Home Design Die Schwierigkeit des Grundlegenden – 15 TOP Designstühle

Die Schwierigkeit des Grundlegenden – 15 TOP Designstühle

von Markus Schraml
Stuttgart, Richard Herre

Der Mensch verbringt mehr Zeit auf einem Stuhl als auf jedem anderen Objekt. Sei es in Büros, Küchen, Esszimmern, Schulen, Hörsälen, Kantinen oder im Garten – überall wird gesessen und in den allermeisten Fällen auf einem Stuhl oder Einzelsitz wie im Auto, Zug oder Bus. Ein Stuhl ist also ein sehr häufig anzutreffendes, sehr alltägliches Ding. Und gerade deshalb muss er sich für viele unterschiedliche Situationen und Bedürfnisse eignen. Die Tatsache der Häufigkeit des Sitzens verlangt nach gut gestalteten, ergonomischen Stühlen. Die Masse der Produkte nach ökologisch verträglichen Herstellungsweisen.

In den Democratic Design-Bestrebungen von Teilen der Möbelbranche eignet sich gerade der Stuhl besonders gut als allgemein zugängliches, leistbares Produkt. So sagte etwa der italienische Designer Enzo Mari: „Die Welt wurde nicht für die Reichen designt“, denn seiner Meinung nach sollte gutes Design für alle verfügbar sein. Mit dieser Einstellung veränderte er die Welt des Designs und führte ein neues Verständnis in der Gestaltung von Produkten ein. Herausragendes Beispiel dafür ist sein „Mariolina“-Stuhl, den er 2002 für Magis entwarf. Er ist einfach, praktisch, langlebig und vor allem erschwinglich. Seine Erscheinung erinnert zwar an die 1950er-Jahre, aber seine Ausführung ist zeitgemäß. Etwa die Beine aus pulverbeschichtetem Stahlrohr, die schlank und präzise sind, oder die Rückenlehne aus Polypropylen, die nicht mit dem Rahmen verschraubt, sondern durch Plastikrippen an der Rückseite befestigt ist. Seit Kurzem ist der „Mariolina“-Stuhl auch in einer Mono-Version verfügbar.

„Die sichtbare Form ist die Synthese und der unsichtbare Teil die Arbeit, die es dem Sichtbaren ermöglicht, lebendig zu werden. Der Erfolg eines Sofas, eines Stuhls oder eines Sessels hängt davon ab, wie sichtbarer und unsichtbarer Teil miteinander kommunizieren“, sagt Piero Lissoni über seine KN Collection für Knoll International, die nun mit der Sitzmöbel-Serie KN06 ergänzt wurde. Die innere und äußere Oberfläche verschmelzen zu einer sanft geschwungenen Linie, die auf vier Beinen aus Aluminiumguss sitzt. „KN06 wirkt wie eine halbe Muschel, die behutsam angehoben, auf vier Fingern verweilt und diejenigen, die sich darin niederlassen, wie eine Umarmung umschließt“, beschreibt Lissoni den optischen Eindruck, den der KN06 vermittelt. Diese nahtlose Einheit aus Sitzfläche und Struktur ist das Ergebnis einer perfekten Symbiose aus industrieller und technologischer Produktionsweise, die keinerlei Unregelmäßigkeiten aufweist.

„Manchmal muss man einen Schnitt machen! … Selbst wenn es sich um einen Stuhl handelt … dadurch ist er jetzt komfortabler“, sagt Mario Bellini über seine Kreation „Cutter“ für B&B Italia und bezieht sich damit auf Lucio Fontana und dessen revolutionäre Schnittbilder. Und so ist der unübersehbare Schnitt in der Rückenlehne eine Hommage an den großen italienischen Künstler. Durch ihre Beweglichkeit erlauben die beiden oberen Enden der Rückenlehne den Sitzenden / die Sitzende sich nach beiden Seiten zu drehen, um sich eventuell einer Konversation mit Sitznachbarn zu widmen. Hoher Sitzkomfort wird hier mit der Aufforderung kombiniert, sich doch auch einmal leger seitlich hinzusetzen und den Arm durch den Spalt um die Rückenlehne zu legen. Die notwendige Elastizität der Rückenlehne wird durch einen raffinierten Stahlkern darin erreicht.

