Der 16. Juni markiert den Beginn einer neuen Ausstellungsreihe des Wiener Museum für angewandte Kunst in der MAK Galerie. In fünf Pop-up-Ausstellungen erhalten junge Kunst-, Design- und Architekturschaffende der Angewandten die Möglichkeit, sich und ihre Arbeiten zu präsentieren. Die neue Reihe startet mit dem Projekt Subscribe Climate Care des Designers Florian Semlitsch (16. Juni – 5. Juli). Gleichzeitig gibt das MAK bekannt, seine Galerie zur CREATIVE CLIMATE CARE GALLERY umzuwidmen und in den kommenden Jahren ausschließlich Präsentationen zu Klimaschutz und der generellen Ökologie-Krise zu zeigen.
Dieser Schwerpunkt wird von einem Essay des Generaldirektors und wissenschaftlichen Geschäftsführers des MAK, Christoph Thun-Hohenstein begleitet. In diesem Grundsatzpapier geht es nicht nur um die Klimakrise, sondern generell um eine Neugestaltung von Fortschritt und im Grunde um die Zukunft der Menschheit. Thun-Hohenstein geißelt darin den Lebensstil der Massenkonsumgesellschaft und die auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen basierende Produktions- und Wirtschaftsweise. Er fordert eine radikale Veränderung. Die dafür notwendigen Schritte müssten den Menschen allerdings schmackhaft gemacht werden – und zwar auf glaubwürdige Weise. Thun-Hohenstein tut dies, indem er mit Worten wie Klimaschönheit und Klimaharmonie, positiv besetzte Bilder für diese Veränderungen evozieren möchte und eine neue „Erzählung“ für das 21. Jahrhundert vorschlägt. „Von uns Menschen verlangt Klimaharmonie, dass wir zur Bewältigung der Klimakrise und der ökologischen Gesamtkrise beitragen und unser Leben im Einklang mit der Erde, ihren Ökosystemen und ihrer Biodiversität gestalten“, schreibt Thun-Hohenstein.
Neues Mindset: Tatsächliche Umweltkosten der Wirtschaft
In seinen Ausführungen verknüpft der MAK-Direktor die Begriffe „Climate Care“, „Planet Healing“ sowie „Digitalisierung”. Neben der Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung sei es notwendig, die Beziehung des Menschen zu seinem Heimatplaneten grundsätzlich und im Sinne einer umweltverträglichen Lebensweise neu zu denken. Die Digitalisierung könne und solle dabei helfen. „Erst wenn wir bereit sind, die tatsächlichen Umweltkosten aller wirtschaftlichen Aktivitäten offenzulegen und unsere Lifestyles aufrichtig zu hinterfragen, können wir zukunftsfähige Entscheidungen treffen. Mit der Digitalisierung verfügen wir über exzellente Technologien, um die nötige ökologische Transparenz in Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen“, meint Thun-Hohenstein und lässt an der aktuellen Produktionsweise kaum ein gutes Haar: „Das Grundübel der Industrialisierung war die Haltung – und diese ist leider immer noch in erschreckendem Ausmaß verbreitet –, dass man die Erde wie einen Schatz unendlicher Ressourcen nach Belieben plündern und wie eine Hochleistungsmaschine auf maximale Produktionsleistung hochfahren kann. In Wirklichkeit ist die Erde ein feinfühliger Organismus, dem von Menschenhand tiefe Wunden zugefügt wurden und werden.“
Allein in den letzten 25 Jahren hat der Mensch dieselbe Menge an festen Rohstoffen gewonnen wie in der gesamten Geschichte der Menschheit davor!
