Home Design Der individuelle Weg aus dem Chaos – guggenbichler design / Wien

Der individuelle Weg aus dem Chaos – guggenbichler design / Wien

von Markus Schraml

Das Wiener Studio guggenbichler design verfolgt einen Gestaltungsansatz, der durch eine Verbindung aus der Reduktion auf das Wesentliche und viel ästhetischem Gespür bestimmt wird und regelmäßig in außergewöhnlichen Möbel mündet. Die Ergebnisse zeichnen sich durch eine sehr eigene, immer spannende Linienführung und Form aus. Vor allem die vielen Stuhldesigns beweisen, dass Minimalismus allein zur Gestaltung von herausragenden Möbeln nicht ausreicht, es braucht auch ein hohes Maß an formalem Verständnis, um Objekte mit Charakter zu erschaffen. Heike und Harald Guggenbichler sind international erfolgreich und designen etwa für Tonon, Crassevig, Rossin, TON oder den französischen Outdoor-Spezialisten Fermob. Ihr jüngstes Projekt bringt Schwung und vor allem Ordnung in den Arbeitsalltag. Unter dem Motto „No More Chaos“ entwickelten die beiden ein innovatives Office-System, das mithilfe von Gummibändern nicht nur für einen aufgeräumten Schreibtisch sorgt, sondern in Kombination mit Schubläden und Fächern eine effiziente, elegante Art der Kennzeichnung schafft. Der österreichische Büromöbelhersteller Neudoerfler nahm dieses Konzept auf und gemeinsam wurde daraus die neue Kollektion MyMotion entwickelt. Neben seinem Ordnung schaffenden Potenzial verführt MyMotion auch zur Individualisierung des Arbeitsplatzes.

Im formfaktor-Interview erzählt Heike Guggenbichler von der Entstehung der neuen Kollektion, von Funktionalität und Schönheit sowie dem langen Atem, den man beim Start eines Designstudios braucht.

 

formfaktor: Wie ist die neue Kollektion MyMotion für Neudoerfler entstanden?

Heike Guggenbichler: Der Ausgangspunkt dafür war, dass ich in großen Büros immer beobachtet habe, dass die Mitarbeiter ihre privaten Dinge entweder irgendwo auf dem Boden herumliegen oder irgendwie hingehängt hatten: Schuhe, Taschen, Mäntel, Jacken, andere Kleinigkeiten. Es gab also keinen dezidierten Ort für Privatsachen und auch sonst herrscht in Büros oft viel Chaos. Neudoerfler hat ein Office-Möbelsystem, das sehr gut im Markt eingeführt ist und das es schon lange gibt. Es besteht aus Korpusmöbeln, aus Schränken und Tischen. Wir haben diese bestehenden Möbel verwendet und daraus etwas sehr Cooles gemacht, das sehr leicht individualisierbar ist. Was die Schränke betrifft, war die Idee, dass es sehr hilfreich wäre, wenn man schon auf der Außenseite von Fächern oder Läden sehen würde, was sich drinnen befindet. Dass man einen Teil des Inhalts nach Außen verlegt – sozusagen als Hinweis. Oder, dass man etwas anbringt, was man herzeigen möchte oder eben selber gerne sehen möchte – wie z.B. seine persönlichen ToDos. Dasselbe gilt für Fächer oder Laden. Aus dieser Idee haben wir dann Gummibänder und Leisten entwickelt, ganz simple Tools, die aber sehr praktisch sind. Das zentrale Thema sind die Gummibänder und Leisten auf den Korpussen. Und das zweite sind die Gummibänder auf der Pin-Wand, wo man selbst individuelle Muster spannen kann. Dadurch können unterschiedliche Bürotypen/Menschen unterschiedlich damit umgehen. Wenn man zum Beispiel zu großen Firmen geht, kann man das gut beobachten. Dort gibt es – um mit Stereotypen zu arbeiten – die Buchhalter, wo alles oft sehr aufgeräumt ist, dann die Kreativen, wo es schon chaotischer zugeht oder die Research & Development-Abteilung, wo es noch wilder aussieht. So kann jeder nach seinen Bedürfnissen die Gummibänder auf der Pin-Wand verändern – mehr geradlinig oder eben wilder. Wir haben schon auf einer Messe beobachtet, dass die Menschen das tatsächlich gerne verändern. Es ist eine neue Möglichkeit, den Raum anders zu nutzen. Man kann in die Höhe gehen. Zusätzlich haben wir einen Rollcontainer gestaltet mit einer Kipp-Front für Flaschen und private Accessoires. Also einen Stauraum, den man in normalen Rollcontainern so nicht hat. Dazu haben wir eine Toolbox entworfen, die darin versteckt ist.