Schon seit ca. einem Jahr verfügbar ist die „Jima“-Stuhlfamilie, die Patrick Norguet für Artifort kreiert hat. Hier wird die Frage beantwortet, wie charakterstark darf ein Stuhldesign sein, um auch in Gruppen und größerer Stückzahl gestellt ein angenehmes Bild abzugeben. Auf Anhieb möchte man sagen, nicht zu stark. Aber „Jima“ beweist mit seiner doch recht ausdrucksstarken Form, dass es verschiedene Lösungswege gibt. „Der expressive Stuhl passt perfekt in öffentliche Räume. Man stelle einige Jimas zusammen in ein Restaurant, in ein Büro oder einen Konferenzsaal: Das ergibt ein ganz eigenes Bild“, erläutert Norguet. Der „Jima“ ist in vier Varianten erhältlich: mit Vierfuß aus Stahl oder Eschenholz, mit drehbarem Aluminium-Fußkreuz und mit einem höhenverstellbaren, drehbaren fünfstrahligen Gestell auf Rollen. Ganz auf ergonomische Bequemlichkeit setzt de Sede mit dem DS-414, einer Weiterentwicklung des Ohrensessels DS-343. Genau wie sein Vorgänger passt sich der DS-414 den Bewegungen des/der Sitzenden an. Lehnt man sich nach hinten, so bewegt sich automatisch das Rückenelement ab Beckenhöhe mit – ohne mechanischen Aufwand, allein durch die veränderte Haltung. Dieser bewährte Bewegungsmechanismus unterstützt die Wirbelsäule aktiv und fördert damit eine bessere Körperhaltung. Ein völlig anderes Sitzbeispiel stellt „Overdyed“-Stuhl aus der Diesel-Schiene von Moroso dar. Die Overdyed-Kollektion ist eine der Serien, die die Markenidentität von Diesel Living am besten ausdrückt. Leger-lässige Form, bequemes Sitzgefühl und natürlich Indigo Blue. Letztes Jahr wurde die Kollektion um Lehnsessel, Polstersessel und Hocker erweitert.

Zu Anfang war die Rede von leistbarem Design. So ungefähr am anderen Ende sind die Möbel von Minotti angesiedelt. Hochqualitativ und elegant ist auch die Fynn-Kollektion im Design von GamFratesi. Besonders die Saddle-Hide-Variante erinnert hier an den luxuriösen Charakter dieser Produkte. Den gleichen Namen trägt eine Kollektion, die Marcello Ziliani für SCAB Design entworfen hat – nur mit i. Die „Finn“-Kollektion also ist nun auch in der Metal Wood-Variante verfügbar. Erstaunlich ist die Kombination von Funktionalität und ein klein wenig Verspieltheit. „Eben in diesem Kontrast liegt der Ursprung des Projekts Finn, eine Verschmelzung nordischer Elemente, gefiltert durch Lieblichkeit und Weichheit – durchweg italienisch – in einem Spiel von Bezügen und Beziehungen auf der Suche nach der perfekten Synthese zwischen Spannung und Gleichgewicht”, sagt Ziliani.

Ebenfalls eine Erweiterung kommt von Zeitraum. Die „Okito“-Familie wurde um den „Okito Ply Dining“-Stuhl ergänzt. Hier soll man lange und bequem sitzen können, deshalb sind Sitzfläche und Lehne sehr großzügig gestaltet. Die Rückenlehne nimmt die Bewegung des Körpers auf und schwingt mit. Lange Konferenzen oder gesellige Stunden am Esstisch enden dank ergonomischem Formholzsitz nicht in Verspannung und Rückenschmerz.