Digitale Konsummaximierung
Deshalb führt Thun-Hohenstein in seinem Essay den Begriff des „Planet Healing“ ein. „PLANET HEALING – in umfassendem Sinn verstanden – erfasst nicht nur die konkrete Arbeit der Heilung bereits vorhandener Wunden, sondern auch die vorausschauende, ganzheitliche Pflegearbeit zur dauerhaften Stärkung der Ökosysteme der Erde und ihrer biologischen Vielfalt.“ Den bisherigen Weg der Digitalisierung sieht der MAK-Direktor ebenfalls sehr kritisch. Denn seiner Meinung nach treibe die Digitalisierung die Tendenz der Marktwirtschaft, immer neue Begierden in den Menschen zu wecken und überhaupt alle Lebensbereiche zu kommerzialisieren, auf die Spitze. Thun-Hohenstein: „Die digitale Vermessung, Vermarktung und Beschleunigung der Welt und des Lebens ihrer Bewohner*innen lässt jene Aspekte unseres Menschseins verkümmern, die sich nicht digital quantifizieren und beschleunigen – und daher schwerer vermarkten – lassen (etwa reale zwischenmenschliche Beziehungen oder die Wertschätzung der Schönheit intakter Natur).“ Durch diese ständige digitale Quantifizierung und Beschleunigung würden die Menschen ihr Empathievermögen und ihre Resonanzfähigkeit immer mehr verlieren, „also die Fähigkeit des Menschen, in resonante – im Sinn von klingende, schwingende, häufig innerlich befriedigende – Beziehungen zu Mitmenschen, Tieren, Pflanzen und der ganzen Natur einzutreten (vgl. die Resonanztheorie von Hartmut Rosa). Und sie fördern zugleich den Drang, diese Entfremdung durch Konsummaximierung zu kompensieren“, schreibt Thun-Hohenstein. Dennoch erkennt er in der Digitalisierung eine Chance, nämlich wenn es gelänge, die enormen Potenziale dieser Technologie für die Klimakrise, Biodiversität und eine ökologische Lebensweise zu nutzen und darauf auszurichten.
Wertewandel durch die Coronakrise
Thun-Hohenstein hofft, dass die Corona-Pandemie als Zäsur fungieren kann, für eine Wende zu einer besseren Zukunft. Denn diese Krisenzeit hätte viele Menschen darüber nachdenken lassen, was im Leben wirklich zählt: „Gerade jetzt, nach der Erschütterung von Wirtschaft und Gesellschaft durch das Coronavirus, ist die Chance eines gemeinsamen Aufbruchs zum Greifen nahe – die once-in-a-lifetime-Chance, Sackgassen vermeintlichen Fortschritts zu verlassen und die Grundlagen für nachhaltige menschliche Zivilisation auf der Erde zu schaffen“, beschwört der Autor. In Anlehnung an Buckminster Fuller sieht Thun-Hohenstein die Notwendigkeit, ein neues Modell für das Zusammenleben der Menschen mit der Natur zu entwickeln. Ein Modell einer ökologisch und sozial ausgewogenen Digitalen Moderne, in der nicht massenhafte Billigprodukte unser Leben bestimmen, sondern eine neue nachhaltige Lebensqualität. Die besten Chancen, um ein solches Modell zu bauen, gibt der Wiener MAK-Direktor der EU: „Wenn es Europa gelingt, ein ökologisch und sozial nachhaltiges, resilientes Modell der Digitalen Moderne überzeugend vorzuleben und zugleich selbstkritisch zur Diskussion zu stellen, könnte dieses zum Vorbild für Afrika, Lateinamerika und viele andere Teile der Welt werden, aber auch die weiteren Entwicklungen in den USA und in China beeinflussen.“
Der Essay „KLIMASCHÖNHEIT. Die Kunst, Fortschritt neu zu gestalten“ ist auch als Appell an die Öffentlichkeit und jeden/jede Einzelne(n) in der Zivilgesellschaft zu verstehen, eigene Überlegungen zu diesem Thema an das MAK zu schicken (office@mak.at). Herausragende Beiträge und künstlerische Ansätze sollen entweder im Rahmen künftiger MAK FUTURE LABs diskutiert, oder in der CREATIVE CLIMATE CARE GALLERY gezeigt werden.
Bei Fortsetzung der Erderwärmung drohen weltweit in den nächsten 30 Jahren 200 Millionen Klimaflüchtlinge.
Ausstellungen der Reihe CREATIVE CLIMATE CARE:
Florian Semlitsch Pop-up-Ausstellung 1: CREATIVE CLIMATE CARE (in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) MAK GALERIE, 16. Juni (ab 18:00 Uhr) – 5. Juli 2020
Sophie Gogl Pop-up-Ausstellung 2: CREATIVE CLIMATE CARE (in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) MAK GALERIE, 14. Juli (Öffnung ab 18:00 Uhr) – 23. August 2020
Chien-Hua Huang Pop-up-Ausstellung 3: CREATIVE CLIMATE CARE (in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) MAK GALERIE, 8. September (Öffnung ab 18:00 Uhr) – 4. Oktober 2020
Martina Menegon Pop-up-Ausstellung 4: CREATIVE CLIMATE CARE (in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) MAK GALERIE, 20. Oktober (Öffnung ab 18:00 Uhr) – 8. November 2020
Antonia Rippel-Stefanska Pop-up-Ausstellung 5: CREATIVE CLIMATE CARE (in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) MAK GALERIE, 17. November (Öffnung ab 18:00 Uhr) – 8. Dezember 2020
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