formfaktor: Das ist ja eine sehr neue Art, Ordnung zu schaffen und Dinge zu organisieren.

Ja, genau. Mich hat es gewundert, dass das bisher noch niemand gemacht hat.

formfaktor: Gummibänder wurden oder werden als ein eher behelfsmäßiges Tool angesehen. Fast billig.

Ja, stimmt, aber auch ein Gummiband kann schön designt sein. Wir haben das große Glück mit einem Hersteller zusammenzuarbeiten, der diese sehr schönen Gummibänder extra neu entwickelt hat. Das ist ja nicht nur ein Gummiband, wie man es kennt, sondern es ist an der Außenseite auch ein Gummi, der das Verrutschen der eingeklemmmten Dinge verhindert. Außerdem haben wir eine multifunktionale Garderobe dazu entworfen. Das geht auf eine Beobachtung zurück, die ich während Vorträgen oder in Kleinraumbüros gemacht habe. Das Problem ist, dass es dort entweder grauenhafte, billige Garderoben gibt, oder gar keine. Dann liegen Mäntel und Jacken irgendwo herum oder hängen an der Stuhllehne. Unsere Garderobe hat einen Spiegel und ein Whiteboard, wieder mit dieser Display-Funktion. Es gibt einen gegossenen Betonsockel für Schuhe und Schirme. Sehr schön und praktisch finde ich daran auch, dass sie auf Rollen steht und man sie dadurch drehen kann. Dadurch hat man einerseits, was man gerne präsentiert im Auge und andererseits, was man gerne versteckt oder verstaut eben nicht mehr. Früher wurden Garderoben oft von Architekten extra für Büros gestaltet, weil es keine am Markt gab. Nun hat sich das geändert. Und zwar auf sehr flexible, schöne Weise. Die Garderobe passt auch gut ins Programm.

formfaktor: Wie sah das Briefing von Neudoerfler aus?

Gar nicht. (lacht) Wir sind mit dem fertigen Konzept zu Neudoerfler gegangen. Was eigentlich verrückt ist, weil wir vorab sehr viele Stunden darin investiert haben. Aber wir haben daran geglaubt und wir hatten schließlich Glück, dass wir Neudoerfler dafür begeistern konnten. Alles war konzeptuell fertig visualisiert, aber dann folgte ein gemeinsamer Entwicklungs- und Weiterentwicklungsprozess. Wir haben es natürlich an die Linie und an die Produktionsgegebenheiten angepasst, Details monatelang entwickelt und verfeinert. Da war zum Beispiel die Frage, ob das mit den Kipptüren funktioniert, ob sie sich noch öffnen lassen. Das haben wir mit abgeschrägten Leisten gelöst. Und der Rollcontainer entstand im Detail erst später gemeinsam mit Neudoerfler.

Da gab es dann schon ein Briefing.

formfaktor: Welcher Schreibtisch-Typ ist Heike Guggenbichler? Aufgeräumt oder chaotisch?

Ich arbeite lieber auf einem aufgeräumten Schreibtisch, aber das ist selten der Fall.

formfaktor: Kommen wir zu den Stuhldesigns. Ihr habt sehr viele Stühle gestaltet.

Ja, das ist eine Spezialität von uns.

formfaktor: Und ich finde, sie zeichnen sich immer wieder durch eine besondere Linie aus, durch die visuelle Spannung aufgebaut wird. Einer der bemerkenswertesten Entwürfe in dieser Hinsicht ist Sofie für Rossin?