Vor etwas mehr als zehn Jahren brachte Emeco seinen 111 Navy Chair® heraus. Dieser Stuhl ging auf eine Kooperation zwischen dem amerikanischen Möbelhersteller und Coca-Cola zurück. Nach vier Jahren Arbeit wurde 2010 ein aus recyceltem PET bestehendes Sitzmöbel präsentiert. Jeder 111 Navy Chair® wird aus mindestens 111 recycelten Plastikflaschen hergestellt. Aufgrund der langen Lebensdauer des Stuhls ist diese Art der Wiederverwertung im Vergleich zum bloßen Recycling des Plastiks die bessere Variante. Außerdem gelang es in den letzten zehn Jahren, das recycelte PET-Material weiterzuentwickeln und noch robuster zu machen. Der Werkstoff wird heute zudem ohne Festigkeitsverlust zu 100 % recycelt. Das bedeutet, dass aus alten Stühlen immer wieder neue Stühle entstehen können. Im Zeichen der Umwelt steht auch die Lancierung des 2030 Calculator (eine Entwicklung von Doconomy), der die Berechnung des CO2-Fußabdrucks jedes von Emeco hergestellten Produkts ermöglicht. Mit dieser Transparenz-Initiative will Eigentümer und Emeco-CEO Gregg Buchbinder zeigen, wie gut seine Stühle im Hinblick auf die Umwelt tatsächlich sind.

Jeder 111 Navy Chai ® wird aus mindestens 111 recycelten Plastikflaschen hergestellt. © Emeco

Viele Möbelhersteller begnügten sich 2020 mit der Ergänzung bestehender Kollektionen und legten ihr Augenmerk einerseits auf die Digitalisierung, andererseits auf den Rückblick in die (eigene) Designgeschichte. In diese Kategorie fällt auch die Richard Herre Collection von e15. Zwar schon Ende 2019 vorgestellt, lohnt eine Erinnerung an diese einflussreiche Figur des Stuttgarter Werkbundes und Vertreter der Neuen Sachlichkeit vor allem aufgrund des hervorragenden Designs des Stuhls „Stuttgart“. Im Jahr 1926 von Herre entworfen, zeichnet dieses Möbel eine äußerst klare Geometrie aus, die aber durch die Verwendung von Massivholz und in der Variante mit Wiener Geflecht einladende Wärme ausstrahlt. Mögen die ästhetischen Grundprinzipien Herres auch noch so rational gewesen sein, das Flair seiner Endprodukte ist durchaus von Schönheit erfüllt. Kein Wunder also, dass der Architekt vorrangig mit seinen Inneneinrichtungen erfolgreich war.

Einen Klassiker der Moderne ehrt Fritz Hansen mit der Jubiläumsausgabe des „Carimate“ als Lehnstuhl zum 100sten Geburtstag von Vico Magistretti (1920 – 2006). Das Original hatte Magistretti 1959 für den gleichnamigen Golfclub in Italien entworfen – natürlich in Rot. Die Sitzfläche in Flaggleine ist vom originalen Strohsitz inspiriert und trägt der ursprünglichen Ästhetik Rechnung, ohne die mit natürlichem Stroh assoziierten Einbußen in puncto Langlebigkeit in Kauf nehmen zu müssen. Fritz Hansen hat dafür europäischen gentechnikfreien Flachs verwendet, wovon 110 Meter in Handarbeit gewebt werden.

Auch im Outdoor-Bereich sind Stühle unabdingbar. Dort müssen sie zusätzlich besondere Widerstandsfähigkeit beweisen. Ein schönes Beispiel für legere Eleganz im Freien ist „Exy“ von Unopiù. Von traditionellen Stroh- und Holzstühlen inspiriert sind die Linien detailgenauer. Für die Widerstandsfährigkeit sorgt recycelbares Aluminium. „Exy“ ist in sechs Farben erhältlich. Die „Ribot“-Kollektion von Marc Sadler wurde von Ethimo um einem neuen Hocker ergänzt. Wie die Esszimmerstühle dieser Reihe ist er solide und wirkt irgendwie vertraut. Hier wird eines der häufigsten Outdoor-Materialien verwendet – Teak. Ethimo verwendet für seine Produkte FSC-zertifiziertes Holz und achtet laut Eigenaussage streng darauf, dass ökologisch gewirtschaftet wird. Vergangenen Herbst präsentierte Fast unter anderem die Sitzmöbelserie „Ria“, in der das Unternehmen zum ersten Mal Seile verwendet. Der gleichnamige Armlehnstuhl, der schon Anfang des Jahres vorgestellt wurde, begeistert durch seine leichte Erscheinung. Die Struktur aus Aluminium kann nun im Bereich der Rückenlehne zum Teil oder zur Gänze mit einem Seilgeflecht ausgestaltet werden.


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