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Der feinfühlige Modernist – Gio Ponti

von Markus Schraml
Gio Ponti, TASCHEN

Eine Buchrezension über Gio Ponti (1891 – 1979) online zu posten, wäre ganz im Sinne des Meisters aus Mailand gewesen. Denn der Grund, warum Ponti seine Projekte und die anderer kontinuierlich in Magazinen veröffentlichte, war, dass dies der seiner Meinung nach schnellste Weg sei, um Neues zum Publikum zu bringen. Schneller als Bücher, viel schneller, als sich das Ganze vor Ort anzusehen. Diesen Einblick in die Gedankenwelt Pontis gibt seine Tochter Lisa Licitra Ponti (1922 – 2019) im neuen umfassenden TASCHEN-Band über das Oeuvre eines der wichtigsten Architekten, Designer und Publizisten des 20. Jahrhunderts. Sie, die das von ihrem Vater 1928 gegründete weltbekannte Magazin Domus selbst als Chefredakteurin bis 1979 leitete, schreibt auch über Pontis Leidenschaft für Kunst. „Ich richte Künstler nicht. Ich liebe sie“, sagte Gio Ponti und gab Architekt*innen und Künstler*innen eine „Carte blanche“ für ihre Artikel und Projektvorstellungen in Domus. Ein Risiko – sicher, aber ohne Risiko kein Gewinn.

Gio Pontis gestalterische Tätigkeit begann in den 1920er-Jahren und dauerte bis in die 1970er-Jahre. 60 Jahre lang beschäftigte er sich mit Architektur, Design, angewandter Kunst, Journalismus, Theater, schreiben, malen usw. Er baute Kirchen, Wolkenkratzer, Kraftwerke, Swimmingpools, Hotels, Villen, Museen und entwarf Stadtpläne. Ponti designte Türgriffe, Besteck, Geschirr, Textilien, Möbel, Wein-Etiketten und sogar Theaterkostüme. Er ließ phönizische Vasen wiederauferstehen und entwarf selbst moderne, kreierte Keramikobjekte sowie Fliesen, Sanitärartikel, Kronleuchter und Autos.

Schönheit als Kommunikationsmittel

Ein konstantes Element seiner Arbeit sei seine Fähigkeit zur visuellen Wahrnehmung, meint Salvatore Licitra, Pontis Enkel und Begründer des „Gio Ponti-Archivs“, mit dem der TASCHEN-Verlag für dieses Buch eng zusammenarbeitete. „Die Schönheit, die wir in seinem Werk finden, scheint bestimmten historischen Momenten, Moden oder Ideologien nicht untergeordnet zu sein. Natürlich berührt es den Stil seiner Zeit, aber es tut dies mit einer bestimmten Distanz“, erläutert Licitra. Sein Denken war international ausgerichtet. Architektur (und vor allem das Haus) sah er als einen Ort des möglichen Glücks (oder zumindest verminderten Unglücks) für die Menschheit. Als etwas, das uns noch einen Sinn von Freiheit, Verspieltheit und Überraschung vermitteln könnte. Vor allem in seinem Spätwerk befasste er sich mehr mit Interieurkonzepten als mit konkreten Projekten.

Gestaltung als dreidimensionales Theater

Gio Ponti erzeugte Schönheit durch raffinierte kompositorische, dreidimensionale Anordnungen. Gut zu sehen ist dies in seinen Hausfassaden oder in den Details seiner Möbel, in den Blickwinkeln und Lichtern sowie in der Gegenüberstellung von Materialien. „Es ist ein dreidimensionales Theater, das sich in den Details jedes Elements, aber auch in der gesamten Komposition ausdrückt und Referenzen erzeugt, die den Blick des Betrachters immer wieder zurück zu seinem wesentlichen Kern führen“, analysiert Salvatore Licitra.

Leichter Modernismus – Superleggera

Gio Pontis bekanntestes Design ist der Superleggera-Stuhl für Cassina (1957). Der Architekt als Designer näherte sich diesem ikonischen Stuhl auf eine moderne architektonische Weise an. Bereits 1951 war mit dem „Sedia 646“, dem Leggera, ein sehr erfolgreicher Stuhl für Cassina entstanden. Ponti fragte Cesare Cassina einige Zeit später, ob man den Stuhl nicht schlanker machen könnte. Das historische Vorbild dafür fand Ponti in den traditionellen Chiavari-Stühlen, die seit dem 19. Jahrhundert produziert wurden. Die Handwerker von Cassina begannen zu experimentieren, um den Stuhl auf das Wesentliche, auf das absolute Minimum zu reduzieren. Das Ergebnis war ein sehr leichter und durch den typischen Knick in der Rückenlehne ebenso einprägsamer Stuhl. Franco Cassina (Sohn von Umberto und Neffe von Cesare) erzählt über die Arbeitsweise Pontis Folgendes: „Ponti hatte ein Landhaus in Civigno, in der Nähe von Erba, nicht weit von Meda entfernt. An Samstag Nachmittagen nutzte er diese Nähe und schaute bei Cassina vorbei, um bis zum Abendessen mit Papa, Onkel Cesare, mir und dem Leiter der Tischlerei, Fausto Redaelli zu arbeiten. Redaelli, ein sehr talentierter Mann, war mit der Verschlankung des Stuhls beauftragt. Er arbeitete vor allem an den Zapfen und fing an, Rillen in die Zapfen des Stuhls zu schneiden, um die Oberfläche des Gelenks zu vergrößern. So schuf er schließlich eine sehr starke Verbindung trotz der sehr dünnen Teile.“

