios und Künstler kommen aus der Subsahara-Region Afrikas (32 %), dem Nahen Osten (12 %), Südamerika (12 %) sowie zu einem geringeren Teil aus Europa, Nordamerika und Südostasien.

Tradition und Moderne

Die Ausstellungen finden an sechs Locations in Sharjah City statt: Al Qasimiyah School, Old Al Jubail Vegetable Market, Sharjah Mall, Al Madam, Industrial Area 5 und im Old Slaughterhouse. Im Alten Schlachthof von Sharjah ist unter anderen Adrian Pepes „Utility of Being: A Paradox of Proximity“ zu sehen. Der in Honduras geborene und im Libanon lebende Künstler verwendet in seiner Installation die Felle von Awassi-Schafen und kleidet damit das Röhrensystem des Schlafhofs aus. Durch diese Veränderung des technischen Umfelds der Schlachtung wird der Ort aus seiner technokratischen Anonymität geholt. Pepe wirft damit Fragen nach der Beziehung zwischen Mensch und (Nutz)tier auf sowie der Entfernung des modernen Menschen vom Ursprung und den Prozessen der Herstellung seines Essens. Geschichtlich ist die Beziehung zwischen den ansässigen Wüstenstämmen und dem Awassi-Schaf tiefgreifend. Das Schaf lieferte nicht nur Fleisch, sondern auch Milch, Wolle und Dünger. Die nicht essbaren Teile des Schafs – also Haut, Knochen und Sehnen wurden traditionell zu Gebrauchsgegenständen oder für den Bau von Unterkünften genutzt. Die daraus entstehenden Objekte kultureller Signifikanz sind im Zuge der rasanten Industrialisierung der letzten Jahrzehnte fast verschwunden.

Der Künstler Adrian Pepe greift mit seiner Installation im alten Schlachthof die einstmals viel tiefere Beziehung zwischen Wüstenbewohnern und dem Schaf auf. © Sharjah Architecture Triennial Foundation, Foto: Danko Stjepanovic

Kulturelle Identität – Umgang mit dem Bestand

Das Gelände des Al Jubail Old Vegetable Market, des alten Gemüsemarkts von Sharjah, bot Platz und ein eigentümliches Ambiente für vier Teilnehmer der Triennale. Einer davon ist der nigerianische, in Brooklyn lebende bildende Künstler Olalekan Jeyifous. Auch er nimmt sich der kulturellen Identität Sharjahs an und entwirft mit „SHJ 1X72 – 1X89“ eine retro-futuristische Vision in Form von imaginären architektonischen Darstellungen. Neben zunehmendem Tourismus und ständigen Bauarbeiten als Manifestationen des Urbanismus ist Jeyifous Arbeit von der Erkundung der klimatischen Bedingungen sowie dem Rhythmus des sozialen Gefüges geprägt.

Am Eingang des alten Gemüsemarkts befindet sich die Installation „Time Transitions“ von RUÍNA ARCHITECTURE (Julia Peres, Victoria Braga) aus Brasilien, die den Blick vom passiv gekühlten alten Markt auf die Uferpromenade wiederherstellt, der durch den Bau eines neuen klimatisierten Marktes verloren gegangen ist. Dies erreicht Julia Peres durch einen Windturm, einer traditionellen regionalen Struktur für natürliche Kühlung. In den Turm wurden Schuttblöcke aus der Nähe integriert. Der leicht auf- und abzubauende „Gerüstturm“ dient als Symbol der Vergänglichkeit und als Aufruf darüber nachzudenken, wie ungenutzte urbane Räume wieder ins Stadtgefüge eingegliedert werden können. Darüber steht die aktuelle Architekturdiskussion im Hinblick auf nachhaltigere Lösungen, die Adaption des Bestehenden sowie die Frage, wann besser gar nicht gebaut werden sollte.

Die Sharjah Architecture Trienial 2023 hat es unter der kuratorischen Leitung von Tosin Oshinowo geschafft, Architekten, Designer, Künstler und Forscher zusammenzubringen, die die Stimme des Globalen Südens laut erklingen lassen. Die hier vorgestellten Ideen und Konzepte, die in vielen Fällen auf die Traditionen der Region Bezug nehmen, eröffnen erstaunliche Lichtblicke auf mögliche Wege in die Zukunft der gebauten Welt.



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