Es sollte eine Botschaft an die Designwelt sein, die lauthals sagt, „wir sind noch da!“. Deshalb erklärte Kurator Stefano Boeri den Salone del Mobile 2021 zum Supersalone, auf dem in eingeschränktem Rahmen, die italienische (Möbel)Designindustrie ein kräftiges Lebenszeichen von sich geben sollte. So vielversprechend das Konzept einer nachhaltigen Kunstausstellung war, so verhalten waren die Reaktionen nach Durchführung der 6-tägigen Veranstaltung auf dem Mailänder Messegelände. Die Gründe dafür liegen einerseits in dem Wunsch Vieler, einfach zum Gewohnten (zur größten Designmöbelmesse der Welt) zurückzukehren und andererseits in der Frage, was man denn nun mit dieser kleinen, vertikal gedachten Ausstellungsfläche anfangen sollte. Dass es darum ging, eine Art Bild von künstlerischem, vielleicht überraschendem oder innovativem Charakter auf diese Bühne zu bringen, haben die wenigsten verstanden. Natürlich gab es auch einige Ausnahmen, allen voran der „Messestand“ von Molteni&C, für den Ron Gilad eine faszinierende Installation gestaltet hatte.
Flug-Nr.: Gio Ponti
Gilad lud die Besucher*innen in das Interieur eines Flugzeugs ein, dessen Hauptdarsteller der „Round D.154.5“-Sessel war, den Gio Ponti ursprünglich 1954 designt hat und der nun von Molteni&C in Kooperation mit den Gio Ponti Archives neu herausgebracht wird. Deshalb auch der Name „Flight D.154.5“. Das perfekte 60s-Flugzeug-Flair wird durch die runden, animierten Fenster vervollständigt, in denen ein blauer Himmel vorbeizieht, wo Realität auf Fantasie trifft. Der Original-Sessel Pontis schmückte die Alitalia-Büros in Manhattan (1958) sowie den Alitalia-Fluggastterminal in Mailand (1960).
Kunst / Design – Elena Salmistraro
Die weiteren Highlights der Mailänder Designwoche 2021 spielten sich nicht auf dem Messegelände ab (einmal abgesehen von der lobenswerten Nachwuchsdesigner*innen-Ausstellung „The Lost Graduation Show“), sondern in der Stadt selbst, dem Fuorisalone. So präsentierte Driade den raffinierten Couchtisch „Sangaku“ von Elena Salmistraro. Die 2010er-Jahre sahen den fulminanten Aufstieg der Italienerin, die sich virtuos an der Grenze zwischen Kunst und Design bewegt. Mit Arbeiten vor allem für Bosa und Lithea ließt sie aufhorchen. Aber sie designte auch schon für Alessi, Disney, Apple, Ikea, Vitra oder Moooi. Mit dem Showroom-Interieur „Amor Fati“ für Cappellini lieferte sie nicht nur ihre Sicht auf die bekannte italienische Möbelmarke ab, sondern auch die bisher beste Version ihrer unverkennbaren künstlerischen Ausdruckskraft.
Für Natuzzi Italia entwarf Salmistraro eine völlig eigenständige Kollektion. Sie war eine von acht Designer*innen, die Pasquale Junior Natuzzi eingeladen hatte, einen Beitrag zum „Circle of Harmony“ zu leisten. Die Inspiration für „Posidonia“ ist das Mittelmeer, wie es sich rund um Puglia zeigt. „Der Meeresboden ist zur Leinwand geworden, auf der sich die Farben widerspiegeln. Korallen, Schwämme, Algen und Muscheln sind die Elemente, die der Form zugrunde liegen“, sagt die Designerin. Sie greift auf diese grafischen Elemente zurück, dann aber werden sie zerlegt, überarbeitet und neu geformt. Daraus entstehen originelle, ausdrucksstarke Objekte. Das Vorbild des Meeres zeigt sich vor allem in der Wahl der Farben für die Bezugsstoffe des Sofas und Sessels der Kollektion. Auf die Muster der Kissen und des Teppichs scheint ein gewisser Herr Klimt Einfluss genommen zu haben.