Pontis Auftrag in Wien

Gio Ponti liebte Wien und war oft zu Besuch. Seine Beziehung zu dieser Stadt fußt in seiner Bewunderung für die Wiener Secession, für Gustav Klimt und Adolf Loos. Arbeitsmäßig war er allerdings nur ein einziges Mal in Wien. Nämlich für die Ausstattung des Italienischen Kulturinstituts im Palais Lützow-Fürstenberg im Jahr 1936. Es ist eine der weniger bekannten Arbeiten Pontis, wo er auf eine sehr persönliche Weise mit der historischen Architektur umgeht. Auch die Umbauten und das Mobiliar im Wiener Kulturinstitut zeugen von seinem Prinzip des Respekts gegenüber der Tradition, dem Erbe und gleichzeitig einer Modernität, die sich vor allem in funktionalen, leichten Möbeln wiederfindet. Beides steht bei Ponti gleichberechtigt nebeneinander. Inge Podbrecky hat eine ausgezeichnete Untersuchung dieser Arbeit Pontis in einer Schriftenreihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht.

In seiner Zeit in Wien kam er auch mit Josef Hoffmann, Josef Frank, Oskar Wlach, Oskar Strnad und Oswald Haerdtl, dessen Frau Carmela die österreichische domus-Korrespondentin (ab 1931) war, in Kontakt und entwickelte eine Bewunderung für die Kunstgewerbeschule und die Wiener Werkstätte. Er träumte wohl von einer ähnlichen Schule in Italien. „Ich kannte das Wien der Secession, von Klimt, Loos und Max Reinhardt. Ich verdanke diesen Beispielen moderner Perfektion des Ausdrucks mein erstes Gefühl von einer europäischen Heimat.“

Gio Ponti. Tradition und Moderne. Verlag: TASCHEN

Rastlos kreativ sein

Auch Stefano Casciani, Autor, Designer und disegno-Herausgeber schreibt über die wahre Leidenschaft Pontis, die Kunst im neuen TASCHEN-Band. Malen sei eines seiner natürlichen Talente gewesen und „er kultivierte dieses Geschenk, indem er sich dem Zeichnen kontinuierlich widmete, und zwar nicht nur als Werkzeug für seinen zukünftigen Beruf als Architekt, sondern als eine Befriedigung seines lebenslangen Durstes nach persönlichem Ausdruck“, erläutert Casciani in Bezug auf Pontis frühe Jahre und Lisa Licitra Ponti berichtet über ihren Vater: „Für ihn ging der Arbeitstag (einschließlich der Nacht) fast ohne Pausen voran. Warum das Vergnügen des Meditierens-Entwerfens unterbrechen? … Die Auftraggeber (wenn er sie hatte) waren erstaunt, wenn sie in seine Konzentration eintraten, die jedoch unabhängig weiterging.“

Architektur muss als bewohnt gedacht, aber als leer beurteilt werden.

Gio Ponti

Das Ponti-Universum

„Das Übermaß gehörte nicht zu Gio Ponti (genauso wenig, wie es zu Kristallen gehört)“, sagt Lisa Licitra Ponti. „Gio Ponti mied den Mangel an Proportion genauso wie die Leichtigkeit. Im Gegenteil, die Schwierigkeiten zum Vorteil ausnutzend, wie er sagte, war seine Herausforderung, eine Herausforderung gegen Langeweile und Angst. Gio Ponti als ein Gegengift? Lassen Sie uns diese Idee willkommen heißen.“

Wie sich die Arbeit Gio Pontis über einen Zeitraum von 60 Jahren entwickelte, kann eine chronologische Auflistung seiner Werke, wie die neue TASCHEN-Publikation über den Meister ausführlich dargelegt, durchaus aufzeigen, vor allem im Hinblick auf den historisch-kulturellen Kontext. Die Quintessenz und kreativen Prinzipien seines Schaffens jedoch können nur mit einem Vergleich der wesentlichen Elemente erfolgen. Denn der Grund, warum Pontis Werk auch Bedeutung für das Heute hat, liegt in seiner gestalterischen Qualität über all seine Schaffensphasen hinweg. Es ist ein Netzwerk aus Referenzen, Formen und Archetypen, die das Ponti-Universum ausmachen. Oder wie Enkel Salvatore Licitra es ausdrückt, Pontis Werk sei zuallererst und vor allem eines – Pontinisch.

Gio Ponti gestaltete Italiens Weg in die Moderne entscheidend mit. © TASCHEN

Gio Ponti. Karl Kolbitz, Salvatore Licitra, Stefano Casciani, Lisa Licitra Ponti, Brian Kish, Fabio Marino. Hardcover, 36 x 36 cm, 5,67 kg, 572 S. Famous First Edition: Nummerierte Erstauflage von 4.000 Exemplaren, 200 Euro. Verlag: TASCHEN


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