Dieser Stuhl hat eine ganz eigene Geschichte. Es war der erste Stuhl, den wir in Zusammenarbeit mit einem Architekten und Bauherrn gemacht haben. Wir hatten schon einen Roh-Entwurf, als Guido Trampitsch von Söhne & Partner Architekten auf uns zukam und uns von seiner schwierigen Situation mit einem Stuhl für ein Projekt erzählte. Wir haben unseren Entwurf dann dem Bauherrn gezeigt, der davon begeistert war. Und erst danach sind wir zum Produzenten gegangen. Rossin hat ihn dann hergestellt und damit auch The Room in den Sophiensälen ausgestattet. Schließlich hat Rossin den Stuhl in seine Kollektion aufgenommen. Von Sofie wird es jetzt ganz neu eine Kollektionserweiterung geben: eine Version ohne Armlehnen und einen Lounger.

formfaktor: Also wieder ein Fall – wie bei Neudoerfler – wo ihr mit einem Entwurf von euch zum Produzenten gegangen seid.

Ja, das ist so der klassische Weg für uns, scheint es.

formfaktor: Wirklich?

Manchmal passiert es anders. Zum Beispiel bei Crassevig. Da bekamen wir ein Briefing und dann entwickelten wir dazu Entwürfe. Es ist unterschiedlich.

formfaktor: Was macht für Sie einen perfekten Stuhl aus? Außer, dass man darauf sitzen kann.

Das ist zum Beispiel ein sehr wesentliches Merkmal. (lacht) Es gibt auch Stühle, auf denen sitzt man sehr unbequem. So etwas möchte ich nicht entwerfen. Wir haben schon den Anspruch, dass er extrem funktionell ist, je nachdem, wo man ihn einsetzt. Am Ende soll er richtig schön sein – nach unserem Geschmacksempfinden.

formfaktor: Wie sieht er aus – euer Geschmack?

Manchmal minimalistisch, manchmal poetisch. Wir stehen schon für eine Reduktion auf das Wesentliche, aber ohne dabei die Poesie zu entfernen. Das ist unser Leitspruch. Es gibt Fälle, wo ein nicht unbedingt notwendiges Detail begeistert und dann darf es auch ein bisschen mehr sein. Wie zum Beispiel beim Flower Chair – da mag ich das Muster in der Sitzfläche besonders, das einen wunderschönen Schatten auf den Boden wirft, wenn die Sonne richtig drauf scheint.

formfaktor: Sie arbeiten sehr viel für den französischen Outdoor-Spezialisten Fermob.

Ja, da machen wir viel. Den Surprising als Stuhl und Lounger, den Flower etc. Und es gibt auch etwas Neues: die Sonnenliege Harry.

formfaktor: Ein zweiter wichtiger Kunde ist Tonon. Fermob und Tonon haben recht unterschiedliche Portfolios.

Ich bin ein großer Fan von beiden. Die jeweiligen Möbel sprechen unterschiedliche Zielgruppen an. Aber beide sind in ihrem Bereich ganz toll.

formfaktor: Wie sehr geht man als Designer*in auf eine bestimmte Markenidentität ein?

Natürlich geht man darauf ein. Aber wir vertreten schon auch unsere Designsprache – man muss sich ja selber treu bleiben. Bei Tonon haben wir sicher auch eine sehr eigene Sprache – sehr elegant und geradlinig. Tonon ist einer unserer wichtigsten und sympathischsten Partner.

formfaktor: Ein Möbel muss auch bestimmten ökonomischen Anforderungen entsprechen. Musstet ihr in der Vergangenheit oft Überzeugungsarbeit gegenüber dem einen oder anderen Kunden leisten?

Sagen wir so – wir sind nicht sehr eitel. Wir meinen nicht, dass unser Entwurf der einzig wahre ist. Was uns aber wichtig ist: Das Möbel sollte für den Endkunden leistbar sein und funktionell. Das heißt, wir haben schon unsere Ansprüche. Man schaut eben, wie sieht es in der Produktionsstraße aus, ob man unseren Entwurf dort gut umsetzen kann oder ob wir etwas adaptieren müssen. Das ist aber kein Problem für uns, so lange die Funktion und die Ästhetik nicht darunter leiden. Hie und da mussten wir schon kämpfen, aber generell schätzen unsere Kunden unsere ursprünglichen Designs sehr.

formfaktor: Wie hat sich die Arbeit des Designers / der Designerin im Lauf der letzten 10, 15 Jahre verändert? Wie hat sich das Berufsbild verändert?