Michael Anastassiades: sein erstes Sofa
Der zypriotische, in London lebende Designer Michael Anastassiades ist vor allem für seine Leuchtengestaltungen bekannt. Nun hat er erstmals ein Sofa designt. Komfortable Lounge-Polsterung trifft hier auf einen reduzierten, dünnen, schwarzen Stahlrahmen als Basis. Das Ganze ist eine eigenwillige Kombination aus leger und skandinavisch minimalistisch. Ohne Zweifel wurde bei Karakter dafür sehr genau gearbeitet. Wobei die Stärken der Dänen gerade in der Herstellung solch zarter Rahmen aus Stahl liegen. „Dies war mein erster Sofa-Entwurf, aber die größte Überraschung kam erst, als das Produkt fertig war, – als wir dort standen und das Sofa betrachteten, das genau so aussah, wie ich es in meinem Kopf hatte“, sagt Anastassiades.
Weitere Highlights der Mailänder Designwoche kommen von Alain Gilles, der für Bonaldo den Belt- bzw. Cross-Hocker entworfen hat, von Patricia Urquiola, die für Budri die Architexture-Kollektion gestaltete, oder die Sonderedition des New Cosmo-Sessel von Opera Contemporary, eine Kooperation mit der Marzotto Group. Außerdem hat Piero Lissoni für Kartell „Thierry“ designt, kleine Tische, die mit ihren bunten Farbstellungen einem freundlichen Optimismus Ausdruck verleihen. „Die Schönheit dieser Tische liegt in dem fast Edelstein-haften Ansatz“, meint Lissoni.
Magis verpasste dem „Officina“-Stuhl von Ronan & Erwan Bouroullec eine hohe Rückenlehne (eigentlich schon 2020, aber bisher gab es kaum Gelegenheit ihn zu zeigen) und die US-amerikanische Möbelmarke Knoll präsentierte in Mailand die Weiterentwicklung der 2018 gestarteten KN-Kollektion von Pierro Lissoni. Anlässlich des Salone wurden der Sessel KN06 und der Stuhl KN07 in einer neuen Option mit Säulenfuß vorgestellt.
Mailänder Leuchten-News
Jasper Morrison hat einmal nicht einen weiteren Stuhl designt, sondern eine neue Leuchte für Flos. „Oplight“ wurde dafür entwickelt, den ganzen Raum zu erhellen. Sie soll sehr lange halten und an ihrem Lebensende recycelbar sein. „Die Lichtquelle von Oplight ist eine LED-Platine, die mit einer klaren, aber geriffelten Platte abgedeckt ist, die das Licht schräg von der Wand weg lenkt. Die Form des Kopfes ist wahrscheinlich das auffälligste Merkmal. Es ist wie ein abgeflachter Umriss meiner Glo-Ball für Flos. Ich hoffe, sie sieht nach der offensichtlichsten, definitivsten Form aus, die eine Wandleuchte haben kann“, erklärt Morrison.
Weitere Leuchtenhighlights der Mailänder Designwoche sind die neue „Mito aura“ von Occhio, die im neuen Occhio-Flagshipstore auf dem Corso Monforte präsentiert wurde, die Leuchte „Puppet“ von Alberto Ghirardello für Fabbian sowie die zarte und ausnehmende Stehleuchte „FOX“, die Bernhard Osann für NEMO entworfen hat. Außerdem hat LASVIT seine Ausstellung „Perspectives/Perspektiven“ in der Vertretung der Tschechischen Republik in Mailand präsentiert. In diesem Rahmen stellte das Unternehmen die kinetische Multitouch-Installation „A:Live“ vor, erstellt von Stefan Mihailovič, einem Mitglied des LASVIT-Designteams.
Was bleibt vom Supersalone 2021? Auf jeden Fall der Nachhaltigkeitsgedanke, dass Materialien, die für den Messestandaufbau benötigt werden, wiederverwendbar sein sollen. Auch die verstärkte Unterstützung des Designnachwuchses, der Bühnen wie den Salone braucht, um Kontakte zu knüpfen, ohne sich dabei bis aufs letzte Hemd ausziehen zu müssen, aufgrund der hohen Standgebühren (siehe Salone Satellite). Und auch wenn der Supersalone jetzt nicht der Super-Erfolg war, ein bisschen mehr so zu denken wie Stefano Boeri (mehr Bäume in die Stadt, mehr Verständnis der Menschen für die Natur) würde dieser Messe sicher auch in Zukunft guttun.