Eigentlich sind die Aufgaben immer noch sehr ähnlich. Auch wenn man manchmal gerne weiterdenkt, als „nur“ einen schönen Stuhl zu machen. Was sich sehr verändert hat, ist der Markt. In Österreich zum Beispiel gibt es heute ungleich mehr Designbewusstsein. Unglaublich viel. Das hat sich wirklich sehr verändert. Als wir angefangen haben, mussten wir bei den Firmen erst mal Überzeugungsarbeit leisten. Bei den meisten jedenfalls. Und wenn man es probiert hat, war die Zusammenarbeit sehr schwierig. Es war einfach schwer möglich, Fuß zu fassen. Das ist sicher auch ein Grund, warum wir international viel gefestigter sind. Heute hat der Markt verstanden, dass man in Design investieren muss, sonst geht man unter. Es gibt ja zum Beispiel Büromöbelfirmen, die hier zu wenig achtsam waren und die untergegangen sind. Andererseits sind die Unternehmen im Design kostenbewusster geworden. Es gab früher vor allem italienische Firmen, die sehr viele Entwürfe gemacht haben, die nur als eyechatcher dienten. Spekulative Designs, wo man schon vorher wusste, dass sich das nicht verkaufen wird. Es wurde einfach probiert. Jetzt wird sehr darauf geachtet, was der Markt will, und die Entscheidungen sind kostenbewusster. Es wird viel Produkt- und Kollektionspflege betrieben. Viele Relaunches. Ich finde, der Markt ist langsamer geworden, was neue Produkte betrifft. Für Designer kann das gut oder schlecht sein, je nachdem, wo man sich gerade befindet. Auf jeden Fall ist es schwieriger geworden neue eigene Produkte zu verkaufen.

formfaktor: Sind die Produktionsprozesse nachhaltiger geworden?

Bei den Unternehmen gibt es definitiv mehr Umweltbewusstsein. Manche Firmen bemühen sich auch, in Europa zu produzieren. Das finde ich extrem wichtig. Anderen ist es noch immer wurscht. Die schauen nur, dass sie viel verdienen. Wir versuchen, wenn es geht, mit Firmen zusammenzuarbeiten, die in Europa herstellen. Hier ist auch der Konsument – ich inklusive – gefragt, dass er darauf achtet, wo produziert wird. Wenn wir uns da bei der Nase nehmen, dann ist das auch gut für den Wohlstand bei uns – auf Jahrzehnte.

formfaktor: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Heike und Harald Guggenbichler?

Früher war es total getrennt. Harald war der Designer und ich habe den Rest gemacht. Mittlerweile machen wir eigentlich beide alles. Ich bin ins Design hineingewachsen und wachse immer mehr hinein. Mir sind Funktionen extrem wichtig. Harald ist der Ästhet und hat ein Gefühl für Schönheit. Das passt gut zusammen. Ich sehe sehr viel, was es manchmal braucht. Wir ergänzen uns, glaube ich, sehr gut.

 

formfaktor: Welche nächsten Projekte gibt es bei euch?

Da gibt es vieles: Stühle, Tische, In- und Outdoor. Wir sind sehr fleißig. Nächstes Jahr werden einige Sachen von uns in Köln und Mailand gezeigt.

formfaktor: Ein Tipp für Nachwuchsdesigner*innen?

Einen langen Atem haben. Durchhalten. Ich habe damals ein Interview mit einem bekannten Designer gelesen, der gesagt hat, dass es mindestens zehn Jahre dauert, bis man davon vielleicht leben kann. Ich wollte das überhaupt nicht hören. Ich dachte, was ist das für ein Koffer. Heute glaube ich, dass er recht hatte. So in etwa. Man muss Glück haben und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Immer am Gas sein. Und man muss an seine Arbeit, seine Designs ganz fest glauben und es nicht persönlich nehmen, wenn sie jemand miesmachen will. Aber man sieht ja, auch in Österreich gibt es einige Designbüros, die Erfolg haben und davon leben können. Das gibt Hoffnung